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Medien und Gesellschaft

Der Netflix-Effekt: Was der Erfolg von US-Serien für den deutschen Journalismus bedeutet

Daniel Erk
Stv. Redaktionsleiter Tagesspiegel Berliner, freier Journalist und Autor
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Daniel ErkFreitag, 15.03.2019

Manchmal fallen mir Kleinigkeiten auf, die sich erst über Wochen zu einem Verdacht erhärten. Zum Beispiel: Das mit Abstand beliebteste Magazin in meinem Umfeld ist weder das Zeit-Magazin, noch das SZ-Magazin, auch nicht mehr Dummy oder Brand Eins (die Spex gibt's ja nur noch online). Es ist mittlerweile: der New Yorker.

Und das ist für den deutschen Journalismus ein Problem. Man weiß nur noch nicht genau, was für eins. Aber es gibt Anhaltspunkte.

Vor einigen Wochen erschien im Tagesspiegel Berliner* eine Reportage des Comedy-Autors Stefan Stuckmann, über die ich seitdem viel nachgedacht habe.

Gar nicht so sehr, weil der Text toll und informativ und klug ist, wie Marcus Ertle hier auf Piqd ja schon schön dargelegt hat. Sondern weil ich glaube, dass der Text über die Qualitäten und Strukturen für US-Serien für den deutschen Journalismus einen Blick in die Zukunft ermöglicht.

Was kann man lernen?

1. Geld ist wichtig. Ich schätze, dass nur eine Hand voll freie Journalisten in Deutschland mehr als 2000 Euro für einen 20.000-Zeichen-Text bekommen. Beim New Yorker, sagt man, gehen die Honorare hoch bis 30.000 Dollar für eine ausführlichere Reportage. Hier zum Beispiel werden 7.750 Dollar für 5000 Worte erwähnt – vor zehn Jahren.

2. Strukturen sind wichtig. Bei vielen Ressorts und Medien fehlen heute die Textchef*innen und die Zeit, eine Artikel nochmals ganz grundsätzlich zu überarbeiten. Wie Stefan Stuckmann schreibt: In Deutschland herrscht der Geniekult. Der hat den schönen Vorteil, dass er billig ist: Zweit- und Drittkorrekturen, Redigate, lange Diskussionen, das kostet alles Zeit. Und damit: siehe Punkt 1.

3. Auf Dauer wird im Journalismus einsetzen, was bei Serien Alltag ist: Die USA setzen den Standard, die Deutschen enttäuschen (siehe 1 und 2) und die klügsten, interessantes und kaufkräftigsten Leser*innen wandern ab. Es hat schon angefangen.

Bloß: Was tun?


* Ich bin stellvertretender Redaktionsleiter des Tagesspiegel Berliners und total voreingenommen!

Der Netflix-Effekt: Was der Erfolg von US-Serien für den deutschen Journalismus bedeutet

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Kommentare 16
  1. Christoph Zensen
    Christoph Zensen · vor mehr als 5 Jahre

    Noch einmal zum Verständnis: Dir geht es weder um News noch um Meinungsjournalimus. Was bleibt denn da noch? Dieser Relotius-Journalismus?

    Das schau ich mir lieber als Doku im Fernsehen an. Somit wäre das Netflix für diese Art von Journalismus: Einfach Netflix.

    1. Daniel Erk
      Daniel Erk · vor mehr als 5 Jahre

      Ja, das ist ein bisschen komplexer, das durchschaut man nicht im vorbeigehen, stimmt schon. Ähnlich das Problem des Spiegel-Skandals aus dem Dezember, da merkt man auch sehr schnell, wer sich damit 10 Minuten beschäftigt hat – und wer bloß Überschriften liest. Aber für dieses intellektuell eher anspruchslose Publikum gibt es und wird es auch in Zukunft ein entsprechend heruntergedämmtes journalistisches Angebot geben. Und, klar, Unterhaltungsserien. Viel Spaß dabei!

    2. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor mehr als 5 Jahre

      @Daniel Erk Wer so einen klugen, interessanten und kaufkräftigen Bekanntenkreis hat, dem entgeht offenbar nichts.

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 5 Jahre

    Die Serie die ich meine hieß übrigens Amazonas verschollen im Dschungel.

    und mir fiel grad noch auf: was hat eigentlich netflix mit Nachrichten zu tun? :-) wird hier stillschweigend so getan als wären news Fiktionen?

  3. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 5 Jahre

    Ich erinnere mich an eine andere serie die ähnlich aufgebaut war wie LOST - und keinen Erfolg hatte. Das passiert nicht nur deutschen Ideen :-).
    netflix so sehr ich es bewundere wird wenn es nicht aufpasst am erfolgskonzept scheitern: a) wenn mal mehrere der teuren Produktionen keinen Erfolg haben wird es schnell selbst für einen Giganten gefährlich und b) je mehr serien netflix produziert und damit etwa auch "lokale" Regionen abdeckt wie etwa Deutschland oder Uganda, desto mehr wird sich verzettelt und gute serien machen sich untereinander Konkurrenz. Entweder netflix entwickelt (zusätzlich) eine Art "100 best off weltweit" oder bleibt Lieferant für fast traditionelle Fernsehsender - die dann für den Zuschauer filtert der nicht abend für abend aus 5000 serien seine Lieblinge raussucht oder vor lauter "meine liste" nicht mehr zum gucken kommt :-)

  4. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

    Auch in Deutschland gibt es viel Geld und Vermögen. Nur wird es lieber in dumme Immobilien, als in gute Texte investiert. Wer das auf Dauer nicht langweilig findet, wir so einiges verpassen was möglich ist. Nur Mut.

    1. Daniel Erk
      Daniel Erk · vor mehr als 5 Jahre

      Das ist gar keine Frage von Vermögen oder Können. Sondern von Infrastruktur – und Reichweite. Ein europäischer Ansatz, ja, in der Theorie wäre das was. Aber Europa ist ein Plural, der Weg, die Debatten dahin wären komplex. Auch deswegen werden die amerikanischen Angebote die Oberhand behalten, denke ich.

    2. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

      @Daniel Erk Ja, vielleicht ist dies eine Frage von Infrastruktur.

    3. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

      @Daniel Erk Vielleicht ist es aber auch keine Frage von Infrastruktur. Das wäre zu einfach. Evolutionstechnisch siegt die Vielfalt immer. Das ist einfach so. Kann man aber auch berechnen und belegen.

  5. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 5 Jahre

    hm. Warum sollten wir nicht beides haben können: New Yorker lesen und deutsche und eropäische Nachrichten. Allerdings: lese ich ersteres und letzteres dann auf englisch? Nur auf englisch? Dann wird es selbst für mich oft schwierig weil zumindest nicht immer locker und entspannt.
    und wo sind unsere europäischen news?

    1. Daniel Erk
      Daniel Erk · vor mehr als 5 Jahre

      Es geht ja nicht um News, also das bloß vermelden von Neuigkeiten. Das werden in absehbarer Zeit ohnehin Künstliche Intelligenzen und Übersetzer übernehmen, es gibt da schon weit entwickelte Technologien. Aber Reportagen funktionieren anders, schon kulturell. Selbst auf Deutsch übersetzt, wäre das ein fundamentaler Perspektivwechsel – Sitcoms werden ja auch synchronisiert und bilden trotzdem eine sehr amerikanische Weltsicht ab.

  6. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

    Danke für die 3. Punkte. Meine Frage ist: Wollen "wir" diese Entwicklung? Falls nicht, was tun "wir"? Oder schauen wir zu, wie Zuschauer ihres eigenen Lebens?

    1. Daniel Erk
      Daniel Erk · vor mehr als 5 Jahre

      Nein, wollen kann man diese Entwicklung meiner Meinung nach nicht. Am Ende entzweit sich die Medienlandschaft noch mehr, zwischen den globalen, mehrsprachigen, polyglotten Eliten, die die differenzierten, komplexen Analysen inhaltlich und sprachlich problemlos meistern. Und den lokalen Anderen, für die es nur noch Billignews und Agitation gibt, weil Lokaljournalismus stirbt und niemand mehr vor Ort, auf dem Land berichtet.

      Nur: Was kann man tun? Klar, man könnte nach dem Staat rufen, nach einem öffentlich-rechtlichen Magazinjournalismus, aber das wäre närrisch, wenn man den Text von Stefan Stuckmann einmal gelesen hat. Zu bürokratisch, zu besserwisserisch, zu wenig Mut, zu wenig Platz für Kreativität und Kunst – oder, am anderen Ende, zu nischig und elitär, Arte als Magazin spricht mich intuitiv auch nicht so richtig an.

      Sie erleben mich defätistisch, auch was meine persönliche Perspektive angeht. Sollte ich einen Kurs belegen, um künftig auch auf Englisch Reportagen schreiben zu können?

    2. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

      @Daniel Erk Defätistisch, wie selten lese ich dieses Wort. Danke für die kleine Erinnerung. Und nein, defätistisch würde ich es nicht nennen.

      Ich lese eine hervorragende Analyse des Ist-Zustandes. Und ich vermute, dass viele Kollegen ihn wohl zustimmen würden.

      Genau hier ist der zentrale Punkt, den ich oft erlebe. Die Menschen verharren in der Analyse, sie wagen nicht den Schritt, das Neue, das Wünschenswerte zu denken. Dabei wäre genau dieser Schritt wichtig. Die Wunsch-Zustand skizzieren.

      Wie wäre es idealer Weise?

    3. Daniel Erk
      Daniel Erk · vor mehr als 5 Jahre

      (in Antwort auf gelöschten Kommentar) Eine Leser*innenschaft, der Journalismus richtig Geld wert ist. Die dich über die Teilnahme an bestimmten Diskursen auch selbst versteht und bestimmt. Und die Abkehr von News und Meinung.

    4. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre

      @Daniel Erk OK, kann ich sehen. Was kannst Du (oder die Branche) tun, damit dies passiert?

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