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Literatur

Fröhliche Tage für Hanni und Nanni

Fröhliche Tage für Hanni und Nanni

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtMontag, 18.04.2016

Als Vater entdeckt man bei manchen Büchern, daß man tatsächlich seitenweise vorlesen kann, ohne dabei etwas vom Text mitzubekommen. Der Hanni-und-Nanni-Band mit dem schönen Titel "Fröhliche Tage für Hanni und Nanni" (obwohl mich "Hanni und Nanni sind immer dagegen" auch gereizt hätte), war ein Zwitterwesen, einerseits so unendlich langweilig, daß ich beim Lesen die Holzfasern im dicken Papier studierte, andererseits in seiner Langweiligkeit wieder hochinteressant. Die beiden Heldinnen, ich glaube, es sind Schwestern (oder sogar Zwillinge?) kommen in die sechste Klasse (ein Buch pro Schuljahr, ist das nicht bei Harry Potter auch so?) Sie gehen ja ins Internat, was ich mir nie so aufregend und lustig vorgestellt hätte. Könnte man doch Hanni und Nanni sein! Oder wenigstens eine von beiden. Ihre Klasse ist ein bunter Reigen von Mädchen, die alle genau eine hervorstechende Eigenschaft haben. Anneliese z.B. will Gedichte schreiben und Beate spielt Geige: "'Beate, mußt du mich beim Dichten stören!'", sagt Anneliese deshalb einmal. "'Alle deine Gedichte sind traurig', sagte Elli. 'Wieso eigentlich? Ich liebe Gedichte, die mich glücklich machen.' 'Ich bin nicht glücklich', sagte Anneliese feierlich. 'Dichter sind es nicht, versteht ihr?'" Wie ein neuer Fußballtrainer bei einem Spitzenteam sorgt Fräulein Willmer, eine neue Englischlehrerin, für Aufregung unter den Mädchen. Sie wirke merkwürdigerweise immer ein wenig unordentlich und ausgefallen. Trägt sie Piercings und Dreadlocks? "Um den Hals hatte sie meist einen Schal gewunden, und ihre zu weiten Kleider wurden von einem grellen Gürtel zusammengehalten. Ihre schwarze Hochfrisur steckte voll goldener Haarnadeln." Fräulein Willmer ist aber nicht nur unordentlich und extravagant, sondern auch androgyn: "'Danke schön, Elli', sagte sie mit der gewohnten, tiefen Stimme, die Anneliese und Elli so gefiel." Bei den beiden Büchern von Enid Blyton, die ich im Abstand von über 30 Jahren gelesen habe, gab es jeweils ein Mädchen, das eigentlich ein Junge war. Damals war es die breitschultrige beste Schwimmerin der Schule, die von der Heldin des Buchs einmal aus den Meeresfluten geretten wird, hier ist es Marianne: "Marianne war ein großes, stämmiges Mädchen. In ihrem Schlafanzug sah sie bei dem trüben Licht wie ein Mann aus." Süchtig machen übrigens die herrlichen Kapitelüberschriften: "Marianne wird anmaßend", "Angela verliert die Beherrschung" oder "Einiges wird klargestellt". Am besten gefällt mir aber: "Das Schuljahr geht weiter". Wer will da nicht weiterlesen? Leider kommt man, wenn man sich nicht konzentriert, mit den vielen Personen durcheinander. "Freudig ergriff Angela die Gelegenheit, Sabine zu bevorzugen, da sie von Marianne vernachlässigt wurde." Und es gibt noch Elma, Carla, Ulla, Roberta, Jenni, Claudine, Beate, Viola, Katie, Hilda, Monika, Carlotta, Petra. Das erinnert mich an epische Tochtermonologe an den Nachmittagen nach der Schule. Ein sehr unübersichtliches und komplexes Soziogramm wird dort immer entworfen, zuviel für mein Gehirn. Dann lieber Enid Blyton, bei der ich mich wenigstens selbst wiederfinde: "'Das ist Petra, das Gehirn der Klasse', sagte Hilda und zog ein kleines schmächtiges Mädchen nach vorn, das mit großen, kurzsichtigen Augen durch dicke Brillengläser blickte. 'Sie arbeitet viel zu viel, aber niemand kann sie davon abhalten!'" Die dichtende Anneliese überlegt sich, ob sie schlafwandeln soll. "Wenn die Mädchen aufwachen und mich sehen, dann halten sie mich bestimmt für etwas Besonderes." Sie zeigt Fräulein Willmer ihre Werke, die brutal reagiert: "Zerreiße all deine Gedichte, Anneliese, und bereite dich auf die kommenden Klassenarbeiten vor." Anneliese kommt darauf, ein "echtes" Gedicht von Hand abzuschreiben und als ihres auszugeben, um es von Fräulein Willmer beurteilen zu lassen, ein teuflischer Plan! Am Ende wird natürlich alles gut. Auch Elma, die immer nachts an den Vorratsschrank geht, soll geholfen werden. Hilda sagt: "'Es stimmt etwas nicht mit ihren Drüsen. Deshalb ist sie auch so fett und immer hungrig, und deshalb sieht ihr Gesicht so teigig aus. Von ihrer letzten Schule wurde sie weggeschickt. Aber Fräulein Theobald möchte sie behalten, bis die notwendige Operation vorgenommen werden kann.' 'Armer, alter Pudding', sagte Doris. 'Wie ich sehe, müssen wir uns mit unserer dicken Elma auch weiterhin abfinden.' Und sie ahmte Elma nach, daß die Mädchen vor Lachen schrieen. Aber es war kein böses Lachen. Alle waren bereit, Elma in ihre Gemeinschaft aufzunehmen und ihr zu helfen, sogar die selbstsüchtige Angela und die wilde Carlotta."

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Kommentare 2
  1. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor mehr als 8 Jahre

    Ich habe vor einer Weile mal versucht, die in den napoleonischen Kriegen angesiedelten Abenteuer des Kapitän Horatio Hornblower, von C.S. Forester, zu kaufen. Die Bücher habe ich als Kind geliebt und wollte sie weiterreichen an die nächste Generation. Aber der Buchhändler meinte, das werde heute nicht mehr verlegt, der Inhalt sei zu kriegstreiberisch, zu männerverherrlichend, allgemein zu wenig fortschrittlich.
    Etwas beschämt habe ich das hingenommen, habe mich aus dem Laden verdrückt in der Hoffnung, unerkannt zu bleiben. Aber manchmal denke ich doch neidisch an die Kinder, die alles, einfach alles, lesen können, ohne dabei rot zu werden.

  2. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor mehr als 8 Jahre

    wirklich gruselig...ich hoffe deine Kinder können das ab! Meine Tante schrieb unter dem Namen Tina Caspari auch für Schneider, wobei bei Schneider auch nicht so ganz genau geschaut wurde, glaube ich, wer nun jeweils der Autor oder die Autorin war. So war meine ganze Kindheit ein inflationäres weil kostenloses Wirrwarr aus Tina und Hanni und Tini und Nanni und Bille und Zottel und den fünf Freunden und den Jungens von Burg Schreckenstein...ich sollte mich vielleicht doch mal untersuchen lassen.

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