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Libyens nächste Wahl muss zählen

Project Syndicate
The World's Opinion Page
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Project SyndicateSamstag, 18.12.2021

Wir veröffentlichen regelmäßig Übersetzungen ausgewählter Meinungsstücke von Project Syndicate. Diese sind zunächst als Service-piqs exklusiv für unsere Mitglieder zugänglich.

Jahrzehnte in Chaos und Bürgerkrieg haben die libysche Bevölkerung politikverdrossen werden lassen. Dabei kann die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 24. Dezember 2021 einen entscheidenden Schritt zum Aufbau von politischem Vertrauen, Legitimität und Stabilität darstellen. Voraussetzung dafür ist, dass die Möglichkeit, die Kandidaten über ihre Pläne für das Land diskutieren und debattieren zu hören, ausreichend genutzt werden kann. Vorbild könnten die positiven Entwicklungen in der libyschen Kommunalpolitik sein.

Belabbes Benkredda, Träger des Demokratiepreises des Nationalen Demokratischen Instituts von 2013, ist Gründer der Munathara-Initiative und Gruber Fellow für Globale Gerechtigkeit an der Yale Law School.

TUNIS – Am 24. Dezember sollen die libyschen Bürgerinnen und Bürger für die erste Runde der Präsidentschaftswahlen, die bereits seit Jahren vorbereitet werden, an die Urnen gehen. Nach Jahrzehnten der Diktatur, des Bürgerkriegs und darauffolgender lähmender Unsicherheit soll nun gewählt werden. Damit die Ergebnisse aber weithin anerkannt werden, müssen die Wähler eine gut informierte Wahlentscheidung treffen können.

Möglicherweise geschieht dies nicht. Aufgrund des engen Wahlkalenders haben die Libyer nur wenig Zeit, sich über die mehr als 70 Kandidaten genau zu informieren. Wegen der Anwesenheit ausländischer Kräfte im Land und der Angst vor erneuten Konflikten wurde die Wahlkampfperiode auf zwei Wochen verkürzt. Darüber hinaus sind kaum genaue Informationen über die Kandidaten verfügbar, weil die libysche Medienlandschaft stark fragmentiert ist. Ohne eine intensive öffentliche Debatte werden die Wahlergebnisse nur die bereits bestehenden Spaltungen im Land widerspiegeln – und vielleicht noch verstärken. Obwohl sich die meisten Libyer offensichtlich nach Frieden und Stabilität sehnen, könnte die Wahl zu mehr Gewalt führen.

Nach dem Ende des zweiten libyschen Bürgerkriegs im Oktober 2020 rief ein von den Vereinten Nationen vermittelter Friedensprozess die achte Übergangsregierung des Landes seit dem Sturz von Muammar al-Gaddafis Regime im Jahr 2011 ins Leben. Eins der Hauptziele der Regierung war, die erste freie und direkte Präsidentschaftswahl des Landes überhaupt abzuhalten. Um diesen Prozess zu unterstützen, haben meine Kollegen und ich den größten Teil des letzten Jahres damit verbracht, Debatten der Präsidentschaftskandidaten des Landes zu planen.

Seit Monaten versuchen wir, die Politiker in aller Welt davon zu überzeugen, dass diese Wahl nur erfolgreich sein wird, wenn die Wähler die Kandidaten und ihre Ansichten miteinander vergleichen können. Viele Jahre lang hat die internationale Gemeinschaft Millionen von Dollar für gescheiterte Versuche ausgegeben, Libyen zu einem stabileren, demokratischeren Staat zu machen. Unterstützt sie diese Debatten, wäre dies ein Ausgangspunkt, um die nötigen Bedingungen für eine langfristige libysche Demokratie zu schaffen.

Wahlen allein bringen ja noch keine Demokratie. Um die immer schwächere unabhängige Presse des Landes zu unterstützen, den von Hassreden geprägten Rundfunk zu regulieren und es Libyens Zivilgesellschaft zu ermöglichen, die – im Land verzweifelt benötigten – konstruktiven Gespräche zu führen, sind massive Bemühungen erforderlich. Aber unser Ansatz hat nur wenig Aufmerksamkeit erhalten.

Dies muss sich ändern. Die Libyer sind von der Politik, die weithin mit Korruption in Verbindung gebracht wird, ernüchtert. Und nach Jahrzehnten des politischen Chaos und verzögerter Wahlen sind sie skeptisch, ob der bevorstehende Urnengang überhaupt etwas ändern wird. 2014 hat weniger als ein Fünftel der libyschen Wahlberechtigten an den Parlamentswahlen teilgenommen, und kurz darauf glitt das Land in den Bürgerkrieg ab. Viele fürchten, die Präsidentschaftswahl könnte ähnliche Folgen haben.

Ihre Ängste sind nicht unberechtigt. Ohne den nötigen Raum für Diskussionen zwischen konkurrierenden Kräften mussten jene, die sich für Libyens höchstes Amt bewerben, kaum kritische Blicke über sich ergehen lassen. Die Medien des Landes strotzen vor Falschinformationen. Dutzende Fernsehkanäle – von denen viele durch konkurrierende Regionalmächte finanziert werden – bieten selbst über die grundlegendsten Tatsachen krass voneinander abweichende Versionen. Kandidaten treten auf den ihnen freundlich gesinnten, voreingenommenen Kanälen auf, und müssen niemals auch nur einfache Fragen beantworten, wie ihre Vision der Zukunft des Landes aussieht und wie sie regieren wollen.

Bei den Kommunalwahlen ist dies ganz anders. Im Gegensatz zur nationalen Ebene ist die Lokalpolitik in Libyen eine Erfolgsgeschichte. Seit 2011 ist die Anzahl der Debattierklubs, die Dialoge zwischen den politischen Lagern organisiert haben, in allen Regionen explodiert. Im letzten Jahrzehnt wurden friedlich über 100 Gemeinderäte gewählt. Und während nationale Institutionen vom Einfluss der Milizen untergraben werden, konnten Jugendorganisationen und respektierte Gemeinschaftsälteste auf lokaler Ebene Diskussionsplattformen aufbauen. Unsere vorgeschlagenen Präsidentschaftsdebatten bauen auf diesen Fortschritten auf.

Bei der Planung dieser Debatten haben meine Kollegen und ich uns sehr bemüht, sie für die Wähler zu einer glaubwürdigen Informationsquelle zu machen. Dazu haben wir ähnliche Debatten in aller Welt untersucht – von Belarus über Kolumbien bis Jamaika. Wir haben uns entschieden, die Debatten dezentral abzuhalten, um Anschuldigungen wegen Parteilichkeit zu verhindern, zu denen die Wahl eines zentralen Ortes für eine gemeinsame Veranstaltung unvermeidlich geführt hätte.

Eine unzensierte und authentische politische Debatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten ist ein wichtiger Schritt, um die bewaffneten Fraktionen und politischen Eliten zu entmachten, die momentan um Dominanz kämpfen. Unabhängig davon, welche Gruppe an der Macht ist, werden weitere Konflikte unvermeidlich sein, bis die Bürger dem politischen Prozess vertrauen und ihn unterstützen – und die Politiker wissen, dass die Wahlergebnisse respektiert werden.

Die Präsidentschaftsdebatten bieten allen Kandidaten die Gelegenheit, der Bevölkerung echte Antworten zu geben – eine scharfe und notwendige Abkehr von den Hinterzimmerabkommen und Nebengeschäften, von denen die libysche Politik geprägt ist. Außerdem können die Debatten die Gefahr verringern, dass es nach der Wahl zu einem Legitimitätsvakuum kommt. Im Rahmen der Gespräche werden wir die Kandidaten auch fragen, ob sie planen, die Wahlergebnisse zu akzeptieren.

Dass überhaupt Wahlen stattfinden, ist ein vielversprechendes Zeichen in einem Land, das sich immer noch von zehn Jahren Bürgerkrieg und politischer Fragmentierung erholen muss. Aber Wahlen allein reichen dazu nicht aus. Bis jetzt waren sie in Libyen von geringer Beteiligung, umstrittenen Ergebnissen und parteilicher Gewalttätigkeit bestimmt. Eine echte, funktionierende Demokratie benötigt eine lebendige, unzensierte Debatte; gleichberechtigte Möglichkeiten zu sprechen und gehört zu werden; und vor allem eine Kultur des Vertrauens zwischen den Bürgern und den Politikern, von denen sie repräsentiert werden.

Die Präsidentschaftsdebatten sind ein erster Schritt, um in Libyen solche Bedingungen zu schaffen. Sie verdienen nichts weniger als die volle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Libyens nächste Wahl muss zählen

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