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Sachbuchautor über Romane in Berlin. Letzte Veröffentlichung: "Mein Leben als Tennisroman" (Blumenbar). Kolumne "Bad Reading" im Freitag (das meinungsmedium).
Hingewiesen werden könnte heute noch auf drei Autoren, die - vielleicht ohne es selbst recht zu wissen (was weiß ein Autor schon über sich selbst? Es ist der blind spot, ohne den nichts geht ...) - alle im schönen Zusammenhang einer gewissen kynischen Geistes-Tradition stehen:
Erstens hab ich mir gerade den sündhaft teuren (24€!) Christian-Kracht-Band der Zeitschrift TEXT + KRITIK (Heft 216, die September-Ausgabe) doch noch gekauft. Ich wollte erst nicht, weil - bei aller Sympathie für den Autor - sein letzter Roman "Die Toten" eins der drei schlechtesten Bücher des letzten Jahres gewesen war. Aber dann erfuhr ich im Feuilleton der FAS, dass es auf dem KiWi-Blog "Die Kiepe" (für den ich vor zwei Jahren einen Smalltalk mit Leif Randt führen durfte, der meinen Rausschmiss als Literaturkritiker bei einem Fashion-Magazin gewissermaßen einläutete) das Gespräch zwischen TEXT + KRITIK-Gastherausgeber Christoph Kleinschmidt und Christian Kracht-Lektor Helge Malchow gratis zu lesen gibt. Was mich dann wiederum gleich so überzeugte, dass ich bereit war, jetzt endlich doch noch die Kohle für das ganze Heft hinzulegen (geht so die Rettung von Print?).
Das angenehm steife, seinen Gegenstand nur sanft überhöhende Gespräch zwischen Kleinschmidt und Malchow umkreist unter anderem das Thema, wie man Krachts vielkritisiertes, oft (sogar von so akribischen Lesern wie Herrndorf oder Klaus Cäsar Zehrer) mehr oder weniger bewusst "falsch" verstandene "Bad Writing" überhaupt lektorieren kann oder soll:
CHRISTOPH KLEINSCHMIDT: Krachts Poetik ... vor allem aber auch das Verhältnis von Faktizität und Fiktionalität.
HELGE MACHLOW: Man kann bei der Lektoratsarbeit Christian Kracht zur Weißglut bringen, wenn man ihn darauf hinweist, dass irgendein historisches Ereignis „nicht stimmt“. Denn damit zeigt man, dass man die elementare Poetik seiner Arbeit nicht verstanden hat. Der Hinweis, dass etwas nicht „stimmt“, ist unerheblich, aber auch das Gegenteil ist unerheblich. Es sind auch keine Satiren oder bewusste Entgegenstellungen zu klassischen Lesarten zu Geschichte und Politik, sondern er akzeptiert grundlegend, dass das Reservoire unseres historischen Wissens aus Bildern, Namen, Ereignissen besteht, mit denen er für seine Zwecke frei ist zu spielen und zu arbeiten. Damit enthalten diese Bücher einen irrsinnigen Freiheitsraum. Es gibt ja Autoren, die er sehr schätzt, etwa Peter Handke, die genauso wie er an transzendentalen Wahrheiten und an poetischen Entdeckungen interessiert sind, aber im Gegensatz zu diesen Autoren hat er ein großes Faible für das Geschichtenerzählen. Das ist etwa bei Handke nicht die entscheidende Kategorie. Vordergründig erzählt Christian Kracht in seinen Büchern ohne weiteres erst einmal spannende Geschichten.
Spannend auch, wie Malchow darüber Auskunft gibt, dass es in jedem von Krachts Manuskripten einen "Strukturdefekt" gebe, eine Art "lockere Schraube", die es wie bei einer "Schnitzeljagd" zu suchen gelte. Zum Beispiel, dass "Die Toten" besser im Präsens funktionieren. So was herauszufinden und ggf. zu reparieren, führe dann zu einem seltenen Glücksgefühl. Zum Dank dafür würde er, Malchow, zwar nirgends in Krachts Werk auftauchen, aber:
In dem Film „Finsterworld“ gibt es allerdings einen herrlich verwahrlosten Arbeitslosen, der heißt Malchow, also es gibt schon solche Späße.
Gern gelesen im wie gesagt danach gekauften Print-Heft habe ich dann auch noch die Essays von Thomas Wegmann ("Die Masken des Authentischen - Christian Krachts Interviews als Szenen auktorialer Epitexte") und vor allem von Thomas Huber ("Andere Texte - Christian Krachts Nebenwerk zwischen Pop-Journalismus und Docu-Fiction" - wobei ich zugegebenermaßen zunächst "Disco-Fiction" gelesen hatte, was natürlich noch schöner gewesen wäre). Beide Texte kämpfen tapfer mit ihrem literaturwissenschaftlichen Begriffs-Besteck (bei Wegmann allein schon die schwierige Differenzierung von Texten in Para-, Peri- und Epi-) und beschäftigen sich am gut gewählten Beispiel mit Nebentexten, die "Christian Kracht" zu dem gemacht haben, was er heute ist (das fatale Los Angeles-Interview mit Denis Scheck für "Druckfrisch" 2016, die legendäre SPIEGEL-Special-Reportage "60 Stunden VIVA" 1994).
Zweitens lässt sich Kracht, wie ich finde, gut zusammenlesen mit dem antiken Kyniker Bion von Borysthenes, dem der sehr schöne (und mit 1,40€ spottbillige!) Band "Anecdotes of the Cynics" aus der Penguin Little Black Classics-Reihe sein Schlusskapitel widmet. Dieser Bion ist heute kaum mehr als ein Gerücht auf Wikipedia, das Werk weitestgehend unüberliefert. Verschollen. Aber das Wenige, was wir tatsächlich über ihn wissen können, lässt ihn wie ein fantastisches Enigma (oder frühen Kracht großartiger Kalenderspruchweisheiten wie: Die falsche Meinung ist die Mutter des Schmerzes. Unglück ist, Unglück nicht ertragen zu können. Reichtum ist der Nerv der Dinge.) bis in unsere Gegenwart hinüberscheinen. Vermutlich 335 vor Christus geboren als Sohn eines Fischhändlers und einer Prostituierten. Sklave, Lustknabe eines reichen Literaturliebhabers, nach dessen Tod begnadeter Stilist und Sophist. Erfinder der Diatribe (derber Moralpredigten in einfacher Sprache, gehalten von irgendeinem nächstbesten "Eckstein" in den mean streets der Polis). Charakterlich von den meisten Zeitgenossen überwiegend negativ bewertet. Aber eben auch ein freier Geist, wie es in den "Anecdotes of the Cynics" lakonisch heißt:
Reading Bion, we can see how, as a school of philosophy, Cynicism evolved, or devolved, into the modern, lower-case epthet 'cynical'. (...) To be frank, Bion was in many respects a shifty character and wily sophist. He provided the enemies of philosophy with plenty of ammunition. On occasion he could act superior and indulge in arrogant behaviour. But he left behind many memoirs and useful sayings. Being once asked who suffers most from anxiety, he replied, 'Whoever is most ambitious to succeed.'
Was mich drittens und letztens - least ambitious to succeed - endlich zum vielleicht größten Kyniker der deutschen Gegenwartsliteratur, Detlef Kuhlbrodt, bringt, den vollumfänglich zu loben sich hier einzig verbietet, weil wir vage befreundet sind. (Letzte Woche wollten wir eigentlich gemeinsam zu dem hysterischen Körper-Kyniker John Maus gehen, woraus dann aber leider in letzter Sekunde nichts wurde.) Sicherlich in vielem das genaue Gegenteil zu Autoren wie Kracht oder Bion (und vor allem kein shifty character oder wily sophist!) ist er aber ein genauso begnadeter Verfasser von Paratexten. In seinem Suhrkamp-Blog "Vielleicht später" (als "defensives Mañana" angelegt!) schrieb er jetzt gerade nach längerer Abwesenheit endlich mal wieder ein Memoir über den zwiespältigen Leonard Cohen, in des Autors Bad Segeberger Kindheit eigentlich die Musik der großen Schwester:
Vom Badezimmerfenster aus sah ich zu dieser Zeit manchmal unseren Nachbarn, wie er "Suzanne" auf der Terrasse spielte, nachdem ihn seine Frau verlassen hatte. Er trug helle Sommerkleider. Seine brummende Stimme war ohne jede Tragik. "Suzanne" war seriös. Die Trauer des Nachbarn war seriös. Die Sexszenen in den Cohen-Romanen dagegen waren unseriös. Am besten gefiel mir eine, die auf einer großen Demo spielt. Interessant war auch die gegen Ende von "Schöne Verlierer", wo der eine Freund dem anderen beim Autofahren einen bläst. Und dann unterhalten sie sich über die Spiritualität abgebrochener Blowjobs. Die Sexszenen bei Burroughs oder Bukowski waren eigentlich besser. Aber gerade weil Cohen so hochseriöse Lieder sang, waren seine Sexszenen wieder ganz gut. Oder umgekehrt.
Super. Oder umgekehrt!
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Schade, schade, das Interview über Kracht hätte ich gerne noch gepiqt, aber jetzt hast du das schon erledigt. Ich konnte daran gut erkennen, was mich an den neueren Büchern von Kracht stört und weshalb ich mich als Leser Stück für Stück von ihm entfremdet habe. Malchow formuliert alles als Lob, aber manchmal sieht man an ausgreifendem Lob ja besonders gut, weshalb einem etwas nicht gefällt. Das immer weiter getriebene Spiel mit doppelten Böden fand ich spätestens bei den "Toten" ermüdend. Die "subversive Unterwanderung von Erwartungen, auch von Ironieerwartungen", wie Malchow es nennt, habe ich lange mitgemacht, weil ich als Leser schon in Kracht investiert hatte. (Wenn ich durch irgendeine Assoziation an "Faserland" denke, bin ich sofort wieder über einzelne Stellen begeistert). Aber dazu muss man von vorneherein dem Autor Wichtigkeit zusprechen. Ohne den Status von Kracht als Kracht geht es nicht. Und irgendwann wurde ich die Sache leid, weil ich nicht den Eindruck hatte, dass meine Investion sich auszahlt. Da überblendet eine Künstlerfigur mehr und mehr ihr eigenes Werk, war das, was bei mir hängen blieb.