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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Ein informatives, 45minütiges Stück von Jörg Biesler über einen jahrzehntealten Streit, der nun nicht nur erneut, sondern auch unter neuen Vorzeichen aufflammt: Es geht um die Frage, ob der Holocaust ein einzigartiges Verbrechen war, das eben präzedenzlos für sich steht, oder ob er nicht vielmehr als eine konsequente Fortführung kolonialer Verbrechen zu betrachten ist.
Entzündet hat sich die jüngste Debatte an Israels Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen, das zu vielen Tausenden toten Zivilisten geführt hat. Bieslar hat sich für seinen Podcast zwei Historiker zur Seite geholt, zum einen Stephan Malinowski, zum anderen Sebastian Conrad.
Malinowski erinnert an den Historikerstreit von 1986, der sich an Texten von Ernst Nolte entzündete, einem "brillanten Spezialisten der Faschismusforschung". Nolte zufolge seien die Verbrechen des NS-Regimes eine Antwort des europäischen Bürgertums auf die bolschewistische Revolution in Russland gewesen. Zudem habe der Gulag als eine Art legitime Vorlage für die NS-Konzentrationslager gedient. Sprich: Das NS-System sei eine Antwort auf die fundamentale Bedrohung durch die Bolschewisten gewesen.
Dem widersprachen Intellektuelle um Jürgen Habermas vehement. Sie warfen Nolte nichts weniger als Geschichtsrevisionismus vor – einen Vorwurf, mit dem man es Malinowski zufolge in den 1980er-Jahren überzogen habe.
Das Ganze sei nicht nicht nur ein Historikerstreit gewesen, sondern auch eine Debatte zwischen den politischen Lagern. Dabei verteidigten linksliberale Denker und Politiker die Einzigartigkeit des Holocaust, während konservative auf historische Kontexte wie die russische Revolution verwiesen.
Heute sei es genau umgekehrt: Während die Konservativen die Einzigartigkeit des Holocaust hochhielten, verweise ein guter Teil linker Historiker auf koloniale Gewalttraditionen. Damit stelle sich die Frage, ob Vergleiche überhaupt erkenntnisfördernd seien. Und darum geht es in diesem Debattenstück.
Eine Prognose, wie der Streit dem Podcast zufolge ausgehen könnte, will ich hier andeuten: Es wird wohl auf einen Kompromiss zwischen beiden Positionen hinauslaufen. Konkreter: Der Holocaust wird in eine globale Geschichte der Gewalt eingebettet werden, aber gleichwohl weiterhin einsam und weitgehend unverbunden aus ihr herausragen.
Quelle: Jörg Biesler Bild: imago / epd www.deutschlandfunk.de
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Ausgeschlossen ist ein Ende im Kompromiss nicht.
Allerdings gibt es im aktuellen Merkur eine andere Deutung von Albrecht Koschorke. Hier wird diese Auseinandersetzung zum Gleitstoff für eine neue Welt(un)ordnung.
https://www.merkur-zei...
Solche Symbolkämpfe spiegeln eine verschobene geopolitische Machtbalance wider. Die Debatte um den jüngsten Gaza-Krieg deutet auf einen Umbruch hin, den man ohne Übertreibung epochal nennen kann. Zum einen ist ein seit Jahrzehnten im Gange befindlicher Prozess zum Abschluss gekommen: Die Juden sind »Weiße« geworden. Nicht zu ihrem Vorteil, denn statt dass ihnen noch der Kredit eingeräumt wird, eine rassistisch diskriminierte Minderheit zu sein, rücken sie nun an die Seite der Kolonialisten. Die Gründung eines jüdischen Staates Israel in Palästina, dessen Unterstützung durch die USA und Europa, schließlich die seit Jahrzehnten andauernde Entrechtung der Palästinenser haben die Juden in der Wahrnehmung eines Großteils der Weltöffentlichkeit selbst zu weißen Machthabern werden lassen – ungeachtet der Tatsache, dass Hunderttausende jüdische Israelis ihrerseits Nachkommen von Vertriebenen aus arabischen Staaten sind.
Das hat zur Folge, dass der Antisemitismus, der einmal der Inbegriff von rassistischer Diskriminierung war, in dem neuen Bild der »weißen« Juden nicht unterzubringen ist und im postkolonialen Diskurs marginalisiert wird. Die Juden sind gewissermaßen auf die Verliererseite der Opferkonkurrenz geraten. Darin liegt einer der Gründe für die anhaltende Diskussion um die Singularität des Holocaust – sei es, indem die systematisch betriebene Vernichtung von sechs Millionen Juden nun in eine Reihe mit anderen genozidalen Gewaltexzessen rückt und dadurch ihre Singularität einbüßt, sei es, indem das Gedenken des Holocaust den Charakter einer deutschen Spezialangelegenheit annimmt und zur Sache der Vergangenheit erklärt wird: »Free Palestine from German Guilt«.
Vielen Dank für diesen ausgesprochen informativen und aufschlussreichen piq. Ich verfolge diese Debatte schon länger. Ich neige aufgrund dessen dazu, mich deiner Schlussfolgerung, dass es wohl auf einen Kompromiss zwischen beiden Positionen hinausläuft, anzuschließen.