Vor ein paar Wochen schrieb Michelle Celarier einen Artikel über das von ihr sogenannte Phänomen des "Grift Shifts", eine "Gaunerei-Verschiebung" durch Venture-Capital- und Tech-Firmen, die ihre Investments nach Crypto-Hype und dem sang- und klanglos verpufften Metaverse nun in AI-Start-ups pumpen. Großer Profiteur dieses AI-Grift Shifts ist Nvidia, die Millionendeals über Grafik-Prozessoren mit diesen Firmen abschließen, in die Nvidia wiederum investiert. Nvidia investiert also vor allem in Firmen, die mit dem Investment GPUs von Nvidia kaufen, um auf den AI-Hypetrain aufzuspringen.

Also Vorzeigebeispiel dient Celarier ein Start-up, das sich vor wenigen Jahren als Pennystock-Firma von Applied Sciences in Applied Blockchain umbenannte und nun als Applied Digital AI-Hosting betreibt, mit bekannten AI-Marken wie Character.ai und Stability, zwei der größten Player im Generative-AI-Business, Millionenverträge abschließt und, natürlich, nicht weniger als 26.000 GPUs von Nvidia bestellte im Wert von über einer Milliarde Dollar. 

Piqd-Kollege Jannis Brühl hatte im August bereits auf Artikel über die sich bildende AI-Bubble hingewiesen – und dieser Text von Michelle Celarier liefert ein paar sehr erhellende Zahlen und Hintergründe dazu.

Der von mir gepiqde Text von Jürgen Geuter allerdings handelt nicht von diesem Grift Shift im Tech-Sektor, in dem sich Firmen hinter den Kulissen Verträge gegenseitig zuschustern, um den Hype am Kochen zu halten, auch wenn er Celariers Text als Ausgangspunkt nimmt, um ein grundsätzlicheres Problem mit der Ernsthaftigkeit des Tech-Diskurses zu untersuchen, der von Influencern durchseucht wurde, deren vorrangiges Ziel es ist, Content zu liefern und, ähnlich wie VC-Firmen, auf alle Hypes aufspringen.

Geuter definiert diesen diskursiven Grift Shift so: 

The Grift Shift is a new paradigm of debating technologies within a society that is based a lot less on the actual realistic use cases or properties of a certain technology but a surface level fascination with technologies but even more their narratives of future deliverance. 

Within the Grift Shift paradigm the topics and technologies addressed are mere material for public personalities to continuously claim expertise and “thought leadership” in every cycle of the shift regardless of what specific technologies are being talked about.

Nach Geuter nehmen diese vor allem durch YouTube geprägten Influencer ihre jeweiligen Sujets nicht ernst und diese dienen vor allem dem Vorgaukeln einer nicht existierenden Expertise, die sich mal mit Blockchains, dem Metaverse, künstlicher Intelligenz oder auch Superkonduktoren bei Raumtemperatur super auskennt, je nachdem.

Geuter konstatiert dem Tech-Diskurs, der diese diskursivmorphenden Grifter schulterzuckend hinnimmt oder gar als ernsthafte Gesprächspartner adelt (also allen), ein fortgeschrittenes Stadium von "content creator brain", das die Antithese bildet zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit einem jeweiligen Thema, und er hat Recht.

Ernsthaftigkeit im allgemeinen AI-Diskurs in den sozialen Medien würde sehr schnell aufräumen mit Debatten um Bewusstsein oder Kreativität in statistischen Modellen – und Fragen um die politischen und sozialen Auswirkungen dieser Technologien sowie deren Regulierung in den Fokus der Debatte stellen.

Für eine neue Ernsthaftigkeit des Tech-Diskurses bin ich gerne und immer zu haben: Der Titel meines allerersten selbst gemachten und geschriebenen digitalen Magazins, das ich im zarten Alter von 16 Jahren erfand und durch die Release-Group Amok auf dem C64 für sensationelle zwei Ausgaben herausgab, lautete immerhin: Serious.