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Kurator'in für: Technologie und Gesellschaft Medien und Gesellschaft Klima und Wandel
Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.
Eins der faszinierendsten und am schwersten zu beschreibenden Phänomene des digitalen Zeitalters ist ihre lähmende Auswirkung auf Innovationskraft der Kunst, was sich im sogenannten "Retrofieber" äußert. Ich beobachte diese Nostalgiewelle, die bereits, und das muss man sich als Kulturliebhaber ständig neu vergegenwärtigen, seit mehr als 20 Jahren weite Teile der (Pop-)kultur beherrscht. Auch scheint es so, als ob sich die "Retrozyklen" immer weiter verkleinern. Griffen die 1980er Jahre auf die 1950er Jahre zurück (Back To The Future), so bezogen sich die 1990er auf die 1970er (House, Punk/Alternative) und heute haben Kids in sozialen Medien nostalgische Wallungen für die Tumblr-Ästhetik und den Indie-Pop-Sound von 2014. Wir nähern uns anscheinend einer Gleichzeitigkeit aller Ästhetiken an.
Ich erinnere mich an einen der ersten Retro-Electro-Tracks Ende der 90er Jahre, I-Fs "Space Invaders Are Smoking Grass", der eine wahre Flut von Electro-Tracks auslöste, die sich am Sound elektronischer Musik der 1980er Jahre orientierte. Seit damals ist die Nostalgie für diese Ära ungebrochen, äußerte sich Anfang der 2000er Jahre in RTL-Sendungen wie "Die beliebtesten Songs der 80er", mündete in globale Phänomene wie "Stranger Things" und zeigte in der jüngst in der so erfolgreichen wie mutlosen Neuauflage der "Ghostbusters", wie starr und bewegungslos Kulturprodukte in der Ära der digitalen Rückwärtsgewandtheit geworden sind.
Es gibt viele Erklärungsansätze des Phänomens. Zuerst beschrieben und analysiert wurde das Phänomen von Musikjournalist Simon Reynolds in seinem 2011er Buch Retromania, Zygmunt Bauman erkennt in der Regression seines Retrotopias eine Flucht vor den nicht erfüllten Versprechungen des neoliberalen Kapitalismus.
Ich möchte eine weitere Lesart des Phänomens anbieten, die sich vor allem auf Musik und Pop bezieht: Digitale Technik hat die analogen Möglichkeiten der Soundproduktion assimiliert und ihnen Editiermöglichkeiten und Modulation hinzugefügt, sowie die Erschließung weiterer, nicht-analoger Soundwelten ermöglicht. Sampling und moderne Aufnahmetechnik schließt die analoge Klangwelt ein in das Digitale und fügt weitere, rein digital ermöglichte Klänge hinzu. Die Entdeckung dieser Soundwelten ist, nach einigen experimentellen und spielerischen Phasen, weitgehend abgeschlossen. Musikalische Innovation wird immer und immer kleinteiliger, spezialisierter, selbstähnlicher und entwickelt im langfristigen Maßstab fraktale Eigenschaften.
Flankiert wird diese Entwicklung durch eine fortschreitende Demokratisierung der Produktionsmittel. Jeden Tag werden 60.000 neue Songs auf Spotify veröffentlicht. Vor nur zwei Jahren waren das noch 40.000 Lieder. Die Anzahl der Songs, die wenigstens einmal gestreamt wurden, wächst jedes Jahr um rund 3 Millionen. Zu keiner Zeit war es so einfach, Musik aufzunehmen und professionell zu produzieren. Einer der größten Popstars unserer Zeit, Billie Eilish, startete mit ihrem Bruder als Bedroom-Producer. Technische Innovationen wie generative Musik von Algorithmen, Algo-Raves oder memetische Remix-Produktionen auf Tiktok werden diese Entwicklungen weiter anheizen. Musik offenbart, gebündelt in der Streaming-App, ihren angeblich unendlichen Klangraum, der aber bereits von Millionen von Producern und Usern erforscht und urbar gemacht wurde. Es bleibt das Spiel mit dem Vergangenen.
Sound-Ästhetik wird ein unendlich weites Land aus Klang, das an allen Stellen ähnlich aussieht und in dem, entgegen unseren Erfahrungen aus vergangenen Jahrzehnten, in denen nahezu jede Dekade einen eigenen Sound und eigene Moden entwickelte, alle denkbaren Ästhetiken gleichzeitig präsent und sichtbar sind. Avantgarde wird ironisch gebrochen fade (Normcore) oder hyperästhetisch (Hyperpop).
Tatsächliche Innovation, wie etwa der Durchbruch des Hip-Hop in den 70er und 80er Jahren mit einer völlig neuen Ästhetik und Klangwelt, oder die beinahe zufällige "Entdeckung" repetitiver, programmierbarer Beats und Klangsequenzen, also House und Techno, ist in einem dergestalt zu Ende erforschten ästhetischen Raum nicht mehr möglich. Was bleibt, ist der Einbezug immer weiterer Vergangenheiten, die Retromanie.
Ich piqe hier einen vom Magazin Real Life veröffentlichten Auszug aus Grafton Tanners neu erschienenen Buch zu diesem Thema, "The Hours Have Lost Their Clock: The Politics of Nostalgia".
Weitere, sehr gelungene Texte zum (in meinen Augen digital bedingten) kulturellen Stillstand kommen von Justin E.H. Smith (Skip the Intro? On Time, Storytelling, and the New “Content” Industry), Mark Fisher in seinem Vortrag The Slow Cancellation of the Future und Jack Self im Berliner Kunstmagazin 032c, dem ich den Titel dieses Beitrags entliehen habe, da er die ästhetische Qualität dieses Moments am besten zusammenfasst: The Big Flat Now.
Quelle: Grafton Tanner Bild: Closed Circuit (2... EN reallifemag.com
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Selten so einen guten piq-Text gelesen. Und die geteaserten Begriffe verweisen auf sehr spannende Phänomene. In der Alltagsrezeption bin ich schon drauf gestoßen, habe aber nie so weit blicken können, das als Tendenz zu begreifen. Jetzt habe ich wieder allerhand zu lesen. Danke, danke!