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Fundstücke

Wolf Thieme wuchs unter Nazis auf. Und engagiert sich gegen ihrer Wiederkehr.

Alexandra Endres
Journalistin
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Alexandra EndresSamstag, 03.11.2018

Dieser Text beginnt mit einem unglaublichen Zitat.

"Wenn es wirklich wieder zu einem Putsch von rechts kommen sollte, werden wir wohl, letztendlich, schießen müssen."

Der das sagt, ist Wolf Thieme, 81 Jahre alt, wohnhaft in Bad Belzig, Brandenburg, geboren zwischen Hitlers Machtergreifung und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Er will nicht schießen, denn er weiß, was Krieg bedeutet. Als Kind hat er ihn erlebt: den Fliegeralarm, die Flucht in die Schutzräume, die Bomben, die zerstörte Wohnung der Familie. Er hatte einen Vater, der ihm das Nazitum systematisch austrieb, wie Thieme sagt. 

Alexander Krex, mein Kollege bei ZEIT ONLINE, hat Thieme in Brandenburg besucht. Herausgekommen ist eine klasse Reportage über einen engagierten Menschen und zugleich ein tolles Porträt, das Thiemes Geschichte und die Beweggründe seines Engagements nachzeichnet.

Nach dem Krieg war Thieme Journalist. Er lebte in Berlin, Karlsruhe, Hamburg und Rom. Als er in Rente ging, setzte er sich in Bad Belzig zur Ruhe. Aber stillsitzen kann er nicht.

Er ist Vorstandsmitglied im Belziger Forum, einem Bürgerverein, der in den Neunzigern gegründet wurde, als Neonazis die Stadt zur nationalbefreiten Zone machen wollten. Er ist in die SPD eingetreten, hat einen Stolperstein im Ortskern setzen lassen und beschwert sich über den Hundeübungsplatz auf einem ehemaligen KZ-Gelände. Zuletzt war er damit beschäftigt, eine Ausstellung über jüdisches Leben in der Region zu machen.

Die Ausstellung erzählt von den Menschen, die während des Krieges in die Konzentrationslager deportiert und dort ermordet wurden, und von jenen Bürgern Bad Belzigs, denen die Flucht ins Ausland gelang. Thieme kennt die Namen der Opfer und die der Täter. Er sagt: Gute Bad Belziger aus dieser Zeit seien ihm bei seinen Recherchen kaum begegnet.

Er könne nicht begreifen, dass man die Juden wirklich alle umbringen wollte, sagt Thieme. Nicht ausweisen, das wäre schlimm genug gewesen, ermorden. An dieser Tatsache scheitert sein Verstand.

Thieme geht es auch – und vor allem – um heute. Nach dem Krieg dachte er, die Nazis würden mit der Zeit aussterben. Jetzt ist er sich da nicht mehr so sicher. Er kennt den Hass, der dem Krieg vorausgeht, und gerade deshalb bereitet es ihm Sorgen, was in Deutschland heute geschieht.

"Und heute? Chemnitz? So eine Scheiße!"

Krex schreibt:

Was er (Thieme) fürchtet, ist nicht das mögliche Eintreten einer Prognose, sondern die Wiederkehr des einmal Dagewesenen. Er kennt das Monster, deshalb klingt sein "Nie wieder!" so entschlossen.

Wolf Thieme wuchs unter Nazis auf. Und engagiert sich gegen ihrer Wiederkehr.

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