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Harald Welzer plädiert seit vielen Jahren für „Modelle des Wandels“, die mehr als abstrakte Bewusstseinsbildung zur Einleitung der notwendigen Veränderungen führen würden. Gemeinsam mit Bernd Sommer hat er das Buch „Transformationsdesign“ verfasst, das für einen neuen Fortschrittsdiskurs im Sinne einer „reduktiven Moderne“ wirbt. In dieser gehe es nicht mehr (nur) darum, durch Innovationen immer mehr Neues in die Welt zu bringen, sondern durch „Renovation“ Bestehendes länger zu nutzen (Renovieren von Gebäuden und Infrastrukturen, Reparieren von Gegenständen) und durch „Exnovation“ als kontraproduktiv erkannte Dinge bzw. Praktiken (wie Automobilität) zu überwinden. Die Autoren – Harald Welzer ist Gründungsdirektor der Stiftung FUTUR ZWEI und Professor für Transformationsdesign an der Europa-Universität Flensburg, Sommer ist Nachhaltigkeitsexperte am Flensburger Norbert Elias Center – entwerfen ein Szenario einer Zivilisation, die Ernst macht mit der drastischen Reduktion des Naturverbrauchs. Das 21. Jahrhundert werde in jedem Fall zu dramatischen Veränderungen führen, die Frage sei nur, ob diese bewusst gesteuert oder chaotisch ablaufen werden, so die Ausgangsthese der beiden: „Transformation by design or by desaster“, dies sei die einzige Entscheidungsalternative.
In der Abhandlung werden zunächst große Transformationsprozesse in der Geschichte (Neolithische und industrielle Revolution, Überwindung der Sklaverei, Frauen- und Gleichstellungsbewegungen) gewürdigt, in der Folge vorherrschende Transformationsvisionen („Green Business as usual“) kritisch beleuchtet und dabei auch Konflikte und Machtverschiebungen aufgezeigt, die im Zuge von Transformationsprozessen immer auftreten.Die abschließenden Kapitel widmen sich der Praxis der Transformation, also der „Gestaltung von Reduktion“ sowie der „sozialen Organisation des Weniger“.
Handlungsleitend dabei ist die von Welzer auch an anderer Stelle bereits dargelegte Überzeugung, dass der Wandel ganz konkreter Wandelprojekte bedürfe. Transformation sei in unserer in nahezu jeder Hinsicht nichtnachhaltigen Gesellschaft keine Aufgabe der Bewusstseinsbildung, sondern eine der „Veränderung der Praxisformen in fast allen Lebensbereichen – von der Wirtschaft über die Mobilität und die Ernährung bis hin zu Fragen der Zeitnutzung, des Besitzes, der Beziehungsstrukturen etc.“ (S. 37). Dabei gehe es weniger um einen Systemwechsel in toto, „sondern vielmehr um Schrumpfung oder Abschaffung nichtzukunftsfähiger Teilbereiche der Gesellschaft gerade mit dem Ziel, andere zu bewahren“ (S. 51) Doch die bisherige Nachhaltigkeitsdebatte rekurriere vornehmlich auf Einzelpraktiken bzw. technologische Veränderungen und adressiere nicht die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse insgesamt. Nachhaltigkeit sei jedoch wesentlich eine soziale Aufgabe: „Erst auf der Ebene des Sozialen entscheidet sich die Frage, wie eine Gesellschaft eigentlich aussehen soll, in der man leben will“ (S. 68). In den Blick zu nehmen seien die „Geschäftsmodelle der Unternehmen“ ebenso wie die „Lebensmodelle der Menschen“.
Transformationsdesign strebe nach dem “kleinstmöglichen Aufwand“, so Welzer und Sommer, was häufig erfordere, nicht einfach Antworten auf bestehende Fragen zu finden, sondern diese anders zu stellen: „So könnte die Antwort auf die Frage nach der bestmöglichen gestalterischen Lösung für eine Platzgestaltung sein: Man lässt ihn, wie er ist. Oder die Antwort auf die bestmögliche Reiseverbindung: zu Hause bleiben.“ (S. 114) Während die expansive Kultur der konsumistischen Moderne auf die beständige Vermehrung der Produkte und Angebote zielt, bedeute die Definition des guten Lebens in einer reduktiven Kultur das Gegenteil: „Die Umgestaltung des Vorhandenen, das Verschwinden des Überflüssigen, die Vermeidung von Aufwand, die Reduktion von Energie und Material“ (S. 118). Einrichtungen wie Repair-Cafes würden in diesem Sinne wirken (falls die Produkte reparierfähig sind), Modelle wie Open Source etwa durch 3D-Drucker nicht unbedingt, da sie eben der Mehrproduktion verhaftet blieben, so ein Beispiel der beiden.
Vier Haltungen benennen Welzer/Sommer für eine reduktive Moderne (S. 172): Innehalten (als „Strategie des Orientierungsgewinns“), aufhören (als „moratorische Strategie“ zum Ausstieg aus der Abfolgelogik von Problem und Lösung, etwa im Kontext des „Anspringens“ der Wirtschaft nach der Finanzkrise), Zurückgehen (im Sinne von Gesellschafts- und Vergemeinschaftungsformen, die bedeutend weniger Mobilität erfordern) sowie schließlich Ankommen (im Sinne des Erhaltens zivilisatorischer Standards in den Bereichen Freiheit, soziale Absicherung, Gesundheit, Bildung oder Rechtsstaatlichkeit). Die Autoren plädieren für eine „Autopoetik des ersten Schrittes, des Schon-mal-Anfangens“ (S. 178), denn je mehr „Pfadwechselschritte“ es gäbe, desto wahrscheinlicher würde deren Attraktivität und Mehrheitsfähigkeit. „Das Bessere setze sich dabei dann durch, wenn die Konflikte, die mit seiner Durchsetzung verbunden sind, erfolgreich ausgetragen werden, und wenn „es sich in die Produktions- und Reproduktionsverhältnisse tiefenwirksam einschreibt“ (S. 179). Als vorbildhafte Bewegungen werden abschließend die „Transition Towns“, die Initiative des „Divestment“ des amerikanischen Umweltaktivisten Bill Mc Kibben, der erfolgreich dazu aufruft, Investments aus nichtnachhaltigen Unternehmen herauszunehmen, die Gemeinwohl-Ökonomie von Christian Felber, Initiativen für Arbeitszeitverkürzung und ein Bedingungsloses Grundeinkommen sowie die Projekte der Commons und der Postwachstumsökonomie (à la Niko Paech) vorgestellt.
Einschätzung: Ein kluges Buch mit wertvollen Anregungen für die Nachhaltigkeitsdebatte, das auch durch Interviews mit Proponenten angesprochener Initiativen bereichert wird.
Quelle: Bernd Sommer; Harald Welzer oekom.de
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