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Biden und die Frage, wie elitär seine Identitätspolitik ist

Jannis Brühl
Redakteur
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Jannis BrühlSonntag, 13.12.2020

Mich ärgert der Anlass dieses "Zeit"-Essays, weil er mir arg konstruiert erscheint: Die Behauptung des US-Korrespondenten Jörg Wimalasena, US-Medien würden Joe Bidens Nominierung des schwarzen Lloyd Austin als Verteidigungsminister unkritisch abfeiern, ohne seine Verbindungen zur Rüstungsindustrie zu erwähnen, kann eine kurze Google-Suche widerlegen (man findet u.a. NY Times, Washington Post, The Hill und CNBC auf der ersten Seite). Zudem nerven mich Texte, die sich nur mit medialem Diskurs beschäftigen statt mit der Substanz von Politik. 

Womit wir aber bei den interessanten Beobachtungen des Textes wären: 

Das entscheidende Kriterium bei der Besetzung von Posten im Biden-Kabinett ist demnach für Frauen und Minderheiten vor allem, keinerlei radikalen Ideen zu haben. Zugeständnisse an den linken Parteiflügel, der sich im Wahlkampf eingesetzt hat, gibt es keine. Erkenntnis: Mit der Besetzung von Ämtern nach identitätspolitischen Kriterien ändert sich an der Politik erst einmal gar nichts (das lässt sich zumindest aus dem bisherigen politischen Profil der Vorgeschlagenen schließen).

Stellvertretend steht Kamala Harris für diese Mainstream-Demokraten, die kein Interesse an einer sozialeren Politik zeigen, dafür umso mehr an Law-and-order. Ihre Besetzung entspricht einer bestimmten Vorstellung von Diversität, die vor allem bereits etablierten Einzelpersonen hilft. Sie öffnet keine Türen für Schwarze oder sonstwen, wenn sie nicht ohnehin schon jenem Partei-Establishment angehören, aus dem Biden exklusiv zu rekrutieren scheint. In Bidens Kabinett ist kein Platz für jene Schwarzen, die sich wirklich hochgearbeitet haben, und auch nicht für BLM-Aktivisten oder schwarze Abgeordnete, die - Oh Gott, Sozialismus! - eine Krankenversicherung oder Mindestlohn für alle fordern und damit Minderheiten absichern wollen, gibt es in dieser Sphäre nicht. 

Interessant auch der Hinweis, dass die Republikaner bei ihrer Besetzungspolitik mittlerweile versuchen, Kritik der Demokraten mit dem Hinweis zu ersticken, man habe doch Frauen in Ämter gebracht, das sei doch toll - auch wenn diese Frauen erzkonservativ sind und Frauenrechte bekämpfen.

Ein Text, über den sich sehr gut streiten lässt. Die Politik der Regierung Biden wird zeigen, ob benachteiligte Gruppen von seinen Nominierungen profitieren.

Nicht vorenthalten möchte ich noch dieses Zitat von Adolpho Reed:

argumentierte Hillary Clinton 2016 gegen Bernie Sanders, der eine Aufspaltung der Großbanken gefordert hatte, die die Finanzkrise von 2008 mitverursacht hatten. Eine solche Aufspaltung würde ja nichts an Rassismus, LGBT-Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit ändern, sagte Clinton damals bei einer Wahlkampfveranstaltung. Der schwarze Politikwissenschaftler Adolph Reed bemerkte daraufhin treffend, dass diese Maßnahme vermutlich auch nicht Bahrain dabei helfen würde, die Fußballweltmeisterschaft zu gewinnen. 
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Kommentare 1
  1. Stefan Dierkes
    Stefan Dierkes · vor fast 4 Jahre

    Spannender piq! Empfehle dazu auch einen Artikel im Atlantic von Biden himself (https://www.theatlanti...), wo er seine Nominierung von Austin rechtfertigt (alleine dieser Vorgang ist ja schon außergewöhnlich).

    Dort verwendet er genau die Rhetorik die Wimalasena kritisiert:
    "He was the first African American general officer to lead an Army corps in combat and the first African American to command an entire theater of war; if confirmed, he will be the first African American to helm the Defense Department—another milestone in a barrier-breaking career dedicated to keeping the American people secure."

    Biden selbst legt hier also den Köder aus, dass man sich bitte an seiner diversen Auswahl erfreuen sollte.

    Viel interessanter, und substantieller, ist es wenn Biden danach schreibt:

    "The next secretary of defense will need to ensure the well-being and resilience of our service members and their families, strained by almost two decades of war. Austin knows the incredible cost of war and the commingled pride and pain that live in the hearts of those families that pay it."

    Da Austin, als Aufsichtsrat beim Rüstungshersteller Raytheon, tatsächlich mehrere Millionen (laut NYT) verdient kann man schon behaupten, dass Austin "the incredible cost of war" kennt, da Austin sehr sehr gut daran verdient hat. Wie du schon sagst reden seriöse Outlets wie NYT, Washington Post etc. auch darüber. Man muss das wirklich schon damit vergleichen, als ob ein Aufsichtsrat von Heckler & Koch bei uns Verteidigungsminister wird oder jemand von VW Umweltminister.

    Deshalb ist, und da widerspreche ich dir, der mediale Diskurs um so ein Thema so wichtig. Der SPIEGEL, immerhin selbsternannte Speerspitze des deutschen Journalismus, titelt auch (https://www.spiegel.de...) dass Austin der erste afroamerikanische Verteidigungsminister werden könnte, über seine Verbindungen zur Rüstungsindustrie dagegen: kein Wort. (Wahrscheinlich gibt es mittlerweile einen Artikel dazu, aber dass alleine dieser erste Artikel existiert ist schon bedenklich)

    Die Berichterstattung über medialen Diskurs ist deshalb so wichtig, weil sich solche Symbolpolitik dort so dermaßen ausgebreitet hat, dass sie eben den Platz von politischer Substanz eingenommen hat und wenn man dem Argument von Walter Benn Michaels (The Trouble with Diversity) folgt, redet man eben lieber übers Engagement für mehr Diversität als sich mit anderen Aspekten des politischen Systems auseinanderzusetzen. Bei ihm ist es insbesondere die ökonomische Ungleichheit:

    "Commitment to diversity is at best a distraction and at worst an essentially reactionary position that prevents us from putting equality at the center of the national agenda."

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