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Klima und Wandel

Grönlands Eispanzer kommt immer mehr in Hitzestress

Nick Reimer
diplomierter Energie- und Umweltverfahrenstechniker, Wirtschaftsjournalist und Bücherschreiber
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Nick ReimerDonnerstag, 19.01.2023

Das Jahrzehnt von 2001 bis 2011 war in den vergangenen eintausend Jahren das wärmste Jahrzehnt auf Grönland. Das ist Ergebnis der Forschung eines Teams unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts AWI, das jetzt in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde. Demnach hat sich die Region auf der weltgrößten Insel bereits um 1,5 Grad Celsius erwärmt.

Die Forscher:innen rekonstruierten Temperatur und Schmelzraten des grönländischen Eisschilds an einer in ihrer Länge und Qualität bisher einmaligen Reihe von Eisbohrkernen. In den Eiskernen prüften sie die Konzentrationen stabiler Sauerstoffisotope, die je nach einst vorherrschender Temperatur schwanken können. Die ausgewertete Zeitreihe reicht vom Jahr 2011 um eintausend Jahre zurück. Zuletzt hatten Fachleute Eiskerne von Grönland bis zum Jahr 1995 untersucht. "Da hatte man noch keine Erwärmung gesehen – im Gegensatz zum Anstieg der globalen Temperatur", sagt Maria Hörhold vom Bremerhavener AWI. Grönland hat sich also erst jetzt zum Hotspot des Klimawandels herauskristallisiert.

Was verheerende Auswirkungen für das Antlitz des Planeten haben wird: Der grönländische Eisschild gilt als eines jener Kippelemente im Weltklimasystem, die – einmal angeschoben – nie wieder gestoppt werden können. In den Spitzen ist der Eispanzer 3.300 Meter hoch. Wenn er anfängt zu tauen, fällt die Oberfläche nach unten in immer wärmere Schichten – und beschleunigt den Prozess, weil es immer wärmer für die obere Eiskante wird, die ergo immer schneller abtaut. Einmal begonnen, kann der Prozess nie wieder angehalten werden: Weltweit steigt der Meeresspiegel dann um mindestens sieben Meter. Emden liegt einen Meter hoch.

Ein Forscherteam des Geologischen Dienstes Dänemarks und Grönlands (GEUS) war im Sommer 2022 zum Ergebnis gekommen, dass der Eisschild bereits unwiderruflich aus dem Gleichgewicht geraten ist. Selbst wenn wir sofort alle Emissionen weltweit stoppen würden – 110.000 Kubikkilometer Eis tauen danach dennoch unwiederbringlich auf Grönland weiter ab und heben den weltweiten Meeresspiegel um mindestens 27 Zentimeter an. Da wir ja aber nicht sofort mit dem Verbrennen von Kohle, Gas und Erdöl aufhören, ist ein Anstieg der Weltmeere wegen der weiteren Schmelze auf Grönland um mindestens 78 Zentimeter wahrscheinlich. Städte wie New York mit mehr als tausend Kilometer Küstenlänge sind dagegen genau so wenig zu verteidigen wie Bangkok, Alexandria, Basra oder Djakarta.

Nicht nur das: Taut der grönländische Eispanzer, werden andere Kippelemente folgen, ein Zusammenbruch des Golfstromes etwa, jener Meeresströmung, die Wärme aus der Karibik nach Europa transportiert.

Grönlands Eispanzer kommt immer mehr in Hitzestress

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Kommentare 9
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

    Das mit unwiederbringlich ist nicht ganz richtig: „ Seit etwa 13 Millionen Jahren gibt es eine mehrjährige Eisbedeckung in Nordpolarmeer. Das Eis auf Grönland gibt es seit etwa 2 Millionen Jahren. Es ist maximal 3400 Meter mächtig (dick), im Schnitt etwa 2000 Meter, taut jedoch zurzeit rapide ab.“

    https://www.rhetos.de/...

    Und auch die Kipppunkte sind unter Klimaforschern umstritten.
    https://axelbojanowski...

    1. Nick Reimer
      Nick Reimer · vor mehr als ein Jahr

      Axel Bojanowski ist kein Klimawissenschaftler - sondern ein Klimawandel-skeptischer Journalist, der wegen seiner Haltung immer wieder in der Kritik steht: https://www.volksverpe...

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Nick Reimer Er zitiert aber Klimawissenschaftler, wie andere Journalisten auch. Allerdings mehr/andere als die üblich verdächtigen in vielen anderen Artikeln. Es geht also nicht um Haltung sondern um Tatsachen. Auch "Volksverpetzer" steht übrigens wegen seiner einseitigen Haltung immer wieder in der Kritik. Bojanowski ist nicht skeptisch gegenüber dem Klimawandel sondern gegenüber der dominierenden Strömung in der Darstellung. Wenn man der Wissenschaft folgt, dann darf man nicht einseitig/selektiv einzelne Wissenschaftler zu Wort kommen lassen. Man muß die Diskussion in der Wissenschaft nachvollziehen. Und man sollte nicht auf den Überbringer der Nachricht einprügeln, ihn diskreditieren, sondern sich mit den Inhalten auseinandersetzen. Also ich zitiere dann gleich noch direkt einen renommierten Klimaforscher in der „ZEIT„ in der Hoffnung, dass der dann ernst genommen wird. 😏

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Nick Reimer "ZEIT: Und wie verändert sich diese Bilanz mit der globalen Erwärmung? Wissenschaftler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) haben vor Kurzem ein Worst-Case-Szenario veröffentlicht. Darin wird auch erwähnt, dass unser Planet bis zum Ende des Jahrhunderts so warm werden könnte, dass alle Wolken quasi verdampfen und wir dem Untergang geweiht sind.

      Stevens: Das ist Unsinn. Einfach ausgedrückt: Die Atmosphäre will bewölkt sein, weil Luft nach oben steigt. Es ist schwer, Wolken loszuwerden.

      ZEIT: Warum behaupten die Potsdamer Klimaforscher etwas anderes?

      Stevens: Das müssen Sie sie fragen. Ich kann nur bewundern, wie die Kollegen dort die Fachliteratur nach den alarmierendsten Geschichten durchforsten. Ich finde es schade, dass diese dann unkritisch präsentiert werden.

      ZEIT: Das Szenario ist also falsch?

      Stevens: Ja. Es basiert auf einer aus dem Zusammenhang gerissenen Arbeit unseres Instituts und auf einem zweiten Paper, das zahlreiche Mängel hat.

      ZEIT: Welche Mängel?

      Stevens: Das dramatische Verhalten des Klimas in dieser Simulation beruhte auf einer groben Vereinfachung der Wolken, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Wenn man genau hinschaut, halten die alarmierendsten Geschichten einer wissenschaftlichen Überprüfung oft nicht stand.

      ZEIT: Meinen Sie auch Kipppunkt-Prognosen wie die zum Abschmelzen des Antarktis-Eises, zum Kollaps des Golfstroms und zur Versteppung des Amazonas-Regenwalds?

      Stevens: Ja, und die meisten anderen. Natürlich wird sich die Welt durch die globale Erwärmung verändern, in einigen Regionen auch dramatischer. Aber wie, wo und wann, ist noch alles andere als sicher.

      ZEIT: Im deutschen Klimadiskurs warnt das PIK meist vor Tipping-Points, während Ihr Institut die Gefahr von Kipppunkten eher herunterspielt. Woran liegt das?

      Stevens: Kipppunkte sind faszinierend, und es ist gut möglich, dass es sie gibt. Aber sie sind auch eine Frage der Definition. Woran denken Sie beim Wort Tipping-Point?

      ZEIT: An eine sich selbst verstärkende Rückkopplung, die unumkehrbar ist.

      Stevens: Eine sich beschleunigende Veränderung, die man nicht rückgängig machen kann, richtig. Wie ein Bleistift, der herunterfällt. Er kann nicht wieder von selbst nach oben fallen. Aber die Tipping-Points, die mein Kollege Hans Joachim Schellnhuber und andere am PIK hervorheben, basieren auf ihrer privaten, viel schwächeren Definition. Da werden Tipping-Points umgedeutet, sodass auch weniger abrupte oder sogar umkehrbare Klimaveränderungen darunterfallen. Mit dieser Neudefinition finden sie Kipppunkte überall. Dann ist Daueralarm. Mein Institut verharmlost Kipppunkte nicht, wir legen nur mehr Wert auf Klarheit.

      ZEIT: Beneiden Sie das Potsdam-Institut um seine Medienpräsenz?

      Stevens: Wer würde nicht gerne interessant sein? Leider bevorzugen die Menschen Geschichten über den Weltuntergang. Davon verstehe ich nicht viel.

      ZEIT: Wollen Sie damit sagen, dass die globale Erwärmung kein Problem ist?

      Stevens: Sie ist ein Riesenproblem, auch weil wir so wenig über ihre tatsächlichen Auswirkungen wissen. Ob und wo biblische Dürren und Überschwemmungen auftreten werden, ist laut IPCC für fast alle Regionen ungewiss."

      https://www.zeit.de/20...

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Nick Reimer Bjorn Stevens ist ja nicht der einzige Klimawissenschaftler, der PIK und Co. in dieser Beziehung kritisiert. Er sagt noch etwas m.E. sehr Wichtiges über Journalismus/Wissenschftler:

      "ZEIT: Stefan Rahmstorf vom PIK vergleicht sich mit einem Arzt, der herausgefunden hat, dass Rauchen gefährlich ist, und jetzt die Menschen dazu aufrufen müsse, damit aufzuhören.

      Stevens: Als Wissenschaftler erkläre ich den Leuten gerne, wie die Dinge, von denen ich etwas verstehe, funktionieren. Aber was qualifiziert mich, ihnen zu sagen, wie sie sich verhalten sollen? Das muss der gesellschaftliche Diskurs ergeben, der mehr von gutem Journalismus als von charismatischen Wissenschaftlern geprägt sein sollte. Wenn die Menschen nicht lernen, selbst zu denken, sind wir sowieso verloren."

      Sollten Journalisten nicht mehr helfen, das Menschen selber denken lernen? Angst hilft da nicht ….

    5. Nick Reimer
      Nick Reimer · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Ich kenne Bjorn Stevens nicht, er ist Meteorologe und forscht selbst gar nicht zu Kipp-Elementen, richtig? Woran ich mich halte, sind jene Leute, die selbst vor Ort sind, dort Daten erheben und zu Schmelzraten auf Grönland forschen! Angelika Humbert vom AWI zum Beispiel: https://taz.de/Eis-in-...

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Nick Reimer Bjorn Stevens ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M). Und ich denke, er weiß schon wovon er spricht. Was Irrtum natürlich nie Ausschließt. Ich könne noch eine Reihe weiterer Forscher nennen. Wundere mich immer, dass dies einfach negiert wird.
      Also Angelika Humbert forscht zu Schmelzraten und nicht zu Kipppunkten. Was ist da anders. Keiner bezweifelt, das das Eis relativ schnell schmilzt. Aber ob das unwiederbringlich ist, weiß keiner. Kipppunkte sind theoretische Annahmen. Die als Phänomene laut IPCC zwar nicht ausgeschlossen werden können aber für die es nur ungenügende Evidenz gibt. Aber jeder kann sich natürlich einen Lieblingsklimatologen suchen, der die eigenen Vermutungen stützt.

      Die Erde war schon mal schneefrei und sie war schon mal komplett mit Eis bedeckt. Nichts ist unwiederbringlich. Da wird mit Gewissheiten gehandelt, die es nicht gibt.

  2. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Ah ja, guter Piq!, aber das trägt nun wieder mal zu meinem Stresspegel bei. Aber was soll man machen? Meine WG-Mitglieder fliegen durch die Welt als gäb's kein Morgen. Erdsystem schützen ja - "aber nicht gerade ich, bitte." Sogar ein Energiesystemforscher, dem ich auf Twitter folge, postet Bilder aus Ostasien, hat noch nicht einmal die kleine Mühe auf sich genommen, die Emissionen per compensators.org zu neutralisieren. Es ist zum Verzweifeln.
    Was tun?

    1. Nick Reimer
      Nick Reimer · vor mehr als ein Jahr

      Früher habe ich bei meinen Lesungen auf diese Frage geantwortet: Bildet Banden! Weil es einfach unerträglich ist, allein zu sein mit dem Wissen um die Entwicklungen und die reale Gefahr. Da sind wir heute immerhin ein Stückchen weiter: Es gibt jetzt die Banden!

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