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Fundstücke

Jedem seine Wahrheit – der widersprüchliche Populismus

Jannis Brühl
Redakteur
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Jannis BrühlDonnerstag, 18.06.2020

Dieser Text des Politikwissenschaftlers Torben Lütjen von 2019 ist einer der besten, die ich zum Verständnis von AfD, Trump und Co. gelesen habe. Er räumt nachvollziehbar auf mit der vereinfachenden These, die rechten populistischen Bewegungen (wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen kann, auch darauf geht der Text ein) seien im Kern (nur) autoritär wie die faschistischen Strömungen der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Der Versuch, diese politischen Strömungen mit dem "autoritären Charakter" rückgratloser Befehlsempfänger muss scheitern oder ist zumindest unvollständig, so die These.

Das verbindende Element ist nicht die Unterordnung unter eine totalitäre Idee und die Uniformierung, sondern im Gegenteil ein stumpfer Hyper-Individualismus, in dem alle Institutionen lügen außer der eigenen Internet-Recherche. (Stichwort: "redpilling"). Denn: 

...die eigentliche Wurzel des modernen Selbstermächtigungs-Populismus: der Unfähigkeit, zu vertrauen. Traue keinem über 30, hieß es bei den Achtundsechzigern, aber der moderne Populismus hat die Misstrauensannahme erheblich erweitert und auf alles bezogen, was nicht Teil der eigenen, gefühlten Wirklichkeit ist. Vielleicht am treffendsten ist deswegen auch die Formel des französischen Soziologen Daniel Bensaïd, der von einem „autoritären Individualismus“ sprach: „Jedem seine Wahrheit.“ 

Ich sehe darin eine Art rechte Form des Anarchismus, eine stumpfe Internationalisierung des US-Libertarismus, in der allerdings die Ablehnung jeglicher Institutionen im Gegensatz zum Anarchismus mit dem Hass auf Minderheiten und Normabweichung einhergeht (Abweichungen, die man für sich selbst aber gerne in Anspruch nimmt, wenn es gerade passt, auch hier ist mangelnde Flexibilität drin).

Das erklärt die widersprüchlichen Positionen, das Chaos in der AfD und die Tatsache, dass die neuen Nationalisten keine charismatischen Führungsfiguren brauchen beziehungsweise bereit sind, ihre Chefs einfach wieder abzusägen (eine Ausnahme stellt hier eventuell der Personenkult um Trump dar). Deshalb solle man

"...bezweifeln, dass es sich bei all den Trumps und Orbáns, den Salvinis, Gaulands und Straches um jene berüchtigten „strengen Vaterfiguren“ der Autoritarismus-Forschung handelt, die ihre eigenen Zöglinge züchtigen und erziehen wollen. Eher sind es wohl moderne Kumpel-Väter, die ihren verzogenen Kindern gegen die bevormundenden Lehrer den Rücken stärken und sie dabei noch weiter dazu anstacheln, sie sollten sich nicht weiter vorschreiben lassen, wie sie lebten, was sie zu fühlen und woran sie zu glauben hätten"
Jedem seine Wahrheit – der widersprüchliche Populismus

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Kommentare 1
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als 4 Jahre

    Sehr schöne Analyse, die auch auf linke Ideologien und Populismen zutrifft. Der Satz "Das aber ist die eigentliche Wurzel des modernen Selbstermächtigungs-Populismus: der Unfähigkeit, zu vertrauen ..." gilt für linke Radikale oder NGO (berechtigterweise) genau so zu. Aber auch auf NGO darf man sich nicht einfach verlassen. Und natürlich sollte man sich auch nicht endgültig auf die wissenschaftliche Mehrheit verlassen. Nach den Erfahrungen mit den "wissenschaftlichen Weltanschauungen" der Vergangenheit schon gar nicht.

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