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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Jahrelang bin ich sehr spät schlafen gegangen und habe Buchhandlungen gemieden. Das dortige Überangebot – Regale voller Fernsehgarten-Literatur, Verkaufstische mit Christine Westermann-Empfehlungen – und das biedere Auftreten von Buchhändlern, wenn sie einen Autor sehen, hielten mich fern.
Die urban an der Eberswalder U-Bahnstation gelegene Buchhandlung „Uslar & Rai“, die seit sieben Jahren in einem ehemaligen Berliner Puff residiert, kann man dagegen ohne Bauchschmerzen betreten, weil einem nicht gleich Papier-Geschenk-Gedöns oder Cappuccino-Tassen für Gemütlicher-Lesen-Insta-Stories begegnen. Dagegen wurden hier lieber ein paar persönlich kuratierte Titel auf Deutsch und Englisch eingerahmt an die Wand gehängt. Im hinteren Bereich steht ein großes Sofa, bei „Uslar & Rai“ wird auch regelmäßig prominent gelesen (zuletzt waren Rachel Kushner und Jaroslav Rudiš da).
Ich bin heute aber nicht hier, um mich plötzlich für Inneneinrichtung oder Event-Kultur zu interessieren, sondern um mit Mit-Inhaberin Katharina von Uslar ein Gespräch Buchhandel meets Literaturkritik zu führen. Titel: Was macht eigentlich der Kunde? Beziehungsweise, of course: die Kundin. Denn bevor sich die mit ihrem Energie-Level an die Polizeiruf-Schauspielerin Anneke Kim Sarnau erinnernde Zwillingsschwester des Autors Moritz von Uslar ("Deutschboden") Zeit nehmen kann, muss erst noch eine Elena-Ferrante-Leserin verarztet werden: Ist „Frau im Dunkeln“ auch so gut wie „Geniale Freundin“?
Dafür entdecke ich in der Zwischenzeit das „Lexi“ (Buchhandel-Slang für Leseexemplar) von Sophie Passmanns „Frank Ocean“ hinterm Ladentresen: das Buch, auf das ich mich (wegen Thema Lieblingsautor) in diesem Herbst am meisten gefreut habe. Als ich von Uslar darauf anspreche, gibt sie zu, dass sie auch Frank-Ocean-Fan ist, aber in Passmanns Beitrag zur neuen KiWi-Musikbibliothek (in der sich sonst Thees Uhlmann, die Toten Hosen und Take That gute Nacht sagen) noch nicht reinlesen konnte.
Was ich natürlich inzwischen gemacht habe: Sophie Passmann kannte ich bis dahin nur als Böhmermann-Sidekick und ZEIT-Magazin-Kolumistin. „Alte weiße Männer“ hatte ich nicht gelesen (vielleicht weil ich mich dafür zu jung, schwarz und weiblich fühlte). In „Frank Ocean“ schreibt sie jetzt in ihrem klar verständlichen Kann-sich-keiner-vorstellen-Stil über den Sommer, in dem sie depressiv wird und/oder/weil sie das Album „Blonde“ von Frank Ocean auf Spotify hört, das in seiner monumental traurigen Schönheit bitte auf ihrer Beerdigung gespielt werden soll. Was dann folgt, ist eine etwas längere Ich-Krankheits-Kolumne über bipolare Störung und scheiternde Versuche, ein bisschen „Blonde“ ins eigene Leben zu bringen – im Berghain abfeiern, sich auf bekloppten Blogs rumtreiben, zu traurig für die Welt sein, auf Instagram dieses lustige Silvester-Foto von sich mit Frank-Ocean-Spruch bereuen... Leider taugt der schwule Frank nicht zur besten Freundin, obwohl Sophie ihn gern genauso gut verstehen würde. Aber der enigmatische Popstar bleibt wenig überraschend lieber ein fremder Freund. – Macht nichts, dafür ist Pop ja da: für alle und jenseits von niemand jeden persönlich. Plus die große Geste: Am Ende ihres 80 Seiten langen Pixi-Buchs verteilt Passmann Danksagungen, als hätte sie gerade die Buddenbrooks geschrieben. Schade.
Von diesem Urteil unbelastet gehen Katharina von Uslar und ich lieber ein paar Straßen weiter ins Schädels, ein Café, das – wir sind hier in Prenzlauer Berg – ihrem Mann gehört, und streiten uns absolut nicht über die einander angeblich feindlich gegenüberstehenden Institutionen Buchhandel und Feuilleton. Denn von Uslar liest noch begeistert Zeitung. „Auch wenn ich in der U-Bahn die einzige bin, die noch die ZEIT auf Papier vor sich hat“, so dass sie der guten alten Print-Zeitung keine zwanzig Jahre mehr gibt. Während physische Bücher („keine eBooks, bitte!“) als Kulturtechnik Lesen wohl noch eine Weile länger durchhalten könnten. Wenn es denn gelingt, auch die nächste Generation für das Oldschool-Medium zu begeistern. Eins ihrer beiden Kinder beispielsweise ist ein richtiger Bücherwurm, das andere eher gar nicht: „Johnny says books ain’t cool no more“, wie es bei Kendrick Lamar heißt.
Okay, und was ist heute noch cool genug im durchaus nicht ungefährlichen Empfehlungs-Business Bücher? Bei Katharina von Uslar wollten schon Kunden nach Knausgård-Lektüre ihre Partnerin verlassen, weil die beratungsresistent lieber weiter Juli Zeh lesen. Die ihnen die Buchhändlerin natürlich auch verkauft. Mir empfiehlt sie lieber Sally Rooney und Johan Harstad. (...)
Vor dem Café ist ein Gewitter aufgezogen und wir ziehen mit meinem alten Interview-Fragebogen „Mein Leben mit Büchern“ nach drinnen um. Im Laufe der Beantwortung stellt sich heraus, dass von Uslar ihr Leben eher für einen Roman als ein Sachbuch hält („nicht, weil es so spannend oder toll ist, sondern einfach, weil ich lieber Romane lese“) und dass ihre Biographie von unserer gemeinsamen Lieblingsautorin Rachel Cusk geschrieben werden sollte. Abschlussfrage: Gibt es ein gutes Lesen im schlechten Leben (der ganze Zeit-Geduld-Geld-Komplex)? Klare Antwort: Ja, auf jeden Fall. Wir alle können immer noch ein Leben mit Büchern haben.
Von der Dinge-Depression, die so was auch bedeuten kann, werde ich dagegen erst wieder eingeholt, als ich zurück vor meiner Haustür in einem „Zu-verschenken“-Stapel gleich zweimal Richard Ford entdecke – „Die Lage des Landes“, auf Deutsch und Englisch. Wie man früher im Wilden Westen das geliebte Pferd nach einem furchtbaren Sturz nicht unnötig leiden ließ, nehme ich beide Bücher und schmeiß sie in die Blaue Tonne.
PS: Sophie Passmann hat übrigens heute im aktuellen ZEIT-Magazin eine "sehr freche" Hass-Kolumne über Männerliteratur drin. -- Und dies ist die (gekürzte) letzte Folge der Erfolgskolumne "Bad Reading", die ich vor zwei Wochen nachts in einem Hotelzimmer in Flagstaff, Arizona, auf den Knien fertiggeschrieben hab, damit sie es noch in die Buchmessen-Beilage des "Freitag" schafft. Dort wird sie nun (sorry für die dramatischen Umstände!) nie mehr erscheinen. Unter anderem weil ich Bücher nicht mehr scheiße finden will. Bücher sind – in durchdigitalisierten Zeiten – nicht der Feind, Bücher sind dein Freund! Herzlichen Glückwunsch, Peter und Olga. Vor allem aber herzlichen Glückwunsch, Frank: Zum besten Album der 2010er Jahre (siehe unten, auf Platz Eins und knapp vor Kanye!).
Quelle: Diverse Bild: privat EN pitchfork.com
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