sharing is caring
ist wirklich so!
Vielen Dank fürs Teilen!
Kluge Köpfe filtern für dich relevante Beiträge aus dem Netz.
Entdecke handverlesene Artikel, Videos und Audios zu deinen Themen.
Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Es geht weiter in der Debatte, die der Historiker Egon Flaig um die blinden Flecken der postkolonialen Theorie angestoßen hat – wobei das Wort "Debatte" sehr treffend sein dürfte, schließlich steckt da noch das französische Verb "battre" drin, was so viel wie "schlagen" und "kämpfen" bedeutet. In freundlichem Wohlgefallen wird sich dieser Streit jedenfalls nicht auflösen.
Flaig hatte im Oktober in der FAZ geschrieben:
Seither leugnet der antikoloniale Diskurs vier historische Tatsachen: nämlich dass sämtliche Hochkulturen und, wie Orlando Patterson 1982 nachwies, auch eine Menge vorstaatlicher Gesellschaften sklavistische Systeme waren; dass nur in der westlichen Kultur ein Abolitionismus entstand und die weltweite Abschaffung der Sklaverei eine westliche Errungenschaft ist; dass sämtliche Eroberer diverse Formen von Kolonialismus praktizierten, wobei der arabische sicherlich der erfolgreichste war; dass Rassismus ein ubiquitäres Phänomen und in sklavistischen Gesellschaften geradezu unvermeidbar ist, und dass der hautfarbige Rassismus eine arabische Kreation ist.
Und Flaig schrieb auch:
Historische Gerechtigkeit ist nicht zu haben ohne historische Wahrheit.
Für seinen Text wurde Flaig kürzlich von dem Historiker Robert Heinze angegriffen, ebenfalls in der FAZ. Heinze schrieb unter anderem:
Noch weniger haltbar ist das Argument, der Kolonialismus sei durch die Bemühungen der Europäer begründet, die Abolition auch weltweit durchzusetzen. Auch hier relativiert Flaig Kontinuitäten wie die, dass das sklavistische Plantagensystem selbst im kolonialen Kontext entstand. Zudem wiederholt er ohne quellenkritische Reflexion die Selbstlegitimation der historischen Akteure der Kolonisierung. Dabei übernimmt er eine ganze geschichtsphilosophische Idee aus dieser Zeit, indem er schreibt: „Jeder Begriff von Fortschritt schleppt die Inkaufnahme der Kosten seiner eigenen Universalisierung mit sich.“ Flaig rechtfertigt damit Invasionen, Gewalt, den massiven Eingriff in afrikanische Gesellschaften und die jahrzehntelange Unterdrückung und rechtliche Diskriminierung kolonialer Untertanen. Das ist die Geschichtsphilosophie jenes Historismus, der selbst ein wesentlicher Bestandteil des kolonialen Projekts war.
Eben dies – dass der Historismus ein wesentlicher Bestandteil des kolonialen Projekts war – wird von dem Althistoriker Burkhard Meißner zurückgewiesen (seinen Text kann man auch für einige Tage auf Blendle nachlesen). Was Historismus ist, wird an dieser Stelle erklärt.
Meißner schreibt:
Kolonialismus, ein Hauptgegenstand des Dissenses zwischen Flaig und Heinze, war eine Sache, an der Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg einen vergleichsweise kleinen Anteil hatte. Wie immer man die Wirkungen und Nachwirkungen der kurzen, rund fünfzigjährigen deutschen Kolonialgeschichte bewertet: Andere europäische Mächte waren Kolonialmächte in ganz anderen Dimensionen als Deutschland (und andere Staaten der Zeit mit einem deutschsprachigen Kulturraum), und dies über einen viel längeren Zeitraum, vom fünfzehnten bis ins ausgehende zwanzigste Jahrhundert hinein, fast zehnmal so lange wie die deutsche Kolonialgeschichte.
Mit dem Historismus verhält es sich nun aber genau umgekehrt: Dieser war in der deutschsprachigen Welt für viel längere Zeit kulturell bestimmend, und dies in viel bedeutsamerer Weise als in der romanischen und anglophonen Welt. Generell war außerhalb Deutschlands der Historismus als intellektuelle Strömung viel weniger einflussreich, und es gab schon früh wichtige Alternativen zum Historismus. Man wird in dieser Hinsicht neben die von Heinze etwas vereinfachend als französische Gegenbewegung gegen den Historismus angeführten „Annales“ auch deren direktes Vorbild, die mehr als ein Vierteljahrhundert ältere „Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte“, stellen müssen: In Deutschland deutlicher als in den vom Historismus weniger geprägten Wissenschaftskulturen war die Geschichte des Historismus immer auch eine Geschichte der Kritik des Historismus.
Überhaupt kritisiert Meißner, dass noch immer keine Auseinandersetzung mit Flaigs Kernthesen stattfinde. Stattdessen ziele man auf Pappkameraden und schieße auch noch daneben.
Im Kern hätte es in der Debatte eigentlich um die Frage der Wahrheit dieser von Heinze abgelehnten Thesen Flaigs gehen müssen. Diese Thesen fasst Heinze selbst wie folgt zusammen: „Transatlantischer Sklavenhandel, europäischer Kolonialismus und Rassismus seien keine historischen Sonderfälle, die Abolition und die ‚Zivilisierungsmission‘ dagegen schon.“ Zur Widerlegung dieser Thesen wird von Heinze aber wenig gesagt: Die Plantagenwirtschaft sei das Besondere und Einzigartige der modernen kolonialen Sklaverei, und die Haitianische Revolution gilt ihm als Beispiel für eine nichteuropäische Sklavenbefreiung. Plantagenwirtschaft mit Sklaven als historischer Sonderfall, römischer Latifundienwirtschaft zum Trotz? Die Haitianische Revolution ohne Revolutionäre und Revolution aus Paris?
Ich finde es lohnenswert, sich mit den Beiträgen zu beschäftigen. Ob wohl noch eine Widerlegung der Thesen von Flaig kommt? Dazu müsste etwa gezeigt werden, dass nur Europäer andere Menschen versklavt, fremde Länder kolonialisiert und rassistische Theorien ersonnen haben – und dass auch anderswo in der Welt ein aufgeklärtes Denken dazu geführt hat, dass von den dortigen Regimen unterdrückte Menschen umfassende Rechte erhielten.
Quelle: Burkhard Meißner Bild: AKG Artikel kostenpflichtig www.faz.net
Bleib immer informiert! Hier gibt's den Kanal Zeit und Geschichte als Newsletter.
Einfach die Hörempfehlungen unserer Kurator'innen als Feed in deinem Podcatcher abonnieren. Fertig ist das Ohrenglück!
Öffne deinen Podcast Feed in AntennaPod:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Apple Podcasts:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Downcast:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Instacast:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Apple Podcasts:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Podgrasp:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Bitte kopiere die URL und füge sie in deine
Podcast- oder RSS-APP ein.
Wenn du fertig bist,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in gpodder.net:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Öffne deinen Podcast Feed in Pocket Casts:
Wenn alles geklappt hat,
kannst du das Fenster schließen.
Wieso rechtfertigt Flaig mit der These, der ich unbedingt folge:
"Historische Gerechtigkeit ist nicht zu haben ohne historische Wahrheit"
Invasionen, Gewalt, den massiven Eingriff in afrikanische Gesellschaften und die jahrzehntelange Unterdrückung und rechtliche Diskriminierung kolonialer Untertanen? Das ist doch ein geradezu paranoider Vorwurf. Und ja, er wird nicht mal annähernd versucht logisch zu belegen. Einiges in den Wissenschaften scheint mir ziemlich auf den Hund gekommen zu sein ……
Einen früheren piq von Dirk Liesemer zum Text von Egon Flaig findet man unter diesem Link: https://www.piqd.de/ze...
Das in der FAZ begonnene und von der ZEIT und der FR aufgenommene Streitgeschreibe wird heute von Aleida Assmann frei zugänglich fortgesetzt.
https://www.fr.de/kult...
Allmählich wird das schwere Geschütz ausgepackt:
"Flaigs Angriff auf die deutsche Erinnerungskultur ist wesentlich subtiler als der von Björn Höcke, der das Berliner Mahnmal ein ‚Denkmal der Schande‘ nannte, aber er hat dasselbe Ziel: Er spricht dieser Erinnerung jegliche Berechtigung ab. Flaig negiert damit ein normatives Fundament, das im ersten Historikerstreit gelegt wurde und in die demokratischen Strukturen der Gesellschaft eingegangen ist. Und er tut dies im Kontext der kolonialen Debatte des zweiten Historikerstreits, in dem er gegen die „universitär legitimierten Unwahrheiten“ der Tochter Rebekka Habermas zu Felde zieht."