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Flucht und Einwanderung

Gestern & Heute: Wer floh in die Türkei und wer flieht aus ihr?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 25.01.2021

Das ist ein außerordentlicher Film: Er zeigt in verdichterer Weise zentrale Widersprüche der Türkei und legt historische Verbindungen, auch nach Deutschland und Europa, offen.

Der Reihe nach: Er dokumentiert den Militärputsch vom 15. Juli 2016, ein Schlüsseldatum der modernen Geschichte. Und das geschieht vor allem auf einem symbolischen Ort: Der Bosporus-Brücke, die Europa mit Asien verbindet, wo Dutzende Überwachungskameras das Geschehen aufnehmen.

Der Film zeigt den Endkampf zwischen zwei Islamisten: Recep Tayyip Erdoğan und Fethullah Gülen und die dahinterstehenden Kräfte.

Noch in der Putschnacht (Minute 37 in der Doku) nennt Erdoğan den Putsch ein Geschenk Allahs.

Anschließend beginnen Verfolgungswellen, die immer noch nicht abgeklungen sind. Die Listen von Zehntausenden zu Verhaftenden sind offensichtlich schon vor dem Putschversuch fertig gewesen.

Im anschließenden zweijährigen Ausnahmezustand werden u. a. über 100.000 Menschen aus dem öffentlichen Dienst entlassen.

Neun Monate nach dem Putschversuch war Erdoğan Alleinherrscher, schaffte das parlamentarische System ab, veränderte die Verfassung und knebelte die Medien noch stärker.

So entstand eine breite intellektuelle Emigration aus der Türkei.

Einer von diesen ist der Filmemacher: Can Dündar, der im Exil in Deutschland lebt. Hier gibt es einen Bericht von CORREKTIV über die Entstehung des Films.

Unabhängig von diesem Film verurteilte ein Gericht in Istanbul Can Dündar am 22. Dezember 2020 zu 18 Jahren und 9 Monaten Haft wegen Spionage und zu weiteren 8 Jahren und 9 Monaten wegen Terrorunterstützung; also zu insgesamt 27 Jahren und 6 Monaten. Für Dündar, der von dem Richterspruch im Berliner Exil erfuhr, bedeutet das, dass er nur nach einem fundamentalen Wandel in seine Heimat zurückkehren kann und er mehr als zuvor der Gefahr von Entführungen oder Anschlägen ausgesetzt ist.

Untergründig ist das mit der deutschen Flucht und Migration in die Türkei während der Nazi-Diktatur verbunden. (Diese wird hier umrissen.)

Diese deutschsprachigen Intellektuellen halfen in der Türkei, einen Rechtsstaat aufzubauen, der aber immer fragil blieb. Halfen auf vielen Gebieten bei der Modernisierung. So ist das während des Putsches schwer beschädigte Parlamentsgebäude in Ankara von Clemens Holzmeister entworfen, der schon vor der Nazi-Diktatur in der Türkei arbeitete und nach dem Anschluss Österreichs dorthin floh.

Die deutschsprachigen Hitler-Flüchtlinge sind lange tot. Aber in seinem lesenswerten Newsletter stellt Can Dündar diesen Bezug selber her. Er berichtet von einem Gespräch mit Edzard Reuter, der in der Türkei an der Seite seines Vaters Ernst Reuter ("Schaut auf diese Stadt") aufwuchs:

Edzard Reuter verglich in einem unserer Gespräche die Bombardierung des türkischen Parlaments in der Nacht vom 15. Juli mit dem Reichstagsbrand und sagte, dass Erdoğan den Putschversuch vom 15. Juli dafür nutzte, seine Gegner zu beseitigen und seine eigene Macht zu stärken. Dieser Putschversuch, bei dem noch immer viele Details nicht aufgeklärt werden konnten, trennte die Türkei von Europa, entfernte sie weiter von der Demokratie und verwandelte das Land in ein Ein-Mann-Regime. Der wichtigste Grund dafür, warum ich heute in Deutschland lebe, ist der nach diesem Putschversuch errichtete, unrechtmäßige Polizeistaat.


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