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Flucht und Einwanderung

Gestern & Heute: Brennender Asphalt in Frankreich

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 03.07.2023

Bürgerkriegsähnliche Szenen, Tote und Verletzte, zerstörte Existenzen unten und oben die Absage des Staatsbesuchs von Präsident Macron in Deutschland.

Selbst wenn der Höhepunkt der Unruhen in der Banlieue überschritten sein sollte, bleiben zwei Fragen, die Daniel Binswanger in der Republik beantworten möchte und für die es nur Annäherungen gibt:

Was sagt es aus über die Entwicklung der französischen Gesellschaft, dass heute, achtzehn Jahre nach den verheerenden Banlieue-Unruhen von 2005 wieder derselbe Punkt erreicht zu sein scheint?

Und welche politischen Folgen werden diese Spannungen haben?

Wer wissen will, was 2005 geschah, dem sei diese Rückblende empfohlen: Damals analysierte Dominique Vidal die Unruhen in Le Monde diplomatique und warnte:

Wenn man die dringend nötigen Reformen dagegen verzögert, riskiert man die Vertiefung der Kluft zwischen dem „integrierten“ und dem ghettoisierten Frankreich. Wie einer der wenigen glücklichen Auserwählten von Science Po, Tarek, vor einigen Monaten sagte: „Man muss der zweiten und dritten Einwanderergeneration endlich gleiche Rechte zugestehen. Sonst wird ‚Brennender Asphalt‘ eines Tages nicht mehr bloß ein Film sein, sondern die furchtbare Realität der trostlosen Trabantenstädte.“ Im November 2005 hat der Countdown begonnen.

Seitdem ist einiges versucht worden, aber der gordische Knoten konnte nicht gelöst werden.

Und deshalb lautet das bittere, verständliche Fazit nach fast 18 Jahren von Daniel Binswanger:

Hat die französische Gesellschaft beim Anti­rassismus, bei der Integrations­politik, bei der Chancen­gleichheit noch immer keine Fortschritte gemacht?

An Anstrengungen, etwa im Bereich der Bildungs­politik, hat es nicht gefehlt. Es sind auch einzelne Erfolge erzielt worden, insbesondere die gesunkene Jugend­arbeitslosigkeit.

Die Gesamt­bilanz ist jedoch finster. Und je länger die Probleme ungelöst bleiben, desto heftiger werden die politischen Verwerfungen, die sie provozieren können.

Folgt nach den Unruhen eine Präsidentin Le Pen?

Gestern & Heute: Brennender Asphalt in Frankreich

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Kommentare 10
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Ich finde diese Erklärungen mit Rassismus irgendwie schief. Auch wenn sie gebetsmühlenartig wiederholt werden. Die französische Polizei besteht doch nicht aus reinblütigen Franzosen, eher im Gegenteil? Und die Bewohner der Banlieus hassen die anderen und die Polizei auch. Eine wechselseitige Gruppendynamik - wir gegen die anderen, die immer Schuld sind.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      Die Erklärung des Rassismus ist doch weniger gebetsmühlenartig gleich, sondern bei den besseren Beiträgen differenziert. Neben den beiden im piq empfohlenen Artikeln ist auch der von Behzad Karim Khani erhellend, den man auch auf blendle lesen kann.

      https://www.sueddeutsc...

      "Die Migranten in Frankreich, die zu einem großen Teil längst keine mehr sind, weil sie französische Staatsangehörige sind, die Sprache perfekt beherrschen, sie zu Hause und in ihren Herkunftsländern sprechen, wählen dürfen und in der Armee einem Land dienen müssen, das ihre Herkunftsländer während der Kolonialzeit unterjocht hat und bis zum heutigen Tag ausbluten lässt – sie können den desolaten Zustand ihrer Biografien von den französischen Ghettos zurückverfolgen zu den Slums in Afrika. Zu den Foltergefängnissen in Algerien, den Minen, Arbeitslagern und Plantagen im Kongo und so vielen anderen Ländern.

      Deutschland kann man Rassismus vorwerfen, Chancenungleichheit und vieles mehr. Deutschland mag an der Ausbeutung unserer Heimatländer, an den Waffenverkäufen und den Kriegen der USA beteiligt sein, aber das ist nicht unmittelbar genug. Man kann Deutschland nicht vorwerfen, dass es uns in unseren Herkunftsländern eine Gewalt angetan hat wie zum Beispiel Frankreich in Algerien.
      Die Postmigranten Frankreichs leben in einem ihnen feindlich gesinnten Staat. Und sie werden ihn wohl so wahrnehmen. In einem rassistischen Staat, der sich immer noch als Grande Nation sieht, damit aber nur die weißen, „echten“ Franzosen meint. Ein Staat, der sich nicht ernsthaft und konsequent mit seiner Verantwortung auseinandergesetzt hat, während Deutschland – noch über die Verantwortung hinaus – die Schuld beinahe zur Staatsreligion erklärt hat und Generation für Generation mit neuen und vertieften Fragestellungen an seine Vergangenheit herantritt und noch Jahrzehnte rantreten wird.
      Auch dadurch ist Deutschland trotz aller Schwierigkeiten für Migranten und Postmigranten durchlässiger als Frankreich."

      Dazu kommt auch ein innerafrikanischer Rassismus, den man unlängst in Tunesien beobachten konnte, und der in Städten wie Marseille relevant ist.
      https://www.zdf.de/nac...

      Und nicht vergessen: der erschossene Jugendliche ist nicht der erste Tote in den vergangenen Monaten, aber der, wo ein Handyfilm einen weißen Täter zeigte.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Achim Engelberg Auch das spielt das Lied vom allschuldigen Rassismus und den betroffenen als arme unschuldige Opfer ohne eigene Verantwortung, ohne Bringepflichten. Ohne jede Chance? Opfer, die auch schon mal Lehrer köpfen, wenn ihnen deren religiösen Ansichten nicht passen?

      Die ehemalige Unterjochung der Herkunftsländer als Urgrund und Ausbluter? Nimm nur Algerien. Lange Jahre unter Osmanischer Herschaft, dann ein Land der Piraten und Sklavenhändler. Später erst französische Kolonie um dann als ein französisches Department geführt zu werden. Dann ein brutaler Unabhängigkeitskrieg. Die Unabhängigkeit ist nun 60 Jahre her. Es gab ein desaströses sozialisisches Experiment und einen immens blutigen Bürgerkrieg mit islamistischem Hintergrund und Folterkellern. Alles Schuld der ehemaligen Kolonialherren? Wo sind denn hier die o.g. neuen und vertieften Fragestellungen zur eigenen Geschichte?

      Leben die Migranten wirklich in einem ihnen feindlich gesinnten Staat und sehen sie sich selbst nicht als Feind des Staates? Die brutalen Szenen von Polizeieinsätzen findet man doch genau so gegen Gelbwesten oder Studenten. Die aber nicht in geklauten Hoch-PS-Luxuskarren abhauen. Die Fehlhandlungen einer offensichtlich überforderten Polizei auf Rassismus zu reduzieren ist sicher die intellektuell einfachste Reaktion und sie passt in den politischen Machtkampf. Macht sie das richtig?

      Und nein, das Video, dass ich kenne zeigt keine eindeutig weißen Polizisten. Erst sind sie in voller Montur und später eher arabisch aussehend (aber das ist wahrscheinlich mein rassistischer Blick? 😏).

      https://youtu.be/f898f...

    3. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl ...kann sein, dass das dein rassistischer Blick ist ja.

      Jedenfalls könnte man das denken, wenn du den Betroffenen pauschal die Gesinnung unterstellst, die dann auch mal religiöse Morde verursacht. Und sowieso bei deiner eindeutig rassistischen und sehr, sehr flachen Bemerkung über die Luxusautos dieser Gruppe.

      Ich finde beides ekelhaft.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Marcus von Jordan Wem hab ich pauschal was unterstellt. Da ist es wieder. Selber pauschalisieren und dann den anderen dies vorwerfen, wenn sie sagen, es hat Morde gegeben. Im übrigen hab ich nicht gesagt, dass diese Gruppe Luxusautos hat. Sondern das die Gelbwesten nicht mit geklauten Luxusautos abhauen. Was offensichtlich in anderen Gruppen gerade en vogue ist. Was daran ist rassistisch? Ich hab den Eindruck, inzwischen ist der Vorwurf einfach zu einem beliebigen Schimpfwort geworden. So redet man sich die Welt zurecht. Aber die selbsternannten "Antirassisten" suchen ja gar nicht nach detaillierten Gründen z.B. für vermehrte Polizeikontrollen. Könne ja das eigene simple Weltbild gefährden. Da findet man lieber andere Meinungen ekelhaft. So brauchen wir wirklich nicht weiter zu reden.

      Ach ja, der antirassistische Blick sieht also weiße Polizisten, wo gar keine zu erkennen sind? Das nenne ich dann mal Autosuggestion. Oder sprechen wir über verschiedene Videos?

    5. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl das ist UNSER rassistischer Blick, der arabisch aussehende nicht für weiß liest. dabei gehören diese - zumindest in weißen westlichen Mehrheitsgesellschaften - auch zur POC..

    6. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl äh - sorry, aber ja - das ist UNSER rassistischer Blick, der arabisch aussehende nicht für weiß liest. dabei gehören diese - zumindest in weißen westlichen Mehrheitsgesellschaften - auch zur POC...

    7. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor mehr als ein Jahr

      @Achim Engelberg Weiß ich auch nicht recht, was diese historischen Hintergründe da bewirken. Habe auch Zweifel an der These vom Rassismus auf der einen Seite und der jetzt immer wieder unterstellten, linken Gesinnung auf der anderen. Ist es nicht viel unmittelbarer und schlichter? Die Politik versagt und lässt einfach zu viele zurück, die sich auf unterschiedlichsten Niveaus abgehängt und marginalisiert fühlen und die sich in der Folge radikalisieren, immer extremer werden und immer gewaltbereiter? Ich weiß es wirklich nicht, aber fände es falsch, wenn sich da ein "Entschuldigungs-Narrativ" bildet für schlechte Politik.

    8. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Marcus von Jordan Wenige Anmerkungen:

      1.) Also der Schütze ist ein weisser Polizist - zumindest was bislang bekannt geworden ist.

      Die Rechte nimmt es zum Anlass, für ihn zu sammeln.
      https://www.fr.de/poli...

      2.) Während es in Deutschland keine Zeitzeugen aus der Kolonialzeit mehr gibt, ist das in Frankreich nicht der Fall. Sie ist immer noch präsent. Man kann immer noch Gegenwartsfilme drehen.

      Besonders deutlich wird es im Werk von Michael Haneke, wo es deutschsprachige und französischsprachige Filme gibt. In letzten ist der Kolonalismus ein Gegenwartsthema.

      3.) Die Banlieue ist härter als zum Beispiel die Berliner Sonnenallee, die auch wieder Partymeile ist. Das wird im Beitrag von Behzad Karim Khani deutlich, der es ja selbst erlebte.

      4.) Dass es zu überraschenden Ergebnissen führt, wenn man Menschen in der Banlieue fördert, zeigt der ältere Artikel aus Le monde diplomatique:

      "Der Erfolg dieses Projekts einer positiven Diskriminierung, so viel ist sicher, hat in den Gymnasien der unterprivilegierten Viertel Hoffnungen geweckt. Man kann sich leicht vorstellen, dass eine derartige Quotierung den Integrationsprozess auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen beschleunigen und fördern würde."

      5.) Sarkozy allerdings regierte mit harter Hand. Straffällige Migranten sollten sofort abgeschoben werden, hieß es. Manchmal verhinderte der französische Rechtsstaat Schlimmeres.

      Selbst mit seinen Staranwälten könnte nun Sarkozy selbst verurteilt werden: https://de.wikipedia.o...

      6.) Rassismus muss nicht weiß sein; es gibt zum Beispiel einen arabischen Rassismus gegen Schwarze.

    9. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr

      natürlich ist es nicht nur Rassismus. natürlich ist es auch Klassismus. und eine im Vergleich zu Deutschland komplett andere .... nennen wir es mal .... Streit-, Streik- und Demo-Kultur, siehe Gelbwesten, Rentenproteste etc. zu letzt.

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