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Der Sturm auf das Capitol war der Wahlkampfauftakt für 2024

Ole Wintermann
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Ole WintermannSamstag, 18.12.2021

Die gegenwärtig in Deutschland stattfindenden “Proteste” gegen Corona-Maßnahmen, die längst von Rechtsextremen genutzt werden, um Systemkritik in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, müssen in einem weiteren internationalen Umfeld betrachtet werden, in dem rechten Populisten Demokratien unter Druck setzen. Eine extrem hilfreiche und umfassende Analyse dieses Trends am Beispiel des versuchten Trump-Putsches am 6.1.2021 ist bei “The Atlantic” nachzulesen. Ihr müsst allerdings etwas Zeit mitbringen: die Lektüre des Long Reads dauert 30-60 Minuten – sie lohnt sich aber in jedem Fall.

Die zentrale These des Beitrags ist, dass der 6.1.2021 nur die Generalprobe für die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2024 gewesen ist:

“Donald Trump came closer than anyone thought he could to toppling a free election a year ago. He is preparing in plain view to do it again, and his position is growing stronger. Republican acolytes have identified the weak points in our electoral apparatus and are methodically exploiting them. They have set loose and now are driven by the animus of tens of millions of aggrieved Trump supporters who are prone to conspiracy thinking, embrace violence, and reject democratic defeat.”

Eine soziodemografische Analyse der Aufständischen vom 6.1. hat ergeben, dass es sich um männliche Mitglieder der weißen Mittelschicht handelt, die Anfang 40 und unterdurchschnittlich häufig arbeitslos gewesen sind, ein normales Haushaltseinkommen beziehen, objektiv und mitnichten also Verlierer der Globalisierung sind. Eines eint die Aufständischen aber: Sie kommen aus Wahlkreisen, in denen in den letzten Jahren der Anteil Nicht-Weißer zugenommen hat. 

Politikwissenschaftler verweisen mit Blick auf die Äußerungen von Trump auf den serbischen Machthaber Milosevic, der bereits in den 1990er-Jahren die These vom “Großen Austausch” genutzt hat, um einen Genozid zu initiieren. Trump hat dieses Bild des Austausches genutzt, um bei diesen Mittelschicht-Vertretern Ängste vor einem Statusverlust durch Zuwanderung auszulösen, um auf diese Weise den Widerstand gegen demokratisch getroffenen Entscheidungen zu befördern.

Sozialwissenschaftler haben in den letzten 1,5 Jahren eine Verhärtung der Positionen dieser weißen Mitglieder der Mittelschicht bis hin zur offenen Bejahung von Gewalt als Mittel zum Zweck feststellen können (die Ähnlichkeit zur deutschen Entwicklung ist frappierend). Der 6.1. war aus Sicht der Trump-Koalition ein Tag der Rekrutierung neuer potenzieller Widerständler für den Fall, dass Trump die Wahl 2024 nicht gewinnen sollte. In der Folge des 6.1. haben die Republikaner des Weiteren am Mythos gefeilt, sich selbst als Opfer des Systems darzustellen und die Straftäter des 6.1. als “politische Gefangene” zu labeln (auch hier eine Ähnlichkeit zur deutschen Corona-Debatte). In den letzten Monaten haben die Republikaner zudem Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust verglichen (kommt euch bekannt vor?) und den Begriff des “Bürgerkriegs” in die Debatte eingeführt. Die Umkehr von der Täter- zur Opferrolle als Rechtfertigung zukünftiger Gewalt ist offensichtlich:

"Oh Lord, I think we’re heading for it. I don’t think it’ll stop. I truly believe it. I believe the criminals—Nancy Pelosi and her criminal cabal up there—is forcing a civil war."

Zeitgleich versuchen die Republikaner in den Bundesstaaten, die in der Wahl knapp an die Demokraten gegangen sind, eine Art legislative Prärogative zu installieren, um den Beamten und Verantwortlichen vor Ort die formale Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Wahlvorgangs zu entziehen. Dies hatte sich nach der Wahl in den Äußerungen von Trump widergespiegelt, Gouverneure sollten die Wahlergebnisse nicht anerkennen und die Staaten Trump zuschlagen. Damit die Entscheidungen der Verantwortlichen vor Ort in 2024 nicht wieder durch Gerichte bestätigt werden können, soll die abschließende “Zertifizierung” der Wahlergebnisse in die Hände der Parlamente gelegt werden:

"They want the ability to reject the final count and ignore the will of the people if their preferred candidate loses."

Vielleicht sollten wir beginnen, die “Proteste” gegen die Corona-Maßnahmen mit anderen Augen zu sehen?

Der Sturm auf das Capitol war der Wahlkampfauftakt für 2024

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