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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Über meinem Schreibtisch hängt ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie eine russische Dampflokomotive eine Sojus-Rakete durch die kasachische Steppe zur Startrampe fährt. Mich fasziniert daran die Gleichzeitigkeit von Technologie aus verschiedenen Epochen, ein Phänomen, das sich in Russland durch die dort übliche, mangelbedingte, lange Nutzung von Technik besonders gut beobachten lässt. Die von dort bekannte, robuste Auffassung von Technik (wenn das Auto im Winter nicht anspringt, macht man ein Feuer unter dem Motor), hat ihre Komik, aber auch ihren Charme (die Schäden für die Umwelt dürfen hier natürlich nicht vergessen werden). Es ist aber einfach immer wieder faszinierend, wie man es auf diese Art ins Weltall geschafft hat. Die russische Raumfahrt hat eine lange Geschichte und es gibt zahllose Museen und Monumente, die sich dem Thema widmen und deren Architektur und künstlerische Ausstattung einen hohen Schauwert hat. Wollte man sich über die Erinnerungsorte der Raumfahrt auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion einen Überblick verschaffen, müsste man an entlegene, teilweise bis vor kurzem noch geheime Orte reisen: Swjosdny Gorodok (Sternenstädtchen), mit den gigantischen Trainingszentrifugen und mit einem weltweit einzigartigen Hydrolaboratorium, Koroljow, der Sitz des größten russischen Raumfahrtkonzerns, mit dem firmeneigenen Museum, Kaluga, mit dem spektakulären Bau des Museums für Kosmonautik, das Moskauer Museum für Kosmonautik auf dem Gelände der Allunionsausstellung (mein russischer Brieffreund hatte mir ein Modell des Denkmals für die Bezwinger des Weltraums, unter dem sich das Museum befindet, geschenkt, und ich habe es irgendwann weggeworfen …), das Leonow-Denkmal in Kaliningrad, das Stadtmuseum von Baikonur, das laut Autoren mit seiner unfreiwilligen Retro-Ästhetik in Berlin Kultcharakter hätte. Das überaus reich bebilderte, großformatige Buch "Architektur für die Russische Raumfahrt" ist zwar nicht billig, aber immer noch preiswerter als eine solche Rundreise. In durchweg interessanten Einzelbeiträgen widmet es sich den verschiedenen materiellen Aspekten der russischen Raumfahrt, von der Innenarchitektur der Raumschiffe, über die Gedenk- und Museumsarchitektur, die Planung von Swjosdny Gorodok am Rand von Moskau, wo die Kosmonauten, Wissenschaftler und Ingenieure lebten (hier befindet sich Gagarins Arbeitszimmer, in dem die Wanduhr im Moment seines Unfalltods stehengeblieben sein soll. Wer mit Blick auf die Zifferblätter einen Wunsch ausspricht, dem wird er erfüllt), über die Gestaltung und Herstellung der Raumanzüge, bis zur Heraldik und Philatelie (mein russischer Brieffreund legte jedem Brief zahlreiche barock gestaltete Marken bei, zwei Themen dominierten: Lenin und Kosmonautik). Es ist ein in jeder Beziehung opulentes Werk, das eine bei uns immer noch wenig bekannte Bildwelt erkundet und analysiert. (Herrlich, das Bild von den Topfpflanzen vor den Nachbauten der ISS-Module im Gagarin-Trainingszentrum von Swjosdny Gorodok). Schon das Titelbild zeigt ein großes Mosaik im Raumfahrtkontrollzentrum in Koroljow, das anläßlich der russisch-amerikanischen Apollo-Sojus-Mission von 1975 gebaut wurde, auf dem die Trinität von Konstantin Ziolkowski, Juri Gagarin und Sergej Koroljow zu sehen ist. Man kann gar nicht anders, als hier einen Niederschlag der christlichen Ikonographie zu sehen (Vater Ziolkowski, Sohn Koroljow und heiliger Geist Gagarin), und das ist ja auch ein Thema des Buchs, wie die Kosmonautik zu einer Ersatzreligion in der sozialistischen Gesellschaft wurde, was komische, pathetische, aber auch poetische Aspekte hat. Eine real gewordene Utopie, die man brauchte, wo es mit dem Kommunismus in der Realität noch haperte. Nirgends war die Propaganda so erfolgreich wie bei der Feier der Leistungen der Raumfahrtpioniere und der Kosmonauten, die von der Bevölkerung tatsächlich akzeptiert wurden. (Nur folgerichtig, dass ausgerechnet der sympathische und integere erste deutsche Kosmonaut Sigmund Jähn in den gefaketen Nachrichten in "Goodbye, Lenin" als neues Staatsoberhaupt der DDR ausgerufen wurde.) Man kann vielleicht mit Recht davon sprechen, dass die Kosmonautik in Russland eine eigene Kunstepoche darstellte, denn ihre Ästhetik findet sich in Kunst, Denkmalkultur (das spektakuläre, 38 Meter hohe Gagarin-Denkmal in Moskau von 1980, auf dem er zu einer 13 Meter hohen Rakete aus Titan wird), Architektur (jeder Zirkus eine fliegende Untertasse) und Film. In einem Text wird gezeigt, wie sich die Phantasien der russischen Konstruktivisten in Gebäuden niederschlugen, die schon die Überwindung der Schwerkraft zum Programm hatten (durch andere Bildbände berühmt sind inzwischen das runde Hotel Drushba auf der Krim und das Ministerium für Straßenbau in Tbilisi). Man kann hier eine Linie zum Bau der ersten Raumstation ziehen, denn in den Architekturphantasien wurde immer wieder in der Luft gebaut. Den Mittelpunkt des Buchs bildet ein Beitrag über Galina Balaschowa, die Architektin, die eher zufällig verantwortlich für die Innengestaltung russischer Raumschiffe bis zur Station Mir wurde. Diese faszinierende, heute über 80 Jahre alte Frau, die äußerlich perfekt den Typus des russischen Mütterchens verkörpert und in einer kleinen Neubauwohnung in Koroljow nahe bei Moskau lebt, hat im Herzen der russischen Raumfahrt gewirkt, ihre großzügig abgebildeten, farbigen Entwurfszeichnungen für die Inneneinrichtung von Raumschiffen und Raumstationen sind eine absolute Entdeckung. (Inzwischen gab es dazu eine Ausstellung, die am Architekturmuseum Frankfurt/Main zu sehen war.) Leise deutet sich an, dass es eine Frau brauchte, um den Männern im All so etwas wie ein Heim zu schaffen, denn daran hatte vorher niemand gedacht (wie macht man aus einem Raumschiff eine Wohnung? Wie macht man farblich klar, wo Oben und Unten ist? Wie schafft man in dieser Enge Nischen und Rückzugsräume?)
Das kiloschwere Buch ist erschienen im Verlag DOM publishers von Architekt und Verleger Philipp Meuser. Der Verlag leistet sich "Solitäre", opulente Bände, die z. B. die Erforschung des sozialistischen, sowjetisch geprägten Städtebaus zum Thema haben. Jenseits von ideologischen Debatten wird hier ein reichhaltiges Material zur Typologie des sowjetischen Massenwohnungsbaus gesichert. Das Verlagsprogramm beschränkt sich aber bei weitem nicht darauf. Es erscheinen Texte zur Architekturmoderne, Achitekturmanuale (z. B. eine Entwurfshilfe für Containerbauten und ein Handbuch für barrierefreies Bauen) und zahlreiche Architekturführer, darunter auch solche für eher spezielle Städte wie Astana, Bischkek, Pjöngjang oder Osnabrück. Anscheinend macht sich Philipp Meuser mit jedem dieser Bücher selbst ein Geschenk.
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Das ist was für meinen Wunschzettel zu Weihnachten. Und in der Wartezeit schaue ich mir Der Himmel Ruft von Karzhukov an: https://youtu.be/Pp6-F...