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Quelle: Michaela Müller
Kurator'in für: Zeit und Geschichte Fundstücke
Michaela Müller, in Dachau geboren, studierte Politikwissenschaften, Zeitgeschichte und Geschichte Asiens in Berlin. Sie schreibt über Menschenrechte, Migration und Ostafrika. Aufenthalte in Kenia, New York, Paris, Somalia und Somaliland. Bücher/Essays: Vor Lampedusa (2015), Auf See. Die Geschichte von Ayan und Samir (2016). Für piqd wählt sie Texte über die Geschichte des Holocaust, Arbeitergeschichte, Migration und Mentalitätsgeschichte aus.
Wer jedoch Antworten auf die Fragen möchte, muss sich selbst auf die Suche machen. Sabine Scholl hat dies in ihrem neuen Roman „Das Gesetz des Dschungels“ getan. Das Buch ist eine großartig erzählte Geschichte, die die Komplexität einer solchen Suche beschreibt. Es ist zugleich eine Familiengeschichte, die zum Teil auch ihre eigene ist. Vroni, die Protagonistin und die Autorin kennen sich seit ihrer Kindheit, später heiraten Vroni und ihr Bruder.
Vroni, eine Krankenschwester aus der österreichischen Provinz weiß schon lange, dass sie anders ist. Sie sieht anders aus und wächst ohne ihren leiblichen Vater auf. Als sie 35 Jahre alt ist, lernt sie Victor kennen, ihren Vater. Victor, gebürtig aus Sri Lanka, kam als junger Mann per Schiff nach London, wo er es im Laufe seines Lebens als Inhaber von Reisebüros zu beachtlichem Wohlstand brachte.
Vroni besucht ihn in London, reist mit ihm nach Sri Lanka. Sie möchte alles über ihn wissen. Eines Abends in einem Londoner Pub stellt Victor ihr ihren Bruder vor: Marvin. Die beiden, so unterschiedlich sie sind, freunden sich an.
Doch mal ist der Vater nun für sie da, mal verschwindet er monatelang, mal entzieht er sich, mal sucht er ihre Nähe. Victor kann ihre Erwartungen und die Kinder - besonders die Tochter - seine Erwartungen nicht erfüllen.
Vroni möchte ihren Vater verstehen. Man habe sich eben erst als Erwachsene kennengelernt, jeder habe sein Leben. Umso hartnäckiger setzt sie die Suche nach ihren Wurzeln in Sri Lanka fort. Sie hält jeden Moment ihrer Aufenthalte in Tagebüchern und mit der Kamera fest. Alle anderen um sie herum haben ein anderes Tempo. Sie lässt sich nicht beirren und nimmt sich Zeit für ihre Suche. Und sie beginnt eine Beziehung mit Ravi.
Vroni ist rastlos. Sie will den Singhalesen nahe sein, am liebsten ein Teil von ihnen werden. Aber es will ihr nicht gelingen.
Ihrem Vater ergeht es nicht anders. Auch Victor ist rastlos, nur seine Rastlosigkeit hat andere Gründe. Er ist ein erfolgreicher Geschäftsmann. Aber wo er auch ist, ist er mit Ausgrenzung konfrontiert. In London ist er Rassismus ausgesetzt, er ist der mudman, paki, wog. Aber auch in Sri Lanka gehört er nicht dazu.
- Weißt du, wie man solche Rückkehrer nennt?, fragt Ravi Vroni.
- Nein.
- Fools. Weil sie nicht wissen, wie man sich hier verhält.
- Was haben sie verlernt?
- Sie verstehen das Land nicht mehr. Meinen, dass sie, allein weil sie jetzt besseres Englisch beherrschen und Geld haben, geachtet sind. Und wünschen sich, dass ihre Wurzeln plötzlich wieder zum Vorschein kommen. Aber das ist eine Illusion.
Sabine Scholl reist mit Vroni nach dem Tod des Victors nach Sri Lanka. Gemeinsam versuchen sie, den mysteriösen Tod des Vaters aufzuklären.
Sabine Scholl hat ihr Buch „Das Gesetz des Dschungels“ genannt. Was das Gesetz des Dschungels ist, wird von Seite zu Seite klarer. Es geht um das Zusammenleben von Menschen, um die Zivilisation, die oft als Argument hochgehalten wird, um Fortschritt zu beweisen. Ihr Buch lotet aus, was nach Kolonialismus und Kriegen bleibt und wie es nach diesen Brüchen weitergeht.
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