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Der Nächste bitte – am Schnellgericht Berlin, verurteilt für 2,99

Dmitrij Kapitelman
Lesen, Schreiben, Mirsachenmerken. Journalismus darf auch Spaß machen.
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Dmitrij KapitelmanMittwoch, 16.06.2021

Ronen Steinke berichtet in der Süddeutschen Zeitung von einem Tag am Schnellgericht Berliner Tiergarten. "Wo Menschen abgeurteilt werden, für die sich nicht mal die Justiz genug Zeit nimmt." Menschen, die Kerzen im Wert von 4,99 Euro oder einen Lipton Eistee gestohlen haben. Sie verfügen nur selten über genug Geld zum Leben, meist nicht mal über physische oder psychische Gesundheit. Aber sie haben sich nunmal an der Gesellschaft vergangen, zum Beispiel an dem armen Martin Winterkorn, indem sie schwarzfuhren. Und der ächzende Justizapparat muss doch irgendwie entlastet werden.

Fünfzehn Minuten pro Verhandlung. Anwält*innen (haben die Beschuldigten sehr selten, aber wenn) ziehen sich für die 15 Minuten nicht mal die schwarze Robe an. Der Staat selbst schickt ja nicht mal richtige Staatsanwält*innen. Steinke beschreibt den Fall einer Irene B. besonders präzise. 76 Jahre alt, Sprachbehinderung, überhaupt halbseitig gelähmt nach einem Schlaganfall. Sie ist diejenige, die sich Kerzen für den Weihnachtskranz stahl, weil es traurig genug sei allein an Weihnachten.

Steinke ist Jurist und erklärt fundiert, warum diese Frau aus so vielen Gründen eine Pflichtverteidigung hätte gestellt bekommen müssen. Eigentlich gar nicht anklagbar ist, als geistig Unzurechnungsfähige. Aber Irene B. ist eben arm. Und wird im Schnellverfahren zu 800 Euro Strafe verdonnert. 800 Euro ist irre viel, wenn man nichts hat. Egal. Weil ihr Fall "einfach gelagert" sei. Auch so ein Amtsbegriff, den Steinke so gut dekonstruiert. 

Mehr als klar vor Augen führend, dass juristische Gerechtigkeit in der Regel eine Frage des Geldes ist. Auch im hehren Demokratiedeutschland.




Der Nächste bitte – am Schnellgericht Berlin, verurteilt für 2,99
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Kommentare 1
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 3 Jahre

    für einfach gelagerte Fälle gibt es doch auch strafbefehle? und schnellgerichte sollen a die Gerichte entlasten und b ggfs. pädagogisch wirken. Übrigens auch wenn 800 Euro viel sein können - hat die Vollstreckung so viele milde Möglichkeiten dass zumindest in dieser Hinsicht etwas Entwarnung gegeben sein dürfte. Aber natürlich ist das Urteil vielleicht unangemessen und für Milderung in der Vollstreckung muss man oft eigentlich sich selbst kümmern können. was ja gerade die genannten Menschen mit angeschlagener körperlicher und geistiger Gesundheit nicht so einfach können.

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