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Literatur

Top Of the Storyism – Teil 1

Top Of the Storyism – Teil 1

Andreas Merkel

Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).

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Andreas MerkelDonnerstag, 07.12.2017

Interessante Krise in der westlichen Erzählindustrie gerade: Die eigentlich milliardenschwer überlegene TV-Serie (Regie-Stars! Filmstars! Autorenteams! Ausstattung! Soundtrack!) will plötzlich doch lieber wieder hoffnungslos retro Roman (keine Regie, keine Stars, keine Ausstattung, mieser Soundtrack) sein. Unbeeindruckt von dem Umstand, dass "Deutschland" endlich im Schweinsgalopp (super: "Das Verschwinden", Stranger-Things-für-Arme: "Dark", Ausstattungsorgie mit TKKG-Plot: "Babylon Berlin") den Anschluss ans amerikanisch horizontale Erzählen gefunden zu haben scheint, hat sich im internationalen Serienwesen längst ein Netflix-amazon-Sky-Produktions-Overkill etabliert, der es bald mit dem Belletristik-Output der Frankfurter Buchmesse aufnehmen kann.

So kommt es, dass selbst die erfolgreichsten Serienmacher wie Matthew Weiner ("Sopranos", "Mad Men") sich mit 140-Seiten-Romanen einen Lebenstraum erfüllen ("Alles über Heather", Rowohlt). Oder Regiegöttinnen wie Jane Campion ihre grandiose, heute Abend auf arte in die zweite Staffel gehende Serie "Top Of the Lake" in den Making-Of-Extras der DVD-Boxen immer wieder als "Roman" empfindet. Was natürlich auf groben Unfug und gleichzeitig die letzte wirkliche Seh-Empfehlung des Jahres hinausläuft:

Im Zentrum von Season 2 – "China Girl" steht wieder die australische Kriminalbeamtin Robin (wunderbar gespielt von der immer leicht krötenhaften "Peggy Olsen" Elisabeth Moss, die bei Jane Campion trotz oder gerade wegen ihrer angelamerkeligen Hosenanzug-Bullenkostümierung penetrant von sämtlichen Männern sexuell angehimmelt wird). Vier Jahre, nachdem sie in Neuseeland eine kruder-als-krude Kindesmissbrauchs-Story um das Verschwinden der 12-jährigen Tui (der Name wurde in der Serie so oft in die neuseeländische Wildnis gerufen, dass man irgendwann beschloss, nie wieder bei dem Reiseveranstalter zu buchen) und die eigene Vergangenheit (Mehrfachvergewaltigung mit 16) zu "lösen" hatte, spielt ihr neuer Fall nun in Sydney. Wieder geht es um Mutterschaft. Asiatische Prostituierte werden als Leihmütter gebucht, verschwinden tot in Koffern im Pazifik (die Jane Campion dann unter Wasser filmt wie das Piano in "Das Piano"). Robin begegnet ihrer Tochter Mary, die sie mit 16 bei besagter Vergewaltigung empfing und einen Tag nach der Geburt zur Adoption freigab. Mary ist inzwischen 17 und wuchs bei einem neurotisch-zerrütteten Upperclass-Paar auf – die Mutter (gespielt von Nicole Kidman) versucht sich gerade in einer lesbischen Beziehung. Jetzt ist sie mit dem 42-jährigen ostdeutschen Professor und feministischen Pimp (sic!) Alexander a.k.a. "Puss" (Sopranos-Fans klingeln die Ohren, aber falsche Fährte!) zusammen, den sie im Sydneyer "Cafe Stasi" (Doppel-sic!) kennengelernt hat.

Fantastisch, wie Jane Campion diesen DDR-Bösewicht vor allem aus Vorbildern wie David Lynch’s Bob aus "Twin Peaks" oder Harvey Keitels Lude aus Scorseses "Taxi Driver" zusammengeklaut hat – eine Figur, die einem in jedem halbwegs lesbaren Roman komplett um die Ohren fliegen würde, die hier aber von dem Schweden David Dencik allein schon so gruselig mit East German accent gesprochen wird, dass … ja, ja, Sie können es nicht mehr hören: man sich die Serie leider doch unbedingt im Original antun muss!

Der zweite Grund ist eine weitere Stimme, und zwar die von Jane Campions realer Tochter Alice Englert, die die 17-jährige Mary spielt. Englert spricht ihren Text so neutral selbstbeobachtend wie eine amerikanische Nachrichtensprecherin ihn vorlesen würde – „Hi Mom, hi Dads“, sagt Mary nur, als ihr die leibliche Mutter Robin offenbart, dass sie bei einer Vergewaltigung durch 3 Männer gezeugt wurde.

"You will go down hard. Down on your knees..." ist das geheime Leitmotiv der Serie "Top Of the Lake". Das ist es, was Robin bereits in der ersten Staffel von der silberhaarigen GJ (Holly Hunter) gesagt bekam, die als schlechtgelaunter Guru einer Frauenkommune keinerlei Interesse an jeder Art von weiblichem Opferkult hat. Und es ist spürbar das, was Jane Campion umtreibt. Unfassbar, was sie in "China Girl" ihrer Hauptfigur Robin zumutet – einer Heldin als wahrem Super-Detective! Die Männer kann man komplett vergessen: Sie sind entweder passive Weicheier oder vitalistische Vollidioten.

Hierzu mehr nächste Woche, wenn Sie in Teil 2 dieser kleinen Literatenfunk-Kolumne erfahren werden, was das alles mit Heike-Melba Fendels Jane Campion-Roman "Zehn Tage im Februar" (Blumenbar) zu tun hat (der hier ja bereits im Frühjahr sehr schön von Annika Reich besprochen wurde).


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