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Fragen eines schreibenden Arbeiterkindes: Sind Linke selbstgerechte Besserwisser?

Marcus Ertle
Journalist
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Marcus ErtleMontag, 23.07.2018

Wäre dieser Text über das Selbstverständnis der Linken in der WELT oder einem sonstigen Erzeugnis des Springer-Konzerns erschienen, wäre es einfach, die Nase zu rümpfen und über die Heuchelei der Golfclubterrassenetage zu schimpfen. 

Er erschien aber in der taz und ist von Arno Frank, das sind schon mal zwei gute Argumente, um zumindest mal reinzulesen.

Es geht um die Entfremdung der Linken und ihrer eigentlichen/angebliche/ehemaligen Zielgruppe - den Arbeitern. Spätestens seit diese sich massenweise von der SPD ab- und der AfD zugewandt haben, dürfte klar sein, dass zwischen der Selbstwahrnehmung der Linken und der Fremdwahrnehmung ein bedenklicher Abgrund existiert, der erkennbar größer wird.

Man kann das nun natürlich wortreich mit Selbstverblendungstendenzen der Arbeiter bzw. des Proletariats erklären, aber nicht nur Arno Frank beschlich schon im Studium ein Gefühl, dass Selbstverblendung ein Phänomen sein könnte, das nicht vor dem linksliberalen Milieu Halt macht.

Von diesem Befund ausgehend betrachtet Frank die Lebenswirklichkeiten zweier Welten, die, wenn man ehrlich ist, immer weniger miteinander kommunizieren und sich höchstens in der U-Bahn begegnen. 

Nun wäre das für sich genommen noch keine Tragödie. Milieus bleiben, wenn man ehrlich ist, schon immer gern unter sich. 

Problematischer als die Entfernung in der Lebenswirklichkeit ist vielleicht eine mentale Entfernung, die sich darin ausdrückt, dass sich das Justemilieu dieser Fremdheit zwar bewusst ist, aber daraus einen problematischen Schluss zieht. Nicht etwa den, sich den sogenannten kleinen Leuten wieder anzunähern, sondern sich immer mehr in die wohlige Ecke des Gefühls zurückzuziehen, zwar keine Mehrheiten mehr zu erreichen, aber ganz zweifellos recht zu haben, auch wenn diese Meinung auf die eigene Filterblase beschränkt bleibt. 

Ganz sicher ist sich Arno Frank am Ende auch nicht, aber beim nochmaligen Durchlesen seines Textes könnte man geneigt sein dem Befund zuzustimmen.

Lesenswert.



Fragen eines schreibenden Arbeiterkindes: Sind Linke selbstgerechte Besserwisser?

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Kommentare 10
  1. Julia Schwam
    Julia Schwam · vor mehr als 6 Jahre

    Es soll um die gebildete Linke gehen, aber ich lese im Artikel mehr eine Reihung von sehr verbreiteten Klischees über die ach so weltfremden Studenten, die selbst nie gearbeitet haben und meinen, sie wüssten Bescheid. Nur dass es in meinem studentischen Umfeld damals nur wenig solche Leute gab.

    Während meiner Studienzeit haben die meisten arbeiten müssen, um ihr Leben zu finanzieren. Manche taten das sicherlich im akademischen Umfeld selbst, aber sehr viele haben auch irgendwo niedriglohnig gejobbt.

    Auch fand ich meine KommilitonInnenüberwiegend relativ unpolitisch. Mag an den Zeit gelegen haben, Anfang/Mitte 2000er. Der Begriff Arbeiterschaft wurde quasi nicht verwendet und Umerziehungsgedanken habe ich auch nicht gehört. Da gab es gar keine Ambitionen, im Gegenteil, auf die unteren sozialen Schichten wurde auch von Linken eigentlich oft sehr herabgeblickt und die Betreffenden eher verlacht und als hoffnungslos und irgendwie irrelevant angesehen. Diese arrogante Haltung den sogenannten Unterpriviligierten, den Harzern und Nichtwählern, gegenüber war ja auch außerhalb der Unis sehr präsent. Das muss sehr viel Verletztheit und Wut erzeugt haben.

    Ich glaube übrigens, dass das heute wieder anders ist. Hippe Linke, die alles für Kulisse halten? Na ja, in meinem Umfeld sind die Linken eigentlich gerade eher ernst und in Weltuntergangsstimmung.

    1. Marcus Ertle
      Marcus Ertle · vor mehr als 6 Jahre

      Ich glaube es ist gut, wenn man sich nicht zu sehr auf diese Uni-Details fixiert, die sind ja nur der Ausgangspunkt. Es geht um die Entfremdung bzw. Fremdheit der Milieus und da finde ich den Text sehr treffend.

    2. Julia Schwam
      Julia Schwam · vor mehr als 6 Jahre

      @Marcus Ertle Für einen Ausgangspunkt sind diese Details in dem Artikel aber sehr raumeinnehmend. Die Kommentare zur heutigen Linken empfinde ich als nicht minder unrepräsentativ.
      Die Milieus sind sich durchaus fremd, sehe ich auch so, aber woran macht der Autor das nun fest? Ist er wirklich viel interessierter an den Arbeitern als die, denen er vorwirft es nicht zu sein? Zumindest in dem Text eher nicht. Den könnte man auch als selbstgerechtes Geschwätz klassifizieren. Jedenfalls sehe ich da keine Recherche, sondern nur ein paar Gedanken, die da jemandem eben so mal kamen. Da der Autor den Vorwurf schon ahnt, schiebt er nach, er sei sich bei allem nicht so sicher.

    3. Marcus Ertle
      Marcus Ertle · vor mehr als 6 Jahre

      @Julia Schwam Na gut, das ist Ansichtssache. Dass eine kurze Kolumne nicht mit aufwendiger Recherche unterfüttert ist, ist aber normal. Und ehrlich gesagt, finde ich, dass wir uns im Kreis drehen.
      Wann immer ein Text erscheint, der sich mit der Kluft zwischen dem linksliberalen Milieu und den sog. Kleinen Leuten befasst, geht es in der folgenden Diskussion zu 90% nicht um diese Kluft, sondern darum, dass der Autor irgendwie nicht glaubwürdig oder fundiert genug sei. Ich bin selbst das, was man Arbeiterkind nennt, ich habe sowohl auf dem Bau gearbeitet als auch studiert und bin im beruflichen Alltag zwischen den Milieus unterwegs und finde, dass die Kluft zwischen den Milieus ein sehr ausgeprägter blinder Fleck ist.

    4. Julia Schwam
      Julia Schwam · vor mehr als 6 Jahre

      @Marcus Ertle Ist mir bisher gar nicht aufgefallen, dass hier nach Texten zur gesellschaftlichen Spaltung immer der Autor in Frage gestellt wird. Muss ich mal drauf achten.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

    Das abstrakte Problem ist relevant, allerdings entspricht der konkrete Text nicht meinen Erinnerungen. Linke Studenten, die sich in den 1990er Jahren (!) privat trafen, um sich vertieft mit Trotzki zu beschäftigen, scheinen mir eher die Ausnahme als die Regel zu sein. In freier Wildbahn traf ich sie nicht und der Autor hatte, wie er schreibt, keine Zeit dafür.

    1. Marcus Ertle
      Marcus Ertle · vor mehr als 6 Jahre

      Vielleicht war er bekifft und bringt die Jahrzehnte durcheinander, aber an seinem Befund ist trotzdem viel dran

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

      @Marcus Ertle Ja, durchaus ist was dran. Bevor ich den Kommentar schrieb, googelte ich den Autor: Geboren 1971, Studium in den 1990er Jahren. Vielleicht war er der Abstinenzler, die anderen bekifft und es ist ihnen dann Trotzki erschienen.

    3. Marcus Ertle
      Marcus Ertle · vor mehr als 6 Jahre

      @Achim Engelberg Aber davon mal abgesehen. Hat er in seiner Analyse deiner Meinung nach Recht oder nicht?

    4. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 6 Jahre

      @Marcus Ertle Leider kann ich das nicht eindeutig beantworten.

      Er benennt Symptome, die ich auch kenne, aber dann gibt es so vieles, wo ich denke, wo war der denn.

      Ein Beispiel: Der Star der Linken in Marburg war damals Frank Deppe, einer der wenigen Professoren, die starke Verbindungen zu Arbeitern hat - bis heute.
      https://www.vsa-verlag...

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