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Wie ein junger Historiker vor 60 Jahren den Holocaust beschrieb

Theresa Bäuerlein
Journalistin. Autorin. Seit (gefühlt) schon immer.
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Theresa BäuerleinFreitag, 30.07.2021
Obwohl die Juden in Güterwaggons transportiert wurden, buchte man sie bei der Reichsbahn als gewöhnliche Fahrgäste. [...] Basistarif war der 3. Klasse-Fahrpreis: vier Pfennig pro Streckenkilometer. Kinder unter zehn zahlten den halben Preis; Kleinkinder unter vier reisten umsonst. Gruppentarife (halber 3. Klasse-Fahrpreis) wurden gewährt, wenn wenigstens 400 Personen zu befördern waren. [...] Für die Deportierten war der einfache Fahrpreis zu entrichten, für die mitreisende Bewachung mußte eine Rückfahrkarte gelöst werden.

Diese Sätze stehen in dem Buch "The Destruction of the European Jews" des jungen US-Politikwissenschaftlers Raul Hilberg, das vor 60 Jahren erschienen ist. Es war eine Pionierarbeit. Der 1926 geborene Hilberg schrieb das Buch mit Mitte dreißig, als die Vernichtung der europäischen Juden, die erst seit den 70ern als „Holocaust“ bekannt ist, noch die wenigsten interessierte. Er gehörte zu den ersten Forscher:innen in diesem Bereich, schaffte alleine etwas, für das es eigentlich eine ganze Forschungsgruppe gebraucht hätte. Nach eigenen Schätzungen exzerpierte er mehr als 40.000 Dokumente. Nicht das „Warum“ interessierte ihn in seinem Buch, sondern das „Wie“. Er konnte zeigen, 

…dass alle deutschen Institutionen in arbeitsteiliger Weise am Massenmord mitwirkten, von den Kirchen, die den »Ariernachweis« ausstellten, über die Reichspost, die die Briefmarkensammlungen aus jüdischem Besitz konfiszierte, über Banken und Versicherungen bis zu den Kommunalverwaltungen und Reichsministerien. Denn für die Judenverfolgung gab es keine zentrale Behörde. Jahrzehnte vor den deutschen Debatten um die Verbrechen der Wehrmacht (1995) und das Auswärtige Amt (2010) legte Hilberg bereits deren maßgebliche Beteiligung am Holocaust offen.

Erst 1982 (!) fand Hilberg in Deutschland einen kleinen Verlag für die Übersetzung. Die großen Verlage scheuten Aufwand und Thema – und vielleicht das umfangreiche Namensregister seines Buches angesichts der laufenden NS-Prozesse und der Elitenkontinuität in der deutschen Ministerialbürokratie. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe schreibt Hilberg:

Geschichte läßt sich nicht ungeschehen machen, erst recht nicht die Geschichte dieses Ereignisses, das im Zentrum einer Erschütterung stand, die die Welt verändert hat. Diese Vergangenheit nicht zu kennen heißt sich selbst nicht begreifen.
Wie ein junger Historiker vor 60 Jahren den Holocaust beschrieb
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Kommentare 1
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als 3 Jahre

    Das bahnbrechende Werk, das Raul Hilberg bis ins Jahr 2002 aktualisierte und bearbeitete, stieß lange auf Widerstand der etablierten Historiker.
    https://de.wikipedia.o...

    Die Lage damals ähnelt der heute: Wieder wollen etablierte Kräfte neue Ansichten wie zum Beispiel die von Michael Rothberg nicht zur Kenntnis nehmen oder werten diese ab.

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