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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Eigentlich wollte ich mich hier nicht mehr zum Gendern äußern, und manch einer mag jetzt denken, dass das wohl auch besser gewesen wäre. Aber nun wird das Gendern doch zu einem kleinen Wahlkampfthema, und es bleibt auch sonst ein Plagegeist. Dieser Tage haben einige Nachrichtenagenturen angekündigt, künftig "diskriminierungssensibler" zu berichten, was von Christian Geyer klug kommentiert wurde:
Ob es sich beim herkömmlichen Sprachgebrauch tatsächlich um Diskriminierungen handelt oder um etwas anderes, wird gar nicht erst gefragt. Man übernimmt Voraussetzungen, ohne ihre Triftigkeit zu prüfen. Anderenfalls müsste man ja eine Debatte über Bedeutungen führen, und das möchte man nicht, vermutlich um die Kompaktheit des sprachlichen Selbstverständnisses nicht zu gefährden. Sprachliche Genderdebatten verhindern Sprachbedeutungsdebatten, und die Nachrichtenagenturen verhindern gerade kräftig mit.
Hinweisen will ich auf einen Essay von Ingo Meyer, der als Korrektor im Berliner Verlag arbeitet. Er führt darin aus, warum das Genum ein geschlechtsblindes Sprach-Chamäleon ist. Unter anderem wird Ewa Trutkowski zitiert, die wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer DFG-Forschergruppe ist, deren Existenz ich mir bis eben nicht einmal vorstellen konnte: Forschungsgruppe 'Relativsätze', Teilprojekt 'Die linke Peripherie von Relativsätzen'.
„Die potenzielle Mehrdeutigkeit maskuliner Nomen war und ist kein Problem“, sagt die Linguistin Ewa Trutkowski, „denn der sprachliche und außersprachliche Kontext reduziert die Auswahl unterschiedlicher Interpretationen meistens auf die eine wahrscheinlichste.“ Sämtliche Studien, die gegen das Genum ins Feld geführt werden, operieren ohne solche Kontextualisierungen. Frauen und Diverse sind nicht unsichtbar in der Sprache. Sie sind unsichtbar in manchen Köpfen.
Klar, man kann jetzt bemängeln, warum ich nur Argumente gegen das Gendern vorstelle. Wer sich mit den anderen Argumenten befassen will, möge dem Kollegen Simon Hurtz folgen. Allerdings überzeugen mich die Gegenargumente nicht.
Im Kern geht es um die Frage, ob man unter Ärzten, Beamten und Politikern nur Männer versteht. Nein, natürlich nicht – da sind sich alle einig. Aber muss man das noch deutlicher machen?
Über zwei Strategien wird gestritten: Die einen wollen Wörter ändern, Sonderzeichen einführen und in die Grammatik eingreifen, damit man stets auf ein entsprechendes Schriftbild gestoßen wird.
Die anderen sagen: Hey, befasst euch mal mit der Bedeutung von Begriffen. Bei Worten wie "Ärzte" oder "Politiker" handelt es sich um allgemeine, geschlechtsneutrale Aussagen. Zudem: Grammatikalisches und menschliches Geschlecht sind zwei unterschiedliche Dinge: Die Sonne ist keine Frau, der Mond kein Mann.
Sollten wir also Bücher umschreiben oder an unserem Verständnis von Sprache arbeiten? Ich bin für Letzteres.
Wer es ausführlicher will, möge einen Blick in das Buch "Von Menschen und Mensch*innen" werfen. Es ist kürzlich im Springer-Wissenschaftsverlag erschienen und wurde von Fabian Payr verfasst. Im Feuilleton der FAZ heißt es:
Payr demonstriert, wie sehr das generische Maskulinum in der Grammatik des Deutschen verankert ist und welche Verwerfungen konsequentes Gendern nach sich ziehen würde. Das gilt nicht nur für Pronomen wie „wer“, „niemand“ oder „man“, die umgeprägt werden müssten. Es betrifft auch die Struktur vieler Wörter, die das generische Maskulinum in ihrem Inneren tragen. Man kann nur hoffen, dass Formen wie Bürger*innen*meister*inwahl das Gruselkabinett abschreckender Beispiele nie verlassen werden.
Gelobt wird:
In einem nüchternen und zugleich gut lesbaren Stil, der ohne schrille Zuspitzungen à la „Genderwahn“ auskommt, beschreibt Payr die Funktionsweise des grammatischen Geschlechts und kritisiert die Mixtur aus ideologischen Motiven und wackeligen linguistischen Begründungen, mit denen das Gendern gerechtfertigt und durchgesetzt wird.
Zurück zum gepiqten Text, der zuletzt auch auf die Macht des Sprachwandels verweist:
Sprache reflektiert individuelle Vorstellungen. Ein Beispiel für erfolgreichen Vorstellungswandel ist der Begriff „Wähler“. Hier stellte man sich vor 100 Jahren ausschließlich erwachsene Männer vor. Als auch Frauen wählen durften, änderte sich auch die Vorstellungswelt hinter dem Begriff. Was hätte hier eine Wortumformung von Wählerverzeichnis in Wählendenverzeichnis genutzt?
In eben diesem Wandel liegt der Hebel. Denn es geht - siehe oben – um Kontext und Bewusstsein. Und beides ist nie statisch.
Quelle: Ingo Meyer www.berliner-zeitung.de
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Die Debatte in der Berliner Zeitung ist ja schon eine Zeit her (ich fand sie auch sehr gut) aber ich poste hier nochmal meinen eigenen Beitrag, der kürzlich bei Tell-Review erschienen ist. Nicht, weil ich meine Texte pushen will, sondern weil er durch eine genaue Terminologie deutlich macht, wo die beiden Parteien einander missverstehen und er insgesamt sozusagen eine Zwischenposition einnimmt. Hoffe das ist ok für euch, liebe Piqer!
https://tell-review.de...
ah das Ganze "war und ist also kein Problem", schön das zu hören. Dann können wir ja aufhören darüber nachzudenken. ..
"Was hätte hier eine Wortumformung von Wählerverzeichnis in Wählendenverzeichnis genutzt?" Ganz einfach: juristisch hätte dies automatisch bewirkt dass Frauen wählen dürfen.
ja, vielleicht hätten Sie es sein lassen können - vorallem wenn Ihr Text nichts neues vorbringt.
und nur am Rande: Gästin gab es schon - nachweislich seit dem Mittelalter.
und Ihr Wähler-Beispiel ist ein Eigentor: denn wenn das Verzeichnis Wähler-/Innen-Verzeichnis geheißen hätte, hätte es auf jeden Fall Frauen angesprochen, und juristisch inkludiert...
Wie ist es denn mit der Gender-Gerechtigkeit bei Völkern und Nationen, die kein generisches Maskulinum in der Sprache haben?
Vielen Dank für den Piq sowie die weiterführenden Texthinweise. Alle gelesen, wie auch bei den vergangenen Debatten hier auf piqd.
Sind alle wissenswert!
Dennoch oder gerade deswegen: mich vermag weder der "fanatische Genderwahn", noch die "maskulin-grammatikalische Beharrungsstarre" zu überzeugen.
Selbstverständlich basiert jeglicher linguistischer Determinus auf einer massiven Verkürzung der aller kulturellen Dynamik zu Grunde liegenden Gesetzmäßigkeiten.
Gleichsam ist das generische Maskulinum eben faktisch ganz klar nicht geschlechtsneutral und "sexusindifferent" wirksam, auch wenn es sprachtheoretisch wohl so angelegt ist. Praktisch assoziieren Termini wie "Wähler", "Politiker", "Ärzte" und "Kunden" (und ja: auch "Mond") männliche Protagonisten.
Ist einfach so, Kontext hin oder her.
Nicht bewusst, nicht als direkte Ausgrenzung, is klar.
Aber eben als unbewusstes "Mitdenkenmüssen" und historisch konstituierte Selbstverständlichkeit, die einem nicht direkt Betroffenen (Mann) etwas schwerer zu vermitteln ist.
Das kann man nun semiotisch und linguistisch kritisieren, am lebensweltlichen Rezeptionsmuster ändert sich aber nichts.
Was ist denn so schwer daran, einfach "Schülerinnen", "Anwältinnen" und "Autorinnen" zu sagen?
Und nein, die bloße Tatsache, hierbei das Frau-sein mitzuthematisieren, stellt keine Reduktion und Sexualisierung dar.
Vielmehr eine neue Selbstverständlichkeit!
Ich erachte die Diskussion als zu extrem.
Einiges kann gut gegendert werden? Dann machen!
Anderes nicht so gut ("Gästinnen")?
Dann erstmal lassen!
Und "Bürger*innen*meister*inwahl" ist natürlich eine orthographische Katastrophe.
Aber mit extremen Beispielen und Dammbruchargumenten ist noch keine Debatte sinnvoll und konstruktiv geführt worden.
Für mich fängt das Problem eigentlich dort an, wo dem Gendern selber Exklusivismus vorgeworfen wird, weil es trans- und nicht-binäre Sexualidentitäten nicht adäquat repräsentieren und damit diskriminieren würde. Denn was bedeutet es, wenn irgendwann jegliche Form der Selbstdarstellung mit distinktem Appelativ berücksichtigt werden muss?
Sprache ist kein Naturgesetz, aber auch kein beliebig manipulierbarer Determinator. Sie ist Effekt und Phänomen innerhalb kulturwirksamer Interdependenzen. Ich bin aufrichtig gespannt, wie es in 10 Jahren aussieht...