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Kurator'in für: Fundstücke Medien und Gesellschaft
Mag es, gute Geschichten zu erzählen.
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Mag es gar nicht, in der dritten Person über sich zu schreiben.
Sprache ist mächtig und verändert Bewusstsein. Journalist*innen verdienen ihr Geld damit, aus Wörtern Texte zu formen. Man sollte meinen, dass sie besonders gut darauf achten, welche Worte sie nutzen. Leider ist das nicht immer der Fall.
Nicola Wessinghage dokumentiert in ihrem Blog, wie Medien über eine OECD-Studie berichteten, in der Wissenschaftler*innen die ungleiche Verteilung von Bildungschancen an deutschen Schulen untersuchten. Viele hätten dabei Formulierungen wie "sozial schwache Schüler", "sozial schwache Familien" oder gar "sozial schwachen Schulen" verwendet.
Mit ihrer Wortwahl verstärkten die Berichtenden jenen Zustand, den die Studie anprangert: Dass Kinder schlechtere Chancen auf eine erfolgreiche Bildung haben, wenn sie in Familien mit wenig Geld aufwachsen und ihre Eltern formal weniger gebildet sind.
Da hilft es auch nichts, wenn man den Begriff in Anführungszeichen setzt oder von 'So genannten sozial-schwachen" Familien spricht. Sozial schwach – das suggeriert, dass es diesen Menschen an sozialen Kompetenzen fehle, an der Fähigkeit, sich in die Gemeinschaft mit anderen zu integrieren, dass sie sich asozial verhielten.
Tatsächlich geht es natürlich nicht um Menschen, denen es an sozialen Fähigkeiten mangelt, sondern an Geld. Zeit Online schreibt etwa von Familien, die unter "schwierigen sozioökonomischen Bedingungen" leben.
Hört sich blöd an? Da empfehle ich ein Gespräch mit den Menschen, die in den Stadtteilen leben, die Journalist*innen und andere immer wieder als "sozial schwache Wohngebiete" abstempeln. Sie empfinden diese Zuschreibung als eine Zumutung, die den Betroffenen seit Jahren widerfährt.
Wessinghage geht es nicht darum, "Sprachpolizei zu spielen oder sich über die zu erheben, die das unpassende Etikett vielleicht unbewusst im aktiven Sprachgebrauch führen". Sie will dafür sensibilisieren, bewusst mit Sprache umzugehen. Das ist, finde ich, ein wichtiges Anliegen - nicht nur für Journalist*innen.
Quelle: Nicola Wessinghage inkladde.blog
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Entschuldigen Sie, aber Ihre Deutung des Begriffs "sozialschwach" ist leider nicht korrekt. Der Begriff entstammt den Sozialwissenschaften und bezieht sich daher auch auf die sozialwissenschaftliche Definition des Begriffes "sozial". Der Begriff hat nichts mit einer Sozialkompetenz zu tun, wie sie in der Schule bewertet wird. Er bezieht sich auf die Einbindung in eine menschliche Gemeinschaft. Sozialschwache Personen sind daher nicht asozial, sondern ihnen fehlt es an Einbindungen in ein konstruktives menschliches Netzwerk. Die Verwendung des Begriffs "sozialschwach" betont daher den Aspekt der Marginalisierung. "Sozialschwache" Gruppen sind demnach Gruppen, die Gefahr laufen im sozialen Abseits, also Abseits helfender Gruppenstrukturen, zu landen. Da es jedoch anscheinend viele Menschen gibt, die diesen Begriff negativ konnotiert sehen, sollte er vielleicht besser vermieden werden. Ansonsten könnte er seine eigene Bedeutung reproduzieren.
Das Problem taucht ja systematisch immer wieder auf, z.B. auch bei "Farbigen". Immer geht es darum einen Begriff, der sich mit negativen Assoziationen vollgesogen hat, durch einen neuen, vermeintlich Neutraleren zu ersetzen. Die Tendenz geht dabei zum Bürokratischen ("sozial schwach" ist ja der Versuch, das einfache Wort "arm" in eine soziologisch wattierte Schatulle zu legen). Einen guten Begriff gibt es aber solange nicht, wie Menschen unter dem bezeichneten Umstand in verschiedener und eben auch diskriminatorischer Weise zu leiden haben.
Ich überlege, ob die Sprache da auch historisch falsch geprägt ist. Sie hat keine anti-diskriminierenden Begriffe hervorgebracht, weil die keiner verwandt hätte. Die heutigen Mit-Empfindlichkeiten sind ja relativ neu. Und früher wurden die Worte immer oben im Bürgertum geprägt. Der Bürger sagte "da wohnt Plebs", "Armenviertel", "Elendsviertel", "Mietskasernen", neuerdings auch "sozialer Brennpunkt". Im besten Fall und bis heute nicht die schlechteste Lösung: "Arbeiterviertel".
Seit viele "sozial Starke" verständnisvoller reden möchten, fällt auf, dass die Perspektive von unten sprachlich nicht entstanden ist. "Da wohnen wir halt" - was soll man sonst sagen? Unser "Kiez", unser Veedel. Die Leute fühlen sich da oft gar nicht so unwohl, sondern erleben dort Heimat, aus der sie nicht wegwollen - solange noch ein sozialer Zusammenhalt erlebt werden kann. Im Ruhrgebiet noch zu finden.
Alle mit guter Absicht gebildeten Neuworte bleiben, vermute ich, zudem schwierig, solange dem Sachverhalt ein Image von "Verlierer" und "selber-schuld" anhaftet. Da kann man sagen, was man will - "Problembezirk" klingt immer mit.
Ich denke auch, dass man die Pflicht hat, sich Gedanken zu machen, welche Sprache man benutzt und wie die eigene Sprache auf die anderen Menschen wirkt. Was spricht denn dagegen, sich soviel Mühe wie möglich mit der Sprache zu geben, um niemanden ungewollt zu diskriminieren oder zu verletzen? Ich fand dazu das Buch „Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ von Anatol Stefanowitsch für mich ganz erhellend.
Stimme zu, dass man den Begriff "sozial schwach" gut kritisieren kann, einfach weil er nicht treffend ist und darunter in der Tat eher mangelnde soziale Kompetenzen verstanden werden könnten, aber sich in abstraktes Akademikerdeutsch ("sozioökonomische Bedingungen") zu flüchten, ist bestimmt keine Lösung. Deswegen bin ich auch unentschieden, ob ich jetzt den Daumen nach oben oder unten machen soll. Anders als Akademiker müssen Journalisten immer an das berühmte Lieschen Müller denken, selbst wenn wir uns dafür zu fein werden. Auch die anderen Vorschläge, die Wessinghage unterbreitet, überzeugen mich nicht wirklich: "benachteiligte Menschen" etwa - sicher oft nicht falsch, aber doch zu allgemein und damit zu offen für diverse Interpretationen. Es hilft alles nichts: Wir müssen Ungerechtigkeiten konkreter beschreiben.