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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Bevor ich meine These erkläre, wenige Fakten.
Vor 80 Jahren, am 28. August 1941, erging ein Erlass zur Deportation der Russlanddeutschen, der diese kollektiv wegen der vermeintlichen Kollaboration mit der vorrückenden Wehrmacht verurteilte.
Dieses Staatsverbrechen führte zu einer Million Vertriebenen bzw. Zwangsumgesiedelten, etliche kamen in den Archipel Gulag, andere in die Trudarmee (Trud: russisch für Arbeit). Manche erlitten beide Zwangsarbeitssysteme. Ein Zeitzeuge, den ich nach den Unterschieden befragte, meinte: Der Hunger, die Arbeitsunfälle waren ähnlich. In der Trudarmee gab es anders als im Gulag keine Herrschaft der Berufsverbrecher.
Viele Einzelheiten und Geschichten sind im Steppenkinder-Podcast zu hören.
Viele der Nachfahren der damals Gedemütigten leben heute unter uns. Mit rund 3 Millionen ist diese Gruppe gar nicht so klein. Allerdings sind ihre Familiengeschichten wenig bekannt.
Anders als andere Flüchtlinge und Migranten erhielten die meisten Russlanddeutschen relativ leicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Deshalb ist der heutige Gedenktag an die Deportationen ein immer noch unterschätztes nationales Geschichtsdatum.
Da aber unter der Stalinschen Diktatur nicht nur die Russlanddeutschen entwurzelt worden sind, sondern auch andere Minderheiten wie die Krimtataren, ist der heutige Gedenktag an die Deportationen innerhalb der Sowjetunion weltgeschichtlich.
Diese Historie prägt immer noch die Nachfolgestaaten auf diesem riesigen Landrücken.
Keine Stadt zeigt das deutlicher als das kasachische Karaganda, was diese Reportage von Viktoria Morasch veranschaulicht. Der Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn nannte sie
die größte Provinzhauptstadt des Archipel Gulag.
In der Reportage heißt es dazu:
Karaganda ist eine Stadt der Deportierten. So gut wie niemand kam freiwillig hierher. Josef Stalin ließ alle, denen er misstraute, in Viehwaggons stecken und in die Steppe bringen: Geistliche, sogenannte Volksfeinde, Wohlhabende, Wissenschaftler, Künstler, Kriegsgefangene und solche, die einfach der falschen ethnischen Minderheit angehörten: Tschetschenen, Tataren, Deutsche, Griechen, Spanier, Ukrainer, Balten, Koreaner, Japaner, Finnen und jede Menge mehr. Zusammen erschufen sie die Stadt. Als vor einigen Jahren die Wege im Park neu verlegt wurden, fand man Knochen. Ein Massengrab, ein weiteres.
Deshalb verbindet sich in der Historie, in den Geschichten der Russlanddeutschen deutsche National- und Weltgeschichte.
Dazu kommen noch die Migration und die Flucht vieler Deutschsprachiger aus dem Zarenreich nach Nordamerika. Deshalb gibt es etliche "Russlanddeutsche", die heute Angehörige von globalen Familien sind. Aber das sind dann weitere, oftmals ungehörte Geschichten.
Quelle: Ira Peter, Edwin Warkentin, Melitta L. Roth, Hans-Christian Petersen, Victoria Morasch nemcy.dekoder.org
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