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Klima und Wandel

Eisschwund: Die Bilanz des arktischen Sommers 2021

Nick Reimer
diplomierter Energie- und Umweltverfahrenstechniker, Wirtschaftsjournalist und Bücherschreiber
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Nick ReimerMittwoch, 22.09.2021

Das Biotop rund um den Nordpol hat seine eigenen Gesetze – und die sind atemraubend: Im arktischen Sommer scheint die Sonne ohne Unterlass, 24 Stunden Solarenergie jeden Tag rund um die Woche – den ganzen Sommer lang. Erst Ende September beginnt wieder eine Art Nacht, die dann allerdings wächst bis es vor Weihnachten 24 Stunden lang stockduster ist – und wiederum monatelang anhält.

Insofern ist das nahende Septemberende eine gute Gelegenheit, Bilanz dieses arktischen Sommers zu ziehen: Wenn die ganze Zeit die Sonne scheint, heizt das den Nordpol natürlich auf. In diesem Jahr hat die Sommerwärme dem arktischen Meereis allerdings etwas verhaltener zugesetzt als in den zurückliegenden fünf Jahren. Bis zum derzeitigen Ende der Schmelzsaison schrumpfte die arktische Meereisdecke auf 4,81 Millionen Quadratkilometer. Das waren 1,54 Millionen Quadratkilometer mehr als zum bisherigen Negativrekord – aber trotzdem nur etwa halb so viel, wie 1980.

"Von einer Erholung des arktischen Meereises kann keine Rede sein", erklärt Prof. Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). "Zum einen liegt auch das aktuelle Meereisminimum weit unter den Werten, wie wir sie noch aus den 1990er und 2000er Jahren kennen. Das heißt, es bestätigt den starken Abnahmetrend der Eisausdehnung von gut zehn Prozent pro Dekade." Zum anderen belegten sowohl Satellitenmessungen als auch Vor-Ort-Beobachtungen (etwa aus der Wandelsee im Nordosten Grönlands und aus der Beaufortsee), dass die Eisdicke abnimmt und die Meereiskonzentration in beiden Regionen außerordentlich gering ist.

Dummerweise ist die Meereisbedeckung am Nordpol eines dieser Kippelemente: Wenn immer weniger Eis auf dem Ozean schwimmt, sinkt der Albedo-Effekt immer weiter, also die Rückstrahlfähigkeit der Oberfläche. Eis ist hell und strahlt viel der eingestrahlten Sonnenenergie zurück ins Weltall, eisfreies Wasser ist dunkler, es nimmt mehr dieser Energiestrahlen auf. Und heizt so den Ozean weiter auf, was dazu führt, dass noch mehr Eis schmilzt, woraufhin noch weniger Energie in den Weltraum abgestrahlt wird, was den arktischen Ozean noch wärmer macht und noch mehr Eis schmelzen lässt ... und so weiter. Eine Studie der Universität Cambridge kommt in Zusammenarbeit mit dem britischen National Meteorological Service zu dem Ergebnis, dass der Nordpol bereits mitte der 2030er Jahre eisfrei sein könnte.

Tatsächlich hatte auch dieser arktische Sommer einige Extremwetter zu bieten: Anfang August wurden an einer Wetterstation am Flughafen Nerlerit Inaat im Nordosten Grönlands 23,4 Grad Celsius gemessen – neuer Temperaturrekord in diesen Breiten. Hier, wo das Thermometer im Jahresverlauf nur selten über null Grad Celsius klettert und im August maximal 6 Grad anzeigt. Selten dürfte so viel Grönlandeis geschmolzen sein, wie bei der diesjährigen Hitzewelle!

Was das mit uns zu tun hat? Bestimmt wird das Wetter in Mitteleuropa von dem Jetstream, zu Deutsch „Strahlstrom“: Dieser Höhenwind pfeift mit bis zu 540 Kilometer pro Stunde zwölf Kilometer über unsere Köpfe hinweg. Zum Vergleich: Hurrikan „Patricia“ brachte es 2015 in erdnahen Schichten „nur“ auf 345 Kilometer pro Stunde, die bis dato stärkste je gemessene Windgeschwindigkeit über dem Atlantik. Aber nicht nur seine Geschwindigkeit ist maßgeblich für unser Wetter, sondern auch die Wellenbewegung des Windes: Wie eine endlose Sinuskurve mäandert er von West nach Ost über die Nordhalbkugel, seine Wellenbewegung schiebt die Hoch- und Tiefdruckgebiete weiter und bestimmt so Temperatur, Niederschlag und Sonnenschein bei uns. Angetrieben wird dieser Höhenwind wie jeder andere von einer Temperaturdifferenz – in diesem Falle von der zwischen den Tropen und der Arktis. Und weil sich der Nordpolarraum viel stärker als die meisten anderen Weltgegenden erhitzt, sinkt die Temperaturdifferenz zu den Tropen immer weiter. Und das schwächt den Jetstream. "Dieses Starkwindband gilt eigentlich als Motor für die Hoch- und Tiefdruckgebiete", sagt die Meteorologin Verena Leyendecker. Weil der Antrieb geringer wird, "kommen die Hochs und Tiefs nicht mehr voran", so die Expertin vom Wetterdienst Wetteronline. Das sei beispielsweise ein Grund gewesen, warum im Westen Deutschlands in diesem Sommer die Überschwemmung so verheerend waren.


Eisschwund: Die Bilanz des arktischen Sommers 2021

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Kommentare 1
  1. Wiebke Reißig-Dwenger
    Wiebke Reißig-Dwenger · vor 3 Jahren

    Exzellent erklärt, Nick Reimer. Besten Dank

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