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Fundstücke

Über Putins Schwäche

Theresa Bäuerlein
Journalistin. Autorin. Seit (gefühlt) schon immer.
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Theresa BäuerleinSonntag, 25.06.2023

Nach den plötzlichen und chaotisch wirkenden Entwicklungen in Russland – auf einmal marschierte Söldnerführer Jewgenij Prigoschin auf Moskau zu und zog nach einer bizarren Vereinbarung mit dem Kreml blitzschnell wieder ab – habe ich nach Hintergrundartikeln gesucht, um besser zu verstehen, was da los ist.

Einer der Besten, die ich gefunden habe, ist aus dem New Yorker. Der Autor sprach dafür mit Mikhail Zygar, einem der kenntnisreichsten Reporter und Kommentatoren, über die Macht des Kremls. 

Im Januar 2023 schrieb Zygar in der New York Times einen prophetischen Kommentar über Prigoschin mit dem Titel „The Man Challenging Putin for Power“. Zygar lebt seit Beginn des Ukraine-Kriegs in Europa im Exil. Er ist ehemaliger Chefredakteur von TV Rain (auf Russisch Dozhd), einem unabhängigen Sender, den Putin nach Beginn des Krieges geschlossen hat. Sein 2016 erschienenes Buch „All the Kremlin's Men“ war in Russland ein Bestseller, darin untersucht er Putins Herrschaft und die innere Dynamik seines Führungszirkels. 

Für den Artikel im New Yorker beschreibt er, wie sich die Beziehung zwischen Putin und
Prigoschin entwickelt hat. Nach einem neunjährigen Knastaufenthalt und Jobs als Hot-Dog-Verkäufer und im Catering schaffte Prigoschin es ins Putins Nähe, wurde sein Günstling, wurde reich, dann Anführer der Wagner-Truppe. Seit dem Ukraine-Krieg trat er jedoch mehr und mehr als Gegner Putins auf – nicht weil er gegen den Krieg war, sondern weil er nicht damit einverstanden war, wie dieser geführt wurde.
Sie [Putin und  Prigoschin] überwarfen sich in dem Moment, als Prigoschin zu glauben begann, er sei beliebt", sagte Zygar. Als Prigoschin letzten Herbst durch Russland reiste, um Gefangene für die Wagner-Gruppe zu rekrutieren, "fühlte er sich wie ein Rockstar". Seine Gabe war, dass er "so effektiv mit ihnen in ihrer Sprache sprach", sagte Zygar. "Es kam der Moment, in dem Prigoschin nicht mehr Putins Marionette war. Pinocchio wurde ein echter Junge."

Der auffälligste Aspekt des gerade geschehenen Aufstandes, so Zygar: 

Putin ist schwächer geworden. Ich habe das Gefühl, dass er das Land nicht wirklich regiert. Jedenfalls nicht so, wie er es einst tat. Er ist immer noch Präsident, aber alle verschiedenen Clans" – die Fraktionen innerhalb der Regierung, des Militärs und vor allem der Sicherheitsdienste – "haben jetzt das Gefühl, dass das 'Russland nach Putin' näher rückt. Putin ist noch am Leben. Er ist immer noch in seinem Bunker. Aber es wächst das Gefühl, dass er eine lahme Ente ist, und sie müssen sich auf ein Russland nach Putin vorbereiten.

In ideologischer Hinsicht, so Zygar, 

...verbindet Prigoschin zwei Ideen. Die erste ist die Anti-Korruption und die Anti-Oligarchen. Trotz seines eigenen immensen Reichtums hat er sich immer als Oligarchen-Bekämpfer dargestellt. Gleichzeitig ist er super illiberal. Er hasst den Westen und behauptet, er sei der wahre Beschützer der traditionellen Werte. Wahrscheinlich hat er mehr Anhänger als die Wagner-Gruppe; es gibt Leute in der Armee, der F.S.B., dem Innenministerium, die seine ideologischen Verbündeten sein könnten. 

Im Gegensatz zu Putin und seinen Anhängern, die Propaganda über Staatsfernsehen und andere offizielle Kanäle verbreiten, nutzen Prigoschin und seine Anhänger Social Media, vor allem Telegram. Dort inszenieren sie sich als das „wahre“ Russland. 

Sollte Putin demnächst stürzen, so Zygar, könnten ihm entweder extrem harte Elemente folgen, die von den Sicherheitsdiensten unterstützt werden, oder ein „relativ“ liberaler Clan, vertreten durch Premierminister Michail Mischustin und den Bürgermeister von Moskau, Sergej Sobjanin.

Die Atmosphäre erinnert ein wenig an die späten Tage Josef Stalins in den frühen fünfziger Jahren, als er eine weitere Säuberungsaktion (gegen Juden, „wurzellose Kosmopoliten“ und andere vermeintliche Feinde) plante, während Rivalen wie Georgi Malenkow und Nikita Chruschtschow „geduldig“ auf den Tod des alten Mannes warteten, damit sie ihren Zug machen konnten. Putin, so Zygar, wisse genau, wie Autokraten wie der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Putschversuche ausnutzten, um Massenverhaftungen vorzunehmen, Medien und Informationen weiter zu unterdrücken und die Regierung neu zu ordnen. Er könnte diesem Beispiel folgen. Die üblichen Stimmen in den sozialen Medien haben den ganzen Tag über eine Kakophonie der Spekulationen ausgelöst. Das wird so schnell nicht aufhören.

Was das für die Ukraine bedeutet? Einerseits ist es ein wichtiger Moment in diesem Krieg, sogar eine historische Chance, glaubt. Zygar. „Sie müssen jetzt angreifen. Das ist der Moment, in dem die russische Armee mit internen Problemen beschäftigt ist.“

Gleichzeitig gibt es aber keine Garantie dafür, dass das derzeitige Chaos in Russland nur eine gute Nachricht für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenski ist. Zygar befürchtet, dass Putin nach einer solchen innenpolitischen Blamage wie der Prigoschin-Affäre ins Ausland ausschlagen und den Krieg in der Ukraine eskalieren könnte.

Über Putins Schwäche

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Kommentare 3
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Parallelen zu Machtkämpfen zwischen Georgi Malenkow und Nikita Chruschtschow sind gewiss nicht von der Hand zu weisen. Vor einem halben Jahr berichtete die FAZ über eine Analyse von François Bonnet mit der Quintessenz eines „lautlosen, bereits im Gang befindlichen Stabwechsels“ in Russland. Den Artikel hatte ich in diesem Piq empfohlen: https://www.piqd.de/ze...

    Bonnet verwies dabei auch auf die von Putin geführten Kriege sowie mutmaßlich beauftragte Anschläge auf die russische Zivilbevölkerung, die dem Erhalt seiner Macht dienten.

    Putin ist gerissen. Er beherrscht das Wechselspiel lauter Hasstiraden mit Geheimoperationen. Bis jetzt gibt es keine Anhaltspunkte, dass Prigoschins Putschversuch nur inszeniert war. Jedoch erinnern aktuelle Meldungen über die Errichtung von Lagern für die Wagner-Söldner in Belarus, etwa 200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt, an die Tage vor dem Angriff auf Kiew. War etwa alles eine Rochade zur Dislozierung der Kräfte? Es gibt genug Spekulationen, warten wir die Analysen der Experten ab.

    Schon sehr fragwürdig fand ich den Aufruf Michail Chodorkowskis an die Russen unmittelbar nach Beginn des Putschversuchs, den „Teufel“ Prigoschin zu unterstützen, um ihn dann zu bekämpfen. Wie sollte das funktionieren? In einem späteren Tweet bezeichnet er den versuchten Militärputsch als „eines der schwerwiegendsten politischen Ereignisse, die in den letzten 20 Jahren in Russland stattgefunden haben“: https://www.berliner-z...
    Der Westen müsse „auf die russische demokratische Anti-Kriegs-Opposition setzen und ihr eine Stimme geben“. Im Blick hat er dabei auch das Russische Aktionskomitee, das er gemeinsam mit Schachweltmeister Garri Kasparow gegründet hat. Angesichts der gewaltsamen Repressionen gegen jegliche friedliche Opposition sehe ich große Gefahr für zivilen Widerstand, es braucht bestimmt noch einige Zeit.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Ahnliches sieht Christian Esch im Spiegel:
    https://www.spiegel.de...

    Putins Blamage wird mit ziemlicher Sicherheit Folgen haben.

    Erstens ist es undenkbar, dass Putin Prigoschin einfach ungeschoren davonkommen lassen wird. Deals mit Verrätern sind in seinen Augen überhaupt keine Deals.

    Zweitens wird Prigoschins Aufstand zweifellos zu verstärkten Repressionen innerhalb Russlands und zu einer weitreichenden Suche nach tatsächlichen oder potenziellen Verrätern innerhalb der Sicherheitsorganisationen, der Elite und der Gesellschaft des Landes führen.

    Und drittens wird Putin höchstwahrscheinlich nach Wegen suchen, um mit neuen Gewaltorgien außerhalb Russlands von seiner Demütigung im eigenen Land abzulenken. Er wird einer Welt, die seine Schwäche gesehen hat, niemals verzeihen können.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Ich frage mich allerdings (wie der Artikel) auch, wieviel Macht hat Putin real noch?

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