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Warum der Bundestag seinen Beschluss zur BDS-Kampagne ändern sollte

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
Zum Kurator'innen-Profil
Dirk LiesemerDienstag, 22.12.2020

Viel wird in diesen Tagen über den Beschluss des Bundestags vom Mai 2019 zur BDS-Bewegung diskutiert. Dieser forderte die Regierung auf, der antizionistischen Bewegung unmissverständlich entgegenzutreten und ihr keine öffentlichen Gelder zukommen zu lassen (hier die Debatte auf dem phoenix-Kanal bei YouTube, hier kurz auf bundestag.de und vor allem hier). Denn der BDS betreibe Boykottaufrufe und stelle das Existenzrecht Israels infrage.

Schon damals gab es Kritik von einigen Grünen und vor allem von linken Politikern, aber auch von einzelnen Abgeordneten der Union. Letztere befürchteten, es könne nicht mehr klar genug zwischen legitimer Kritik an der israelischen Regierung und Antisemitismus unterschieden werden.

Hochgekocht ist die Debatte nun aufgrund des Protests zahlreicher Kultur- und Wissenschaftsinstitute: Sie haben als "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit" ein Plädoyer verfasst, welches die BDS-Resolution als gefährlich bezeichnet. Unter anderem heißt es:

"Unter Berufung auf diese Resolution werden durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt."

Zu den Unterzeichnern gehört Hanno Loewy, Direktor des Jüdisches Museum Hohenems. Im Deutschlandfunk kritisierte er dieser Tage:

Zunächst einmal erhebt dieser Bundestagsbeschluss einen pauschalen Vorwurf, dass die BDS-Bewegung in Gänze antisemitisch sei. Und das ist diskurspolitisch der schärfste Vorwurf, den man in Deutschland irgendjemand machen kann. Das ist ein Verdikt, das letztlich bedeutet, dass man jede Kommunikation abspricht.

In Teilen der jüdischen Gemeinde sorgt das Plädoyer der Initiative hingegen für Empörung – nachzulesen etwa hier, hier und hier in der Jüdischen Allgemeinen. Für die Autoren steht fest: BDS ist antisemitisch. Auch andere Zeitungen äußerten sich negativ. So schrieb Tobias Rapp im Spiegel, die Behauptungen seien absurd.

Ist die Kritik der Initiative also überhaupt zutreffend? Gibt es Redeverbote? Und vor allem: Gibt es Redeverbote, die sich nicht rechtfertigen lassen? Und selbst wenn es bislang kein einziges Verbot gegeben haben sollte, gibt es dann Beispiele dafür, dass die freie Rede bereits von staatlichen Stellen behindert wurde?

Über diese Fragen streiten der Historiker Michael Wolffsohn und der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann in einem aktuellen, lesenswerten, aber leider nicht frei zugänglichen Spiegel-Gespräch. Während Wolffsohn den Bundestagsbeschluss lobt, nennt Naumann folgendes Beispiel:

Eine Zensur findet doch längst statt. Im Juli 2018 lud das Jüdische Museum Berlin den palästinensischen Friedensforscher Sa'ed Atshan ein, einen Vortrag über die Lage der Homosexuellen in Ostjerusalem zu halten. Irgendwann in seinem Vorleben hat Professor Atshan mal an einer amerikanischen Universität einen BDS-Aufruf unterschrieben. Plötzlich bricht in Berlin der Sturm los. Die Konsequenz: Er wird ausgeladen. Unfassbar. Ich habe Atshan dann sofort aus Prinzip eingeladen, in der Barenboim-Said Akademie zu sprechen, obwohl mich sein Thema nicht brennend interessierte.

Auch auf einen F.A.Z.-Debattenbeitrag der Münsteraner Geschichtsprofessorin Barbara Stollberg-Rilinger möchte ich hinweisen. Sie merkt an:

Der gutgemeinte BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages hat eine Atmosphäre der Rechtsunsicherheit und vorauseilenden Selbstzensur geschaffen, die kein Freund liberaler Rechtsstaatlichkeit ernsthaft gutheißen kann.

Mit dem Beschluss, schreibt die Historikerin, sei eine gesellschaftliche Polarisierung befördert worden, deren schlimmste Auswüchse man derzeit ja in den Vereinigten Staaten von Amerika beobachten könne. Denn so vieles sei unklar: Wo hört Kritik an Israel auf, was will diese diffuse BDS-Bewegung überhaupt, und was ist mit Menschen, die der Nähe zum BDS verdächtigt werden?

Gepiqt habe ich einen frei zugänglichen Text aus der Zeit, verfasst vom israelischen Philosophen Omri Boehm, der als Associate Professor für Philosophie an der New School in New York unterrichtet. Boehm liefert mit seinem Text einen Blick von außen, weshalb ich ihn denn auch ausgewählt habe: Er fordert den Bundestag auf, noch einmal über die im Beschluss verwendete Definition von Antisemitismus nachzudenken, und er macht auf eine problematische Formulierung im BDS-Beschluss aufmerksam. Im Kern gehe es um folgende grundsätzliche Frage: Ist es antisemitisch, Israels Existenzrecht als jüdischer Staat zu bestreiten?

Warum der Bundestag seinen Beschluss zur BDS-Kampagne ändern sollte

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Kommentare 6
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 4 Jahre

    BDS ist selbst verantwortlich dafür, pauschal "abgeurteilt" zu werden - grenzen sie sich doch selbst nicht genug gegenüber antisemitischen Positionen ab. Aber das führt nun dazu dass der BT nun wiederum nicht klar/fein genug definiert. und die Äußerungen des Instituts sind dann auch noch 'grober Keil'...

  2. Burkhard Geis
    Burkhard Geis · vor fast 4 Jahre

    Schade, dass auf pigd, wie meistens, nur in eine politische Richtung ausgewählt und interpretiert wird. Wie wäre es gewesen, hier einmal den klugen Essay von Thomas Schmid "Schlussstrich, diesmal von links" (Welt vom 19.12.) zu diesem Thema zu empfehlen! Natürlich sind die Aufrufe zum Boykott Israels antisemitisch und es ist das gute Recht, des Bundestages, dazu Stellung zu nehmen, vor allem, weil es um eine besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel geht und auch um die direkte und indirekte öffentliche Förderung der BDS-Bewegung. Es ist schon bezeichnend, gerade jetzt eine solche Auseinandersetzung anzufachen, wo wir es in Deutschland und anderen europäischen Ländern mit zunehmendem Antisemitismus zu tun haben.
    Burkhard Geis

    1. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor fast 4 Jahre

      Danke Herr Geis.
      Uns wird wahlweise zu linke oder zu konservative Haltung vorgeworfen. Zum Glück haben wir ja auch die Community und wir freuen uns, wenn diese dann alternative Blickwinkel beiträgt. Gerne auch mit Link oder als eigener piq in der Community, ggf. mit Verweis auf den "Bezugs-piq".
      Frohe Feiertage!
      marcus jordan

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

      Sehr geehrter Herr Geis,

      jetzt, nach Weihnachten, möchte ich doch noch kurz auf Ihre Kritik antworten. Hin und wieder würde ich tatsächlich gerne Texte aus der "Welt" piqen, nicht zuletzt Beiträge von Thomas Schmid. Allerdings gibt es zwei Nachteile: Zum einen stehen die "Welt"-Text sehr schnell hinter einer Bezahlschranke, zum anderen sind die Ausgaben der Zeitung nicht einmal für kurze Zeit bei Blendle abrufbar. In diesem Falle hätte ich Thomas Schmid aber wohl nicht gepiqd, weil ich die Position eines israelischen Philosophen in dieser Frage grundsätzlich für interessanter halte als die eines deutschen Publizisten. Zudem, Sie haben es sicher bemerkt, sind oben im Piq auch Texte verlinkt, die sich ausgesprochen kritisch zum BDS äußern, ja, dieser Bewegung die Legitimität absprechen.

      Ob jeglicher Boykottaufruf antisemitisch ist, auch darüber wird gestritten. So haben Shimon Stein (2001 bis 2007 Israels Botschafter in Deutschland) und Moshe Zimmermann (Professor emeritus an der Hebräischen Universität Jerusalem) vor gut einem Jahr im "Tagesspiegel" geschrieben: "Indem man den Boykott von Waren aus den besetzten palästinensischen Gebieten mit dem NS-Judenboykott vom 1. April 1933 assoziiert und somit den Vorwurf des Antisemitismus heraufbeschwört, delegitimiert man sogar die vom internationalen Recht geforderten Restriktionen gegen Israel. Hier geht es nicht mehr um die Frage, wann 'Israelkritik' in Antisemitismus umschlägt, sondern schlicht um die Instrumentalisierung der Angst vor Antisemitismus im Dienst des politischen Zynismus." Nachzulesen hier: https://www.tagesspieg...

      Mit freundlichem Gruß, Dirk Liesemer

  3. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor fast 4 Jahre

    NACHTRAG Stefan Reinecke berichtet heute in der taz von einem Gutachten: "Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes (des Bundestages, DL) unterstreicht, dass der Bundestagsbeschluss eine 'politische Meinungsäußerung' ist, die keine rechtliche Verbindlichkeit hat. Insofern können sich die Unterstützer des Anti-BDS-Beschlusses bestätigt fühlen. Sie werfen den Kulturinstitutionen vor, sich als Opfer eingebildeter Zensur zu inszenieren. Allerdings bestätigt das Gutachten die Überzeugung der Unterstützer nur darin. Denn das Gutachten besagt andererseits, dass die Anti-BDS-Praxis im Widerspruch zur grundgesetzlich verbrieften Meinungsfreiheit steht. Als Gesetz, so ein Resümee, wäre der Bundestagsbeschluss eine 'verfassungswidrige' Einschränkung der Meinungsfreiheit. Denn es gebe keinen Nachweis, dass BDS 'gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“'gerichtet sei." https://taz.de/Streit-...

  4. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 4 Jahren

    Ja, dieser Appell für Weltoffenheit erscheint mir auch wichtig.

    Hier eine zusätzliche Begründung von Aleida Assmann:
    https://www.fr.de/kult...

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