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Impfen: "If you don't like the vaccine, try the disease"

Nicola Kuhrt
Medizinjournalistin
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Nicola KuhrtDienstag, 08.09.2020

Ob es in Gesprächen mit Impfgegnern helfen würde, mit ihnen ein wenig in die Vergangenheit zu blicken? Erfolgreiche Impfkampagnen wie die gegen Pocken, Diphtherie oder Kinderlähmung haben vielleicht einige Menschen, – darunter auch die älteren, die es eigentlich noch wissen könnten –, die Folgen schwerer Infektionskrankheiten vergessen lassen.

Ein naiver Gedanke? 

Impfen ist angesichts des weltweiten Wettrennens um den ersten Corona-Impfstoff wieder einmal ein großes Thema, Mythen und Unwahrheiten stehen im Mittelpunkt vieler Proteste. Im Herbst 2019 demonstrieren Impfkritiker noch entschieden gegen die Masern-Impfpflicht, vor wenigen Tagen liefen Impf-Gegner zusammen mit Corona-Skeptikern und all den anderen mit, die lautstark in Berlin demonstrierten. Sie trugen Plakate mit durchgestrichenen Spritzen und forderten (ihre) Freiheit (zurück). Diese sei bedroht, wie auch die Demokratie. Bill Gates wolle einen Impfstoff verbreiten, dessen Wirkstoff das Erbgut schädige. Was nicht stimmt, mehr Infos dazu hierhier und hier.

Die WHO hält Impfungen neben einem vernünftigen Gesundheitssystem und sauberem Wasser für die wichtigste Maßnahme überhaupt, um auf der Welt Leben zu retten und Krankheiten zu verhüten. Das sieht der Virologe und Impfexperte Jan Leidel genauso.

In diesem Interview, das die Wissenschaftsredakteurin Corinna Schöps für die ZEIT führte, und das ich zur Lektüre empfehlen möchte – berichtet Leidel, wie er die Jahre erlebt hat, in denen Impfungen noch keine Selbstverständlichkeit waren. 

Polio befällt die gesamte Muskulatur, die Kinder haben dann nicht nur verkümmerte Beine und können nicht gut gehen. Das Schlimmste ist die Lähmung der Atemmuskulatur. Wer den Infekt überlebte, lag oft über Wochen, manchmal Monate in der Maschine.

Der Mediziner war Leiter des Gesundheitsamts Köln und der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut, seine Einstellung zu Impfskeptikern ist recht pragmatisch:

Bei einem Erwachsenen denke ich: Meine Güte, dann soll er es lassen. Schlimm ist es, wenn Eltern ihren Kindern Impfungen vorenthalten und die dann nicht geschützt sind. Ansonsten sage ich: If you don't like the vaccine, try the disease – wenn du den Impfstoff nicht magst, probier doch mal die Krankheit. 

Leidel berichtet, welche verheerenden Folgen Impfkritik haben kann:

Impfgegner wie sie hierzulande demonstrieren, gibt es andernorts auch – und die haben die Polio-Impfprogramme sehr beeinträchtigt. Besonders schlimm war das in Nigeria, da gab es einen großen Rückschlag, als das Gerücht aufgebracht wurde, dass die USA mit dem Impfstoff muslimische Frauen unfruchtbar machen wollten. Und in Pakistan erzählte man sich, die USA würden Leute als Impfteams getarnt einsetzen, um Osama bin Laden zu finden. Dort sind Impfteams sogar ermordet worden. Auch deshalb konnte Polio in Afghanistan, ebenso wie in Pakistan noch nicht ausgerottet werden.

Zum Schluss möchte ich Leiden noch erzählen lassen, was ihn in jungen Jahren veranlasst hat, sich für Impfungen einzusetzen: Er war Praktikant in der Uniklinik Gießen, als ein kleines Mädchen eingeliefert wurde. Susi. Sie lebte auf dem Bauernhof und hatte sich dort am Fuß verletzt. Zum Trost habe es Pflaumenkuchen gegeben. 14 Tage später bekam das Mädchen hohes Fieber, mit Krämpfen und zwischenzeitlichem Atemstillstand kam sie ins Krankenhaus. Eine Tetanusinfektion. Vor der Impfungen ebenfalls schützen, aber die hatte sie nicht erhalten. Sie musste künstlich beatmet werden, nicht mehr mit der eisernen Lunge, sondern mit dem Engström-Respirator. 

Und dann wurde ich ausgeguckt, vier Wochen lang an ihrem Bett Sitzwache zu halten, 24 Stunden lang. Und ich saß in einem Sessel an ihrem Bettchen und habe ihr Händchen gehalten und den Puls gefühlt. Und dann kommen da morgens die Frauen mit dem Staubsauger und reinigen den Fußboden und dann springt die Sicherung raus und die Atemmaschine steht still. Da pustet man dann selbst in diesen Schlauch rein als junger Mensch und schreit abwechselnd wie verrückt, bis einer kommt und bis der Strom wieder fließt. Nach vier Wochen durfte Susi wieder langsam aufwachen. Sie hatte immer noch diese Kanüle in der Luftröhre und konnte nicht sprechen, aber ich konnte sehen, dass sie "Mama" sagen wollte. Sie ist wieder ganz gesund geworden. Damals habe ich gedacht: Vielleicht ist die Medizin doch gar nicht so schlecht.


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