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Liebe, Sex und Wir

Eine Studie zeigt die Geschichte pädosexueller Gruppen seit 1970

Oskar Piegsa
Redakteur DIE ZEIT
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Oskar PiegsaSonntag, 28.02.2021

Die Soziologin Eva Illouz sagte mal, statt von einer »sexuellen Revolution« in der Zeit um 1968 solle man lieber von einer »Deregulierung der Sexualität« sprechen. Diese habe viele moralische und religiöse Vorschriften durch eine einzige ersetzt, nämlich die der Zustimmung: 

»Man darf alles tun, was man will, solange die Person, mit der man es tut, darin einwilligt.«

Das ist nicht nur eine Befreiung des Sexuellen, es kann auch eine Befreiung vom Sexuellen bedeuten. Die Schriftstellerin Virginie Despentes (*1969) schreibt in ihrem Buch King Kong Theorie

»Die Frauen meines Alters sind die ersten, die ein Leben ohne Sex führen können, ohne über das Spielfeld ›Kloster‹ zu gehen. Die Zwangsehe ist heute schockierend. Die ›eheliche Pflicht‹ ist keine Selbstverständlichkeit mehr.«

Aber die Deregulierung der Sexualität brachte auch neue Konflikte mit sich. Etwa die Frage, was als Zustimmung gilt. Und auch, wer überhaupt zustimmungsfähig ist.

Vergangene Woche veröffentliche die vom Bundestag gegründete Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs die hier gepiqte Studie über pädosexuelle Netzwerke. Ihre Autor*innen Iris Hax und Sven Reiß beleuchten das Selbstverständnis von pädosexuellen Gruppen in Westberlin (und zum Teil auch in der BRD), ihre Organisationsformen und ihre Geschichte. Grundlage dafür sind vor allem Dokumente, die diese Gruppen selbst veröffentlicht haben.

Zum Beispiel der Verleger W. Helmut Bendt, der das Magazin Pikbube gründete. Er prahlte 1972: »Pikbube ist die einzige pädophile Zeitschrift Europas, vielleicht der ganzen Welt.« Die Autor*innen der Studie lassen keinen Zweifel daran, dass es in Pikbube nicht nur um Fantasien ging, sondern um praktizierten Kindesmissbrauch. In der Zeitschrift stand etwa, wo man in Ost-Berlin den »Jungenstrich« fand. In Kontaktanzeigen wurden »blutjunge« Fotomodelle gesucht, Kleinanzeigen bewarben Filme, in denen demnach 12jährige Jungen beim Sex zu sehen waren. Pikbube wurde 1973 eingestellt, bliebt aber nicht das einzige Missbrauchs-Magazin, das Bendt verantwortete.

Ab Mitte der 1970er-Jahre entstanden sogenannte Arbeitskreise und AGs, aus denen heraus Pädosexuelle politische Bündnisse zu schmieden versuchten. In einem der Dokumente, das Hax und Reiß zitieren, heißt es: 

»Pädosexuelle Emanzipation ist untrennbar verknüpft mit der Emanzipation des Menschen an sich. Wichtiges Bollwerk der erfahrenen Unterdrückung ist das Patriachat. Von daher gesehen sind Schwule, Lesben, Frauen und Pädosexuelle gemeinsam Opfer dieses Patriachats und natürliche Bündnispartner.«

Auch bei den AGs ging es neben der Politik um die Praxis des Missbrauchs: Bei Treffen wurden Missbrauchsfotos und -filme gezeigt, man trainierte, wie man sich Polizeiverhören widersetzte und es entstanden Wohnprojekte, Zeltlager und Ausflüge, bei denen Kinder Pädosexuellen zugeführt wurden. Mit diesen Aktivitäten verfolgten viele der Täter*innen demnach auch finanzielle Interessen.

Die Vernetzung dieser Gruppen reichte bekanntlich bis in die Parteien (Grüne, FDP). Linke Medien (taz, Zitty, … ) verschafften ihnen Gehör, alternative Buchläden boten Treffpunkte. In einem Interview heißt es: 

»Wir hatten in unserer schwulen Buchhandlung Prinz Eisenherz eine Abteilung mit Knabenliebe. Haben damit kokettiert. Die Pädogruppen haben sich bei uns getroffen. Wir fanden das okay, wollten denen helfen, nach außen aufzutreten.«

Dass pädosexuelle Gruppen in emanzipatorischen Bewegungen geduldet oder sogar aktiv unterstützt werden, ist heute vorbei. Dennoch finden sich noch Spuren dieser gemeinsamen Geschichte, wie Hax und Reiß zeigen. Bis heute verbreitet etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule Juristen online ein Papier, in dem von »einverständlichen pädophilen Handlungen mit Kindern« die Rede ist – ganz so, als wäre nicht jeder sexuelle Kindesmissbrauch ein Missbrauch.

Hinter die Deregulierung der Sexualität kann man heute kaum mehr zurückwollen. Sie bedeutet einen Zugewinn an Selbstbestimmung und Unversehrtheit. Aber die Studie von Iris Hax und Sven Reiß zeigt, dass zu ihrer Geschichte – und zur Geschichte der Bewegungen nach 1968 – auch das Gegenteil von Selbstbestimmung und Unversehrtheit gehört: Der planmäßig und auch erwerbsmäßig praktizierte und dabei offen propagierte Missbrauch von Kindern durch Gruppen innerhalb dieser Bewegungen. 

Eine Studie zeigt die Geschichte pädosexueller Gruppen seit 1970

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Kommentare 2
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 4 Jahre

    Etwa die Frage, was als Zustimmung gilt. Und auch, wer überhaupt zustimmungsfähig ist.
    sorry: dazu gibt es in unserer Gesellschaft eindeutige Regelungen. selbst wenn wir da ein zwei Jahre schwanken oder differenzieren zwischen etwa strafrechtlich oder zivilrechtlich; ist doch unter dem Aspekt 'Zustimmung' keinesfalls ein Kind gemeint. niemals.
    und das galt gerade auch in den 1960igern.

    Emanzipation läuft über emanzipation-einfordernde Sprecher: und ich kenne keine derartigen Texte von Kindern aus dieser Zeit.
    (Die ach so progressiven hätten zurecht kritisiert wenn zb nur Männer über Frauenemanzipation geredet hätten.)

    1. Oskar Piegsa
      Oskar Piegsa · vor fast 4 Jahre

      Sie schreiben, das Kinder nicht zustimmungsfähig sind: Selbstverständlich sind sie das nicht.

      Aber die Autor*innen der Studie zeigen eben, und ich versuchte das hier knapp zu skizzieren, dass Pädosexuelle sich nach "1968" emanzipatorischer Rhetorik bedienten um ihre Interessen zu legitimieren. Und dass sie mehr als einmal in emanzipatorischen Bewegungen geduldet, oder sogar aktiv willkommen geheißen und unterstützt wurden.

      Was für Sie heute klar und eindeutig ist, war es eben nicht immer und für alle Menschen.

      (Ich glaube auch, dass die Frage nach der Zustimmung und Zustimmungsfähigkeit heute immer noch komplizierter ist, als Sie meinen, wenn wir etwa die mit #metoo verschlagworteten Debatten anschauen, bei denen es zumindest zum Teil um Fälle geht, die eben nicht straf- oder zivilrechtlich eindeutig zu lösen sind. Aber das ist eine andere Diskussion — eine, die mit der "sexuellen Deregulierung" zusammenhängt, aber nicht mit Pädosexuellen.)

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