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Flucht und Einwanderung

Unpiq: »Wir müssen endlich im großen Stil abschieben«

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 30.10.2023

Das Zitat stammt von Kanzler Scholz im titelgebenden Interview mit der Bildzeitung für Intellektuelle, die einst als Sturmgeschütz der Demokratie gestartet war. 

Pro Asyl konterte: Wir müssen endlich im großen Stil den rassistischen Diskurs korrigieren.

Aber von wem stammt dieses Zitat?

Das Asylrecht für jeden politisch Verfolgten, das sogenannte absolute Asylrecht, verwehrt der Bundesrepublik die Kompetenz, bei Flüchtlingen zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können, macht sie also politisch handlungsunfähig.

Vom Jurist Helmut Quaritsch, der am 24. Februar 1981 im Schloss Nymphenburg den Vortrag hielt "Einwanderungsland Bundesrepublik Deutschland? Aktuelle Reformfragen des Ausländerrechts". (Den Hinweis auf die Rede erhielt ich von Danilo Scholz.)

Wenig später gab es mehrere Kampagnen der CDU/CSU gegen das Grundrecht auf Asyl, weil Deutschland angeblich an seine Grenzen stößt, die damals noch Heiner Geißler mit dem Hinweis, dass das nur den Rechtsextremisten nützt, ausbremste.

Und das damalige Qualitätsblatt DER SPIEGEL verteidigte das Asylrecht.

Vor vierzig Jahren gab es eine massive Einschränkung des Asylrechts, bei der die SPD mitmachte. Günter Grass trat daraufhin aus dieser Partei aus.

Die Zahl der Asylbewerber stieg seitdem wie die UN-Flüchtlingszahlen ohne das Deutschland überflutet wurde oder wird.

(Übrigens: Der größte Teil der heute in Deutschland lebenden Schutzsuchenden stammt aus der Ukraine und kann vor Kriegsende gar nicht abgeschoben werden.)

Die Verschärfungen erreichten bislang nur Schikanen und eine Vielzahl an Toten.

Nun läuft wieder eine Kampagne.

Die gesamte Migrationswissenschaft hält diese Massnahmen für falsch. Hier ein Aufruf von 270 (!) Experten, in dem es heißt:

Die Debatte über Flucht und Asyl wird weitestgehend faktenfrei geführt. Dadurch werden Ängste geschürt und gesellschaftliche Probleme Schutzsuchenden angelastet.

...

Durch den sogenannten »Asylkompromiss« von 1992 wurden weitreichende asylrechtliche Einschränkungen eingeführt. Sie wirkten gemeinsam mit der medialen Berichterstattung als Brandbeschleuniger für flüchtlingsfeindliche und rassistische Gewalt. Dies muss heute Warnung für die gefährlichen Folgen populistischer und restriktiver Politiken sein und nicht Vorbild für die Flüchtlingspolitik.

Dennoch bedient der Bundeskanzler, weil er auf Stimmungen achten will, menschenverachtende, sachlich falsche Meinungen. Und DER SPIEGEL fragt in dem Jahr, in dem Rudolf Augstein 100 Jahre alt geworden wäre, nicht einmal beim titelgebenden Interview nach.

Aber das Blatt ist nicht allein. Ein sich gelehrt gebender Beitrag aus der FAZ, hinter der zuweilen auch ein kluger Kopf steckt, ist mein Unpiq des Monats. In sieben Punkten steht so viel Falsches, das ich nur Hinweise geben, aber nicht alles widerlegen kann. Der Beitrag hat diese Einteilung:

Asyl und Flucht: Die sieben Mythen der Migrationsdebatte 

1. Wir haben es mit Schutzsuchenden zu tun

2. Wer die Migration zum Problem erklärt, stärkt die AfD

3. Migrationsbegrenzung schreckt ausländische Fachkräfte ab. 

4. Flüchtlinge werden gegen andere Gruppen ausgespielt. 

5. Am Ende hilft nur die Bekämpfung der Fluchtursachen.

6. Das Recht schließt eine grundlegend andere Politik aus. 

7. Migration zu begrenzen ist rechte Politik.

Hier gibt es den Artikel frei.

Hier eine Zusammenfassung der Zahlen der Bundesregierung (!) auf tagesschau.de.

Im historischen Spiegel kann man in der Miniserie "Die USA und der Holocaust" das Gewaltpotential der im Artikel vertretenen Positionen sehen und erkennen. (In einem späteren piq werde ich darauf konkret eingehen.)

Hier findet man ein aufschlussreiches Interview mit der Juristin Gisela Seidler, das die falsche Interpretation der Zahlen im Unpiq korrigiert; ein Beispiel:

Es gibt rund 280.000 Ausreisepflichtige. In den vergangenen beiden Jahren wurden im Mittel jeweils 12.000 Personen abgeschoben. Da scheint es doch Handlungsbedarf zu geben.

Mit solchen Verschärfungen ändert man daran nichts. Es wirkt eher, als habe man händeringend gesucht, was nach all den Verschärfungen der vergangenen Jahre jetzt noch zum Verschärfen übrig ist. Stattdessen könnte man die Mittel für die Behörden aufstocken, die unter massivem Personalmangel leiden – aber das würde mehr kosten. Oder man könnte pragmatisch der sehr großen Gruppe Ausreisepflichtiger eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, die sowieso nicht abgeschoben werden können – etwa, weil ihre minderjährigen Kinder hier einen Schutzstatus haben. Das würde die Zahl der Ausreisepflichtigen senken und wäre auch endlich im Einklang mit Europarecht.

Außerdem verlinke ich einen Beitrag von der immer wieder aufschlussreichen Webseite Mediendienst Integration, auf der der politischer Korrespondent Jochen Buchsteiner wohl noch nie war oder deren Angaben nicht verstand oder verstehen wollte: Im grossen Stil abschieben.

Unpiq: »Wir müssen endlich im großen Stil abschieben«

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Kommentare 7
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor einem Jahr · bearbeitet vor einem Jahr

    Ich denke auch, die Abschiebung ist nicht der Königsweg und wird vielleicht nur wenig helfen. Um so wichtiger wäre ein anderes Grenzregime. Ich glaube nicht, dass die gesamte Migrationswissenschaft da einer Meinung ist. Und faktenfrei ist die Diskussion auch nicht. Nur das jede Seite sich die Fakten raussucht, die sie als solche für bedeutsam oder richtig hält. Das ganze Problem auf Kampagnen der bösen CDU/CSU zurückzuführen ist naiv, eine Realitätsverweigerung. Und ein ominöser „Menschenrechtspakt" wird es nicht lösen. Auch ist nicht jede Änderung der Gesetzgebung, in die sich die EU und D eingemauert haben, die Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl. Diese Abschaffung werden wir erleben, wenn es uns nicht gelingt die Kontrolle über die Migration zu bekommen. Wir müssen also über Versuch und Irrtum experimentieren. Alles zu blockieren, zu sagen, es funktioniert eh nicht, ist kein Weg.

    Wie der Migrationsforscher Koopmans so schön sagt: «Dass Migration nicht kontrollierbar ist, ist ein Mythos, der in die Welt gesetzt wird von Menschen, die eine Kontrolle der Migration nicht wollen»

    https://www.nzz.ch/int...

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      Bei 270 Experten ist nicht nur eine Mehrheit der Migrationsforschung gegen die jetzigen (!) Maßnahmen, sondern die absolute Mehrheit.

      In den Links gibt es zahlreiche Vorschläge; einer davon steht auch in meiner Moderation.

      Die Abschaffung des Asylrechts werden wir wahrscheinlich nicht erleben, aber eine Verschärfung ist wahrscheinlich. Und in einigen Jahrzehnten gibt es dann Gedenkstätten und Sontagsredner schwadronieren.

      Was man aktuell über das Grenzregime sagen, findet man in diesem piq: https://www.piqd.de/fl...

      Mittlerweile leitet einer der von mir schon im Juni empfohlenen Autoren, Frank Wolff, die Forschungsgruppe «Internalizing Borders» am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld. Es ist eine der größten in diesem Bereich.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr · bearbeitet vor einem Jahr

      @Achim Engelberg Ich denke wir haben in D mehr als 540 Migrationsexperten und -praktiker. Zumal die Richtigkeit auch in der Wissenschaft nicht durch Mehrheiten festgestellt wird. Sondern durch das Experiment. Letztendlich entscheiden in einer Demokratie auch nicht die Experten, die wie mir scheint teilweise im Elfenbeinturm sitzen, sondern das Volk und die Politik.

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      @Thomas Wahl 270 sind ja "nur" die Erstunterzeichner. Jetzt sind es weit mehr.

      Welcher Wissenschaftler, der ein Standardwerk geschrieben hat, hält denn die jetzigen Maßnahmen für erfolgversprechend?

      Nein, im Elfenbeinturm sitzen nicht die Experten.

      Wenn die Mehrheit des amerikanischen Volks in den 1930er Jahren nicht das "Gefühl" gehabt hätte, es werden zu viele aufgenommen (aufgestachelt durch rechtsextreme Politiker und Blödmedien wie heute), wären weniger gestorben.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      @Achim Engelberg Was sind das denn für Experten, die selbst keine erfolgsversprechenden konkreten Maßnahmen zur Kontrolle nennen aber das Gefühl haben, wir könnten einfach unbegrenzt so weiter machen? Wie lange wird denn nun schon erzählt, es sei unmöglich die Zuwanderung zu kontrollieren? Koopmans nennt Beispiele wie es funktioniert. Wenn man das so nicht will, ok. Dann erwarte ich andere Lösungen. Und das Volk auch.

      Keiner von uns weiß, was passiert wäre, wenn es nach 1930 eine unbegrenzte Einwanderung in die USA gegeben hätte. Bürgerkrieg? Ich finde es ein etwas einfaches Menschenbild, das davon ausgeht, das Volk würde sich verhalten wie es sich linke Gruppen so vorstellen, wenn es nicht rechtsextreme Politiker gäbe. Das hat ja wohl im Sozialismus überhaupt nicht funktioniert. Und die dann versuchte "Erziehung" zum neuen Menschen ging auch in die Hose. Wir können nicht davon ausgehen, dass man unbegrenzt und ohne Konflikte verschiedene Kulturen mischen kann. Das erfordert Ressourcen, Zeit und Geduld. Und sonst höre ich immer, Wachstum ist begrenzt. Es kommen ja nicht nur die ideal Guten und hier wohnen auch nicht nur gute, anspruchslose Menschen. Die Demos für die Hamas und gegen Israel in unseren Strassen lassen grüßen.

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      @Thomas Wahl Einfach weniger kommentieren, mehr lesen. Alles findet man in den Links. Mit der Suchfunktion ist man schnell bei Antworten.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      @Achim Engelberg Ich lese übrigens bevor ich kommentiere. Leider hab ich in den Links keine konkreten Antworten gefunden. Da unterscheiden sich wohl unsere Erwartungen …..

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