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Medien und Gesellschaft

Politischer Journalismus ist in den 70ern falsch abgebogen

Christoph Zensen
Informationswissenschaft, Medieninformatik, Produktmanagement

#ViewFromSomewhere #MovementJournalism

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Christoph ZensenDienstag, 25.08.2020

Was ist eigentlich mit dem politischen Journalismus los? Irgendetwas ist da anders als bei den anderen Journalismen. Während Wissenschaftsjournalismus, Kulturjournalismus oder der  Wirtschaftsjournalismus alle so ihre Probleme haben, scheint mir der Politikjournalismus häufig völlig entgleist zu sein. Komplett neben der Spur. Und das gilt seltsamerweise auch für seriöse Formate, in denen die Redaktionen dem Zeit- und Monetarisierungsdruck weniger ausgesetzt sind.

Einige Erklärungsansätze, wie der View-from-Nowhere von Jay Rosen oder der prozessbetreuende Journalismus von Bernd Ulrich, haben mir das Vokabular gegeben, um besser zu verstehen, was da schiefgeht.

Noch umfassender ist aber die Analyse in dieser Podcastempfehlung. Die Kommunikationswissenschaftlerin Kathleen Hall Jamieson und der Journalismusprofessor Jay Rosen attestieren der dominanten Strömung der Profession eine pathologische Konstitution.

The spiral [of cynicism] is one in which press coverage of political content focuses on the tactics that are involved, the political advantage or disadvantage that is gained or is lost, but not on substance [...]. And you get a self-fulfilling prophecy which is a political environment in which the public is needlessly cynical about politics [...] – Kathleen Hall Jamieson

Beide Forscher datieren das Abgleiten des us-amerikanischen politischen Journalismus auf die 70er und 80er Jahre. Damals wurde eine Form dominant, die heute praktisch gleichbedeutend mit politischer Berichterstattung ist. Jamieson nennt diese Form "tatical Frame", Rosen nennt sie "cult of savviness".

The savvy style [...] is about winners and losers. It focuses on strategy and tactics, it admires what is smart and ruthless and most of all, it admires people who are winners and a lot of it is about winning. What is a winning move, what is a winning appeal, whats a clever way of marketing your ideas.– Jay Rosen

In the savvy style what's true doesn't matter, what's just doesn’t matter, what’s right doesn’t matter. What’s effective and winning is what really counts. – Jay Rosen

Das fatale: Politischer Journalismus im "savvy style" oder im "tactical frame" bringt so auch dem Publikum bei, die Welt durch die Augen von Politstrategen zu sehen, anstatt aus der Perspektive von engagierten Bürgern. So versteht man nebenbei auch das Phänomen des politischen Junkies, dessen Hobby der bloße Konsum von diesem Politikjournalismus ist, ohne selbst politisch aktiv zu sein.

In den beiden Interviews wird gut herausgearbeitet, wie der Fokus des politischen Journalismus auf den politischen Prozess so dominant geworden ist, wie seltsam und wie schädlich das eigentlich ist und auch die Alternativen werden aufgezeigt. Für mich wird dieser Podcast zu einem Evergreen werden, zu dem ich noch oft zurückkehren werde. 

Politischer Journalismus ist in den 70ern falsch abgebogen

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Kommentare 4
  1. Christoph Zensen
    Christoph Zensen · vor 4 Jahren

    Fällt jemandem eine gute Bezeichnung für den "savvy style" oder "cult of the savvy" ein?

    1. Christoph Weigel
      Christoph Weigel · vor 4 Jahren

      in den 70ern wurden solche leute als "durchblicker" bezeichnet, leicht ironisch angehaucht.

    2. Christoph Zensen
      Christoph Zensen · vor 4 Jahren

      @Christoph Weigel Das gefällt mir sehr gut. Danke Christoph.

      "The essence of the savvy is that seeing through = seeing well. You can see how that might go wrong." — Jay Rosen

  2. Christoph Zensen
    Christoph Zensen · vor 4 Jahren

    Ich hatte die Kritik am savvy style schon vor zwei Wochen am Rande erwähnt und den Politikpodcast des Deutschlandfunks als Extrembeispiel genannt.
    Die Redaktion hat diese Kritik aufgenommen und im Politikpodcast reflektiert: https://www.deutschlan...

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