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Fachkräftemangel im Krankenhaus: Schuld ist nicht die Pandemie

Silke Jäger
Freie Medizinjournalistin

Ich lebe in Marburg und schreibe über Gesundheit und Gesundheitspolitik.

Zum Kurator'innen-Profil
Silke JägerDienstag, 25.01.2022

Sechseinhalb Minuten reichen. Und vielleicht ist diese kurze Zeitspanne das entscheidende Indiz dafür, warum sich seit Jahrzehnten kaum jemand um die wichtigste und dringendste Krise im Gesundheitswesen kümmert: den Fachkräftemangel. Man hält schon die kurzen sechseinhalb Minuten kaum aus, in denen hier Pflegefachleute von Situationen erzählen, die sie an den Rand ihrer Kräfte bringen.

Sie erzählen einfach nur und schauen dabei direkt in die Kamera. Die Stimmen, die Blicke, die Worte. Alles wirkt. Man spürt sehr deutlich, was die Menschen sagen, ohne es auszusprechen: "Was uns am meisten verletzt, ist dass sich nichts ändert. Wir schließen daraus: Unsere Schwierigkeiten zählen nicht." Genau daraus entsteht moralischer Stress.

Wir haben in den letzten Monaten zigfach Geschichten darüber gehört, wie erschöpft Pflegefachkräfte sind, weil es einfach zu viel zu tun gibt und zu wenige Kolleg:innen vor Ort sind. Bei den meisten Berichten kommt aber nicht rüber, dass die Pandemie nicht daran schuld hat. Sie hat lediglich eine Lage verschärft (zugegeben: deutlich verschärft), die seit Jahren besteht. Krankenhäuser sparen an Personal, um mehr Gewinne zu machen.

Die Pflegeleute aus dem Video arbeiten in den USA, wo die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens noch mal ein anderes Niveau erreicht als in Deutschland. Andererseits ist der Personalschlüssel dort immer noch besser als in deutschen Kliniken. In den USA sind es im Schnitt ca. 6 Patient:innen, die eine Pflegefachkraft betreut, in Deutschland im Schnitt 13.

Mit diesen Zahlen im Hinterkopf kommen wir hier in Deutschland gar nicht mehr an der Erkenntnis vorbei, dass die Situation auf vielen Stationen und in vielen Heimen gefährlich ist – für das Personal und die Patient:innen.

Das Personal geht, der Mangel verschärft sich. Weil in den letzten 20 Jahren Worte dort kaum gewirkt haben, wo sie etwas hätten bewirken sollen: bei den Gesundheits- und Landespolitiker:innen. Weil Krankenhäuser gezwungen sind, Gewinne zu machen – und zwar alle, nicht nur die privatisierten Kliniken – laden sie das Problem beim Personal ab. Es soll durch Überanstrengung ausgleichen, was das System nicht mehr gewährleisten kann: sichere medizinische Versorgung.

Die Menschen aus dem Video stehen nicht nur stellvertretend für eine Berufsgruppe (die Pflege ist weltweit in einer prekären Lage). Sie stehen stellvertretend für alle, die in einem System arbeiten, das sie nicht ausreichend wertschätzt.

Die Folgen können jeden treffen. Es ist deshalb wichtig, diesen Menschen zuzuhören. Aber noch wichtiger ist es, die Politik dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen. Was ist das Ziel? Bestmögliche Versorgung (bestmöglich ist ein Euphemismus)? Oder Versorgung nach medizinischen Standards?

Wenn fachliche Standards eingehalten werden können (weil die Arbeitsbedingungen darauf ausgerichtet sind), schützt das die Gesundheit des Personals und der Patient:innen. Deswegen steht hinter der leeren Phrase "bei uns steht der Patient im Mittelpunkt" ein ganzes Universum an definierten Prozessen, medizinischem Wissen und Arbeitsschutzauflagen, die tatsächlich eingehalten werden müssen. Nur wenn das klappt, wollen medizinische Teams auch wieder eine Extrameile gehen für die Gesundheit eines ihnen anvertrauten Menschen. Freiwillig. Und weil es ihrem Berufsethos entspricht.

Disclaimer: Ich verlinke in diesem piq auf Texte, die ich selbst geschrieben habe.

Fachkräftemangel im Krankenhaus: Schuld ist nicht die Pandemie

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Kommentare 7
  1. Wolfgang Stark
    Wolfgang Stark · vor fast 3 Jahre

    Huhu, bei mir funktioniert der Link zum Thema "Krankenhäuser gezwungen. Gewinne zu machen" nicht !

    1. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor fast 3 Jahre

      Huch, ja. Ist repariert.

  2. Annette Janssen
    Annette Janssen · vor fast 3 Jahre

    Ich habe deinen Krautreporter Artikel „Der wahre Grund warum Pflegekräfte aufgeben“ gelesen. Du sprichst vielen Pfleger_Innen aus der Seele! Ich bin ausgebildete Intersivkrankenschwester und habe nach zehnjähriger Intensiv-Erfahrung nach meinem zweiten Kind aufgehört im Krankenhaus zu arbeiten. Schon damals musste ich mir sagen lassen, dass optimale Pflege nicht mehr angesagt ist, sondern ausreichende Pflege. Das ist gut zwanzig Jahre her! Zudem höre ich von pflegenden/ehemals pflegenden Bekannten und Freund_Innen immer gleiche Erfahrungen aus dem Krankenhaus zu Arbeitsbedingungen und fehlender Wertschätzung und immer gleicher Ausnutzung der Pfleger_Innen.
    Das Gleiche in Berufen, die mit der Gesundheitsversorgung zu tun haben. Arztpraxen, Pflegedienste, Pflegeheime usw.
    Ich habe vor einigen Wochen zwei Pflegerinnen vor unserem städtischen Krankenhaus gesehen und mein erster Gedanke war: „Da musst du nicht mehr hin“.
    Wirklich schlimm, was mit mir und meinesgleichen gemacht wurde und wird und ich habe die Hoffnung schon lange begraben, dass sich im Gesundheitswesen etwas zum Besseren ändern wird.
    Danke, dass du zumindest die Zustände immer mal wieder schilderst und den Gedanken an die Missstände wach hältst!

    1. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor fast 3 Jahre

      Liebe Annette, dein Kommentar bewegt mich sehr. Vielen Dank!
      Mir geht's auch so: Ich gebe die Hoffnung gerade auf, dass irgendetwas anderes wirken wird, als die Katastrophe selbst. Betroffenheit und Empörung beim Publikum zu erzeugen wird leider nichts verbessern. Wir müssen natürlich trotzdem berichten. Aber lieber wäre mir, wenn mehr Menschen die Zusammenhämge hinter der Abrechnunsglogik im Gesundheitswesen verstehen würden und sich darüber empören. Doch das greift zwangsläufig den eigenen Geldbeutel an und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Frage ist aber tatsächlich, was uns ein gesundes Gesundheitssystem wert ist, also eins, das Menschen nicht kränker macht. Aus dieser Diskussion müsste die Gesundheitswirtschaft mal eine zeitlang konsequent ausgeschlossen werden, um sie später gezielt mit zielführenden Aufgaben zu beauftragen.
      Ich träume hier mal ein bisschen ...

    2. Annette Janssen
      Annette Janssen · vor fast 3 Jahre

      @Silke Jäger Ich hoffe, dass dein Traum wahr wird und ich gebe auch nicht auf in meinem Verwandten- und Bekanntenkreis darauf aufmerksam zu machen, dass der Anspruch auf sofortige medizinische Versorgung mit maximaler Gerätemedizin und höchster Wertschätzung und Freundlichkeit bei nicht akuten Erkrankungen bei der heutigen Abrechnungspraxis und natürlich der allgemeinen Überlastung nicht unter einen Hut gebracht werden kann. Jedoch kann ich an deren Reaktionen ablesen, dass sich in nächster Zeit nichts ändern wird. Ich glaube, dass nicht nur die Finanzierung ein Problem ist, wie du es so richtig herausstellst, sondern zu einem nicht zu vernachlässigenden Teil die Stellung der Pflegenden in der Gesellschaft. Dieser überwiegend von Frauen ausgeübte Beruf wird von männlichen Entscheidern als nicht wichtig angesehen. Trotz des Versuchs viele Teile aus dem Berufsfeld zu akademisieren, sind wir immer noch die „A….abwischer“, deren Tätigkeit zudem von jeder pflegenden Angehörigen erledigt werden könnte. Ich möchte gar nicht so pessimistisch und fatal klingen, bin aber durch meine Tätigkeiten im Palliative Care Bereich (auch fachausgebildet) und in der ersten Welle der Impf-Kampagne (als Impferin) immer wieder eines Besseren belehrt worden. Und ich weiß leider auch, dass es vielen meiner Leidensgenoss_Innen ähnlich, oder schlechter geht. Trotzdem möchte ich dich auch ermutigen weiter zu schreiben. Schon schön zu lesen, was mir so aus dem Herzen spricht!

    3. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

      @Annette Janssen Das stimmt ganz sicher: Die Care-Revolution sollen die Frauen mal schön unter sich ausmachen. So würde ich den Stand der Debatte zusammenfassen. Das Bild von Pflege ist so falsch und es wird immer noch und ich würde sogar sagen immer stärker in die Richtung gedreht: Pflege kann jede:r. Deshalb habe ich mir vorgenommen, demnächst mehr über die Fachlichkeit der Gesundheitsberufe zu berichten (es betrifft auch die Therapieberufe, auch Frauendomäne). Ich glaube, dieser Umlernprozess der Gesellschaft muss massiv forciert werden, am liebsten von den Berufsgruppen selbst, damit am Ende nicht rauskommt, dass nur noch die ohne eine andere Wahl in die Pflege gehen. Das ist ja Teil der Katastrophe ...
      Wenn ich nur daran denke, wie Deutschland im internationalen Ausbildungsstandard abschneidet. Ich habe mal als Ergotherapeutin gearbeitet und hätte mit meiner Ausbildung in den USA nur einen Hilfsjob machen dürfen. Und wir wollen ausländische Examen nur mit Bauchschmerzen anerkennen? Das ist zum großen Teil Selbstüberschätzung.
      Es liegt wirklich viel im Argen.

    4. Annette Janssen
      Annette Janssen · vor fast 3 Jahre

      @Silke Jäger Dann kann ich mich ja auf weitere Artikel freuen. Klasse!

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