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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Daniel Clowes ist für mich einer der größten Graphic-Novel-Autoren, seine Bücher ("Ghost World", "Mister Wonderful", "Pussey!") muß man alle lesen und ich warte immer sehnsüchtig auf neuen Stoff wie früher bei meinen Lieblingsbands. Dabei überbietet er sich immer wieder darin, ein noch bittereres, traurigeres und abgründigeres Album abzuliefern. In der Form eines Comics kann man so etwas aber verdauen, zumal wenn die graphische Kunst so großartig klar und gleichzeitig experimentell ist und die Repliken und Dialoge so pointiert geschrieben (während man bei anderen Comic-Autoren oft mit dem Blättern kaum nachkommt, weil der Text eigentlich nebensächlich ist.) In dieser Form ist Comic eine Kunst, auf die Film und Literatur neidisch sein müßten. Die deprimierende amerikanische Kleinstadt-Adoleszenzhölle malt Clowes in "The Death-Ray" mal wieder mit wenigen Strichen, aber in diesem Buch geht es um viel mehr, es erzählt von der Geburt eines Superhelden, der sich, und das ist ganz folgerichtig entwickelt, am Ende als Menschenfeind erweist. Ein bißchen wie in "Breaking Bad" wird man dazu verführt, die Wandlung des sympathischen Helden zum Verbrecher gut zu finden. Denn am Anfang ist Andy nur ein sympathischer Außenseiter und verdient unser Mitgefühl. Er ist Vollwaise und lebt beim Großvater, der langsam dement wird. Die Eltern sind an Krebs und Schlaganfall gestorben. Sein emotionales Leben besteht darin, daß er Briefe an seine Freundin Dusty schreibt, die in einer anderen Stadt einmal ein Jahr lang seine Nachbarin war, und die er seitdem gar nicht mehr gesehen hat, vermutlich ist sie auch einfach strohdumm. Die Folklore der Erniedrigungen an amerikanischen Schulen kennt man ja aus Film und Fernsehen, oft beginnt der Streit an einem der Metallspinde auf dem Flur, die sie dort haben. Die Angst vor dem Sportlehrer, der hier genialerweise Coach Pasternak heißt, gehört auch dazu. Andy reagiert mit selbsterhaltender Logik: "I don't feel sorry for myself, but sometimes I think all these tragedies couldn't just be a coincidence. Maybe it means something. Maybe I'm destined for something big." Die Lösung ist so einfach und überzeugend: man ist gar kein Looser, sondern in Wirklichkeit ein Superheld auf geheimer Mission, der aber niemandem etwas davon erzählen darf. Das ist eine für Jugendliche immer wieder attraktive Denkfigur. Nun kommt Andy aber tatsächlich zu Superkräften, weil sein verstorbener Vater, der Wissenschaftler war, dafür gesorgt hat, daß er, sobald er die erste Zigarette raucht, also in einem Alter, in dem man Superkräfte dringend nötig hat, vom Tabak beflügelt wird, alle Ängste verliert und stark ist. Andy ist allerdings der erste Superheld mit hängenden Schultern, der zu gar nichts motiviert ist. Was ist, wenn der Superheld ein antriebsloser, depressiver Jugendlicher ist, der mit seinen Superheldenkräften nicht viel anzufangen weiß? Weil sich ja trotzdem nichts ändert in der Welt, die Dinge bleiben so traurig, wie sie sind. Es geht aber noch weiter, mit einer alten Spielzeugpistole kann Andy Lebewesen wegzaubern. So eine Fähigkeit kann man wie Raskolnikoff einsetzen und die Welt von gemeinen Pfandleiherinnen befreien, man kann aber auch aggressive Mitschüler verschwinden lassen oder die vielen anderen egoistischen und unsozialen Menschen, die die Gesellschaft vergiften. Am Ende ploppt Andy Menschen weg, die auf der Straße gedankenlos Papier wegwerfen. Wenn man alle beseitigt, die einem gegen den Strich gehen, ist man natürlich irgendwann alleine auf der Welt. Wer ist dann unsozial, man selbst oder die anderen? Eigentlich ist das Buch ein Lehrstück: was wäre wenn es einen Death-Ray gäbe? Wie oft ertappt man sich bei dem Gedanken, daß die Welt besser wäre, wenn mehr Menschen wären wie man selbst. Von so einem Denken ist es nicht weit zum Sendungsbewußtsein eines Terroristen. Es ist eine soziale Leistung, Menschen, die der Gesellschaft schaden, die einen mit ihrem Egoismus und ihrer Dummheit täglich deprimieren und mit ihrer toxischen Ausstrahlung belasten, nicht einfach zu vaporisieren, sondern auszuhalten. Es ist ja auch äußerst unwahrscheinlich, daß man von anderen nicht selbst als so ein Mensch empfunden wird. Am Ende ist Andy ein trauriger, einsamer Mann mit Superkräften, für den sich die Aufgabe, für eine gerechte Bestrafung der Übeltäter zu sorgen, wie "Homework" anfühlt. Und so wird von Clowes ein ganzes Genre weitergedacht und umgedeutet, der Superheld als in jeder Beziehung gescheiterte Gestalt.
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Es ist schade, dass Autoren immer noch nicht ganz ernst genommen werden, wenn sie das Mittel des Comics nutzen. Clowes hätte eigentlich ein paar Literaturpreise verdient.
Danke für den Tip. Clowes ist wirklich ein großartiger Autor.