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Klima und Wandel

Zum Jahrestag: Die atomare Gefahr bleibt

Nick Reimer
diplomierter Energie- und Umweltverfahrenstechniker, Wirtschaftsjournalist und Bücherschreiber
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Nick ReimerDonnerstag, 11.03.2021

Zehn Jahre Reaktorunfall in Fukushima: Eine Übersicht im Tagesspiegel zeigt, dass 43 Atomkraftwerke in Europa immer noch am Netz sind, obwohl ihre ursprüngliche Laufzeit längst abgelaufen ist: zehn alleine in Frankreich, vier in Tschechien, je drei in der Schweiz und in Belgien und eines in den Niederlanden. Die ältesten Reaktoren stehen mit Beznau 1 und 2 in der Schweiz, in Betrieb genommen 1969 und 1971 – einst ausgelegt auf einen Betrieb von 40 Jahren.

Frankreich will die Laufzeit für seine AKW jetzt auf 50 Jahre verlängern. Ich habe einst Energieverfahrenstechnik studiert, mein Ingenieurswissen als Dipl. Ing. zwar nie am Reißbrett angewendet, soviel aber habe ich in meinem sechsjährigen Studium verinnerlicht: Wenn ein Maschinenbauteil ingenieurtechnisch für eine Lebensdauer von 40 Jahren ausgelegt ist, dann ist nach 40 Jahren auch Schluss mit der Garantie etwa vor Duktilbrüchen, Mikrorissen oder Materialalterung. Natürlich arbeiten bei den Atomaufsichtsbehörden auch Ingenieure, die das wissen. Und natürlich lassen sich einzelne AKW-Bauteile austauschen. Das Herzstück eines Atomkraftwerks, der Kernreaktor mit seinem Reaktordruckbehälter und den darin befindlichen Brennelementen, lässt sich aber nicht wechseln.


Die Erkenntnis, dass Atomkraftwerke gefährlich sind, hält sich immer nur sehr kurz. Dass Westdeutschland 1977 nur Sekunden an einem GAU vorbeischlitterte, ist heute den Wenigsten bekannt: Vom Betreiber und der Politik vertuscht, geriet am 13. Januar 1977 Block A des Atomkraftwerks Gundremmingen außer Kontrolle. Stattdessen fragt die Berliner Zeitung: "Sollten wir wieder zurück zur Atomkraft?" Bill Gates erklärt uns via Welt: "Die Menschen sollten wirklich offener sein für Atomkraft". Und das Handelsblatt titelt: "Die Atomkraft braucht eine neue Chance".

Also schleichendes Ende oder Renaissance? Tatsache ist, dass heute 443 Atomreaktoren in 31 Ländern betrieben werden - 25 mehr als Ende der 80er Jahre. In diesem Jahr werden mindestens 8 Reaktoren vom Netz gehen, Block 3 des AKW Indian Point im Bundesstaat New York macht im April den Anfang, im Laufe des Jahres sollen weitere vier Blöcke in den USA folgen – je zwei an den Standorten Dresden und Byron in Illinois. Zum Jahresende gehen die deutschen Atomkraftwerke Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen C vom Netz.


Neu hinzu kommen vor allem Atomkraftwerke in China, in den USA soll das AKW Vogtle 3 mit einer Leistung von 1.100 MW nach einer Bauzeit von über 10 Jahren ans Netz gehen, in Europa wird seit 19 Jahren am AKW Olkiluoto gebaut, die Kosten sind von geplanten 4 auf 26 Milliarden Euro gestiegen.


Seit 2020 arbeitet der erste Atomreaktor in der arabischen Welt: Ausgerechnet auf "Barakah", zu Deutsch "göttlicher Segen", wurde die Anlage im Industrieort Ruwais am Persischen Golf getauft. Dem Reaktor in den Vereinigten Arabischen Emiraten könnten weitere folgen, wie Bernward Janzing in einem beachtlichen Text ausführt:  Schließlich hätten auch Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien immer wieder vom Bau und Betrieb eigener Meiler getönt. Experten befürchten, dass die Emirate mit ihrem zivilen Atomprogramm die Option auf die Atombombe offenhalten wollen. Käme es zu einem Rüstungswettlauf in der Golfregion, stünden sich wohl der Iran und seine Verbündeten auf der einen Seite und die US-Alliierten Saudi-Arabien, Bahrain, VAE und womöglich sogar Israel auf der anderen Seite gegenüber. Und obwohl es nach wie vor weltweit kein Endlager für den hunderttausende von Jahren gefährlichen Strahlenmüll gibt, will jetzt auch Polen in die Atomkraft einsteigen - und an der Ostsee ein Atomkraftwerk bauen.

Über den deutschen Atomausstieg hat Kollegin Alexandra Endres bereits hier gepiqd. Bleibt die Frage: Brauchen wir die Atomkraft noch? Die Antwort liefert eine Studie des "Forum Sozial-Ökologische Marktwirtschaft": Müssten Atomstromproduzenten auch die gesellschaftlichen Kosten der Technologie tragen, würde die Kilowattstunde ab Kraftwerk 25 bis 39 Cent kosten. Und da sind die Kosten eines GAUs noch nicht einmal eingerechnet: Allein der Rückbau der Reaktorruine in Fukushima ist mit 180 Milliarden Euro veranschlagt. Solarstrom kostet in Deutschland dagegen derzeit weniger als 8 Cent. An sonnenreichen Standorten kann man ihn schon ab 2 Cent je Kilowattstunde produzieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) urteilt deshalb auch: "Zu teuer und gefährlich". Atomkraft sei keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung.

Zum Jahrestag: Die atomare Gefahr bleibt

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Kommentare 1
  1. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor mehr als 3 Jahre

    Als Ergänzung: Daniela Becker hat hier einen piq zu SMRs, also "Small Modular Reactors" ,geschrieben, über die aktuell diskutiert wird https://www.piqd.de/kl...

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