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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
... so Brecht und daran dachte ich, als ich dieses Gespräch las. Den europäischen Sonderweg sieht Herfried Münkler gerade in der – im Gegensatz zu China – langsamen Industrialisierung. Es gelang vor allem in Westeuropa Gesellschaften nicht nur
entlang vertikaler Hierarchien sondern auch horizontal, solidarisch zu organisieren. Die meisten Gesellschaften bestehen aus Gruppen, in denen Kapos und Gangleader um die Herrschaft konkurrieren.
Der europäische Sonderweg, der sich auch von denen in der islamischen Welt oder in Afrika unterscheidet, war
nur möglich, weil in Westeuropa Stammes-, Clan- und Familienstrukturen so geschwächt waren, dass sich ganz andere Verbindungen und dann auch politische Kampfbünde herausbilden konnten.
In China gibt es Millionen Arbeiter, auch Revolten, aber keine Arbeiterklasse, die gemeinsam handelt. Dadurch sind die Hoffnungen von Marx grau geworden:
Er betrachtete die Arbeiter Westeuropas und kam zu dem Schluss, dass ... sich bei ihnen ein gemeinsames Bewusstsein von gemeinsamen Interessen herausbildete, aus dem auch politische Handlungsfähigkeit erwuchs. Das nannte er die Arbeiterklasse. Daraus eine globale Gesetzlichkeit entwickeln konnte man nur, wenn man die spezifischen westeuropäischen soziokulturellen Voraussetzungen ihrer Entstehung übersah. Marx selbst tat das nicht.
Dadurch drohen wir in eine Sackgasse zu geraten, wenn auch in Europa weiter:
die sozial-moralischen Ressourcen der Bürger, die „Tugenden“ also, verfallen und die Orientierung am Gemeinwohl nachlässt – dann schlägt die Stunde der Despoten.
Bereits antike Autoren wie Polybios sahen darin einen Kreislauf, der mit dem Sturz der Tyrannen neu beginnt:
und es erblühen wieder die Tugenden – sei es durch Krieg oder Bürgerkrieg – und mit ihnen die „Republik“. Marx bringt diese Idee einer sich zyklisch vollziehenden Selbstdestruktion von Systemen zusammen mit der Idee des Fortschritts.
In diesem Sinn ist Brecht zu verstehen. Ohne eine Erneuerung im republikanischen Geist bleibt es trübe.
Quelle: Arno Widmann fragt Herfried Münkler Bild: rtr fr.de
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