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Europa

Wie Fake News und Law Fare Spaniens Politik mitbestimmen

Julia Macher
freie Spanien-Korrespondentin

Reportagen, Analysen, Interviews für Hörfunk, Print, TV und Online
Mitglied von Weltreporter.net

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Julia MacherDienstag, 21.05.2024

Spaniens Politik ist hochgradig polarisiert. Spätestens seit sich der sozialistische Premier Pedro Sánchez Ende April wegen des zugespitzten Klimas für fünf Tage aus der Tagespolitik zurückzog, um darüber nachzudenken, ob sich politisches Engagement „noch lohne“, ist das auch außerhalb Spaniens bekannt. Auslöser für Sánchez’ fünftägigen Rückzug aus der Politik war ein Strafantrag gegen seine Frau wegen wirtschaftlicher Einflussnahme, der wegen mangelnder Indizien nach Ansicht vieler spanischer Juristen vom Gericht gar nicht hätte angenommen werden dürfen: Der Antrag fußte ausschließlich auf Presseartikeln, deren Aussagen zum Teil bereits widerlegt worden waren.

Es ist nicht das erste Mal, dass Fake News und Law Fare, also die Instrumentalisierung der Justiz zum Schaden des politischen Gegners, die spanische Politik beschäftigen. Auch in Zusammenhang mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und linksalternativen Politikerinnen wurden solche Vorwürfe laut. Benutzt werden diese Methoden vor allem von der politischen Rechten, zuvorderst der konservativen Volkspartei Partido Popular PP. Diese Ansicht vertritt zumindest der Jurist Jesús-López Medel in einem Gastbeitrag im linksliberalen Online-Magazin ctxt.es. Interessant ist seine Perspektive auch, weil López Medel selbst zwischen 1996 und 2004 als Abgeordneter für die PP im spanischen Parlament saß. Regierungschef war damals der Konservative José-María Aznar. Mit seinem ehemaligen Chef geht der Jurist hart ins Gericht.


Schmutzige Hände, blasphemische Anwälte, Putschismus der konservativen Volkspartei PP und 'Lawfare'

Seit den letzten Wahlen hat die Volkspartei (PP) es sich zum Ziel gesetzt, die legitime verfassungsmäßige Regierung Spaniens zu stürzen - um jeden Preis und ohne Rücksicht auf Moral oder demokratischen Geist.

Von Jesús López-Medel

Seit 2004 lebt die konservative Volkspartei Partido Popular (PP) in einem Zustand der Übererregung. Sie akzeptiert ihre Oppositionsrolle nicht und rebelliert unablässig gegen sie. Dabei nimmt sie auch die Destabilisierung der Institutionen in Kauf. Ein Teil der Gesellschaft hat diese Haltung übernommen und normalisiert. Er hat sich von dieser Nervosität und Aggressivität anstecken lassen. Und das ist ein großes Problem.

Der Begriff der Polarisierung wird von der konservativen Königlichen Akademie der Sprache (Real Academia de la Llengua) falsch verwendet. Denn er unterstellt, es existierten in Spanien gleichberechtigt nebeneinander zwei extreme Pole: die Ultrarechte und die Ultralinke. Doch letztere – und darin liegt ein Teil der Manipulation – ist sehr klein und hat keine parlamentarische Vertretung. Tatsächlich haben diese beiden Pole nichts miteinander zu tun: An den Taten (und an ihren Reden) werdet ihr sie erkennen: Die ultrarechte Vox lehnt den sozialen, demokratischen Rechtsstaat kategorisch ab.

Doch schlimmer als Vox, diese nostalgische Fraktion der Franco-Diktatur, ist die PP. Die Volkspartei befindet sich weiter auf dem extrem rechten Pfad, auf den José Maria Aznar (Aznar war zwischen 1990 und 2004 Parteichef der Konservativen, Anm. d. Übersetzerin) sie führte: Aznars wirtschaftliche Interessen und Ideen prägen die Partei ebenso weiter wie seine ultrarechten Ideen (die er eine Zeitlang erfolgreich versteckte, etwa wenn er sich auf Manuel Azaña bezog (den Präsidenten der zweiten spanischen Republik, Anm. d. Übersetzerin), wodurch es ihm gelang, viele, auch mich, zu täuschen). Die Endphase seiner Zeit als Parteichef, in vielem dem Clown Berlusconi würdig (der Ehrengast bei der Hochzeit von Aznars Tochter war) und die große Lüge über die Anschläge vom 11. März 2011 haben der Partei ihren Stempel aufgedrückt. (Bei dem islamistischen Anschlag auf mehrere Nahverkehrszüge in Madrid wurden 193 Menschen getötet und 2000 verletzt. Aus wahltaktischem Kalkül erklärte die konservative Regierung Aznar trotz entgegengesetzter Indizien erklärte die konservative Regierung die baskische Terrororganisation ETA zum Verantwortlichen, die sich damals bereits vom Anschlag distanziert hatte. Anm. d. Übersetzerin)

Auf Aznar folgte M. Rajoy, der wie ein Korken über die untiefen Gewässer der Politik tanzte. Er hatte die Fähigkeit, niemals Position zu beziehen, niemals Flagge zu zeigen. Das hatte Folgen. Dass er einen so korrupten und falschen Charakter wie Eduardo Zaplana (der als Regierungssprecher für die Falschinformationen im Zusammenhang mit dem Anschlag vom 11. März verantwortlich war), erneut zum Sprecher ernannte, entfremdete mich endgültig von der Partei und katapultierte mich ins politische Abseits. Ich zog mich für ein paar Jahre aus Spanien und der Politik zurück und beschäftigte mich beruflich mit Menschenrechten. Nach dem die PP 2004 die Wahlen verloren hatte, sprach sie vier Jahre lang von „illegaler Regierung“. Das hatte ich vom ersten Augenblick an über. Als 2018 die PSOE (die spanischen Sozialisten, Anm. d. Verf.) an die Regierung zurückkehrte, ertönte die gleiche Leier. Sechs Jahre nach dem Regierungswechsel hat das immer noch nicht aufgehört! Was für eine schlechte Verliererin ist die Rechte, die immer die Ergebnisse in Frage stellt, wenn sie verliert! Ist das demokratisch?

Und dann kam Alberto Núñez Feijóo, (Parteichef der PP seit 2022 und derzeit Oppositionschef im spanischen Parlament, Anm. d. Üb.). Eine sich selbst als progressiv bezeichnende Tageszeitung hat ihm lange ihr Wohlwollen ausgesprochen und ihn als moderat bezeichnet. Für mich ist der Mann, der an der Hand der schon damals sehr trumpistisch agierenden Madrider Regionalpräsidentin Isabel Diaz Ayuso die politische Bühne betrat, ein Meister der Simulation: Er weicht geschmeidig aus, versucht heuchlerisch Gutmütigkeit vorzutäuschen.

Seit den letzten Wahlen versucht die PP hemmungslos, eine aus verfassungsmäßigen Wahlen im vergangenen Juli hervorgegangene legitime Regierung zu stürzen, ohne Rücksicht auf moralische Verluste oder demokratische Prinzipien. Die Konservativen halten es einfach nicht mehr in der Opposition aus. Wenn sie beißen müssen (im übertragenen Sinne), beißen sie, wenn sie lügen müssen, dann tun sie das – und es gelingt es ihnen sehr gut. Feijóo mag steif wirken, aber er ist ein Agitator. Wenn er den Namen „Sánchez“ ausspricht, verzieht sich sein Gesicht und sendet Hasssignale aus. Er ist von Ayuso infiziert.

Damit diese Agitation Erfolg hat, bedarf es neben Skrupellosigkeit – davon gibt es reichlich – zweier weiterer Elemente: Zum einen ein ausgedehntes Netz von Medien und Pseudomedien, die größtenteils mit öffentlichen Geldern aus den Kassen der PP-regierten autonomen Gemeinschaften (den spanischen Regionen, in etwa den Bundesländern vergleichbar, Anm. d. Übersetzerin.) finanziert werden und die häufig nicht in erster Linie Informationen, sondern Verleumdungen, Unwahrheiten und Fake News verbreiten. Dabei hilft ihnen eine quasimafiöse Clique, die vor den Richter zieht (in der Regel fällt ihnen nicht zufällig ein ihnen ideologisch nahestehender zu) und dort weiter Verleumdungen verbreitet. Solche Cliquen gibt es viele, einige sind sehr bekannt: Zu ihnen zählt “Hazte oír”, eine erzkatholische Organisation von Anwälten, die durch blasphemische Klagen gegen das zweite Gebot verstößt und so dem Atheismus in diesem Land zum Auftrieb verholfen hat. Und dann gibt es natürlich die „Schmutzigen Hände“ (Der Autor bezieht sich auf die sich selbst als Gewerkschaft bezeichnende Organisation “Manos Limpias“, „Saubere Hände“, die die Strafanzeige gegen Sánchez Ehefrau Begoña Gómez gestellt hat, Anm. d. Üb). Das schlägt dem Fass den Boden aus. Es ist aktenkundig, dass die Organisation erpresserisch und betrügerisch vorgeht. „Manos Limpias“ droht mit Strafanzeigen und Klagen, zieht diese dann zurück, sobald bezahlt wird. Das ist der gängige Modus Operandi. Der Nationale Gerichtshof hatte die Organisation dafür verurteilt, der Oberste Gerichtshof das Urteil aber wieder aufgehoben.

Das andere Element, das notwendig ist, um der Strategie der Destabilisierung zum Erfolg zu verhelfen, ist die Beteiligung von Richtern: Diese Juristen geben dabei die von ihnen eingeforderte Unabhängigkeit auf und betätigen sich als politische Aktivisten. Davon gibt es tatsächlich nicht wenige. Zu ihnen zählt auch Juan Carlos Peinado, jener Richter, der die Anzeige gegen die Ehefrau des Premiers angenommen und strafrechtliche Vorermittlungen eingeleitet hat – bei einer Anzeige, die ausschließlich auf Grundlage von Presseartikeln, von denen selbst der Kläger zugibt, dass es sich um Falschmeldungen handeln könnte. Peinado hat bereits eine Reihe anderer umstrittener Verfahren in die Wege geleitet. Seine Tochter ist Stadträtin der PP in Pozuelo. Es scheint, als erfülle Richter Peinado die von José-María Aznar ausgegebene Maxime: „Wer handeln kann, der handle.“ (Im November vergangenen Jahres hatte Aznar den sozialistischen Premier wegen dessen Zugeständnissen an die katalanischen Separatisten öffentlich als „Gefahr für die Demokratie“ bezeichnet und mit den Worten „Wer handeln kann, der handle“ zum Widerstand aufgerufen. Anm. d. Üb.)

Auch andere Richter haben diesen Weg eingeschlagen. Dabei muss ich auch María Tardón vom Nationalen Gerichtshof erwähnen. Bekanntermaßen haben viele mit Büßerhauben bekleidete Anwälte wegen des Amnestiegesetzes für die katalanischen Separatisten die Politiker der PSOE zwar nicht gegeißelt, aber Strafanträge gegen sie eingereicht. (Zu diesen Anwälten gehört auch die Vereinigung konservativ-katholischer Anwälte Abogados Cristianos, auf die der Verfasser Bezug nimmt.) Keinem dieser Anträge wurde stattgegeben. Einzig besagte Richterin nahm eine Klage gegen den PSOE-Sprecher Patxi López und andere sozialistische Politiker an und eröffnete „Ermittlungen zur Feststellung, ob eine Straftat in Zusammenhang mit dem Gesetzesentwurf vorliegt“.

Der Antrag war juristisch unhaltbar, das Verfahren eine Sackgasse. Aber Tardón wollte sich profilieren und ließ sich von ihrer Ideologie leiten. Die Richterin war Stadträtin der PP in Madrid und steht auf der Liste für den Generalrat der Justiz (CGPJ), wenn dieser erneuert wird. Vielleicht wollte sie damit Pluspunkte sammeln, um gewählt zu werden, wenn es soweit ist. Nur zwei Wochen später ruderte sie zurück und erklärte den Strafantrag für unzulässig. Ihr blieb keine andere Wahl: Als Abgeordneter genießt Patxi López parlamentarische Immunität. Für ihn ist daher nicht der Nationale Gerichtshof, sondern der Oberste Gerichtshof zuständig. Warum hat Tardón den Antrag nicht sofort weitergeleitet? Weil der Oberste Gerichtshof alle Strafanträge in Zusammenhang mit dem Amnestiegesetz abgewiesen hat, da die beanstandeten Handlungen schlicht keine strafrechtliche Relevanz haben. Ich bin ins Detail gegangen, um den Lesern die Gedankengänge mancher unserer ehrenwerten Juristen aufzuzeigen.

Das Schlimmste an dieser von ultrarechten Politikern erzeugten Atmosphäre ist, dass sie sich auf die Bürgerinnen und Bürger überträgt. Tatsächlich wurden bereits Menschen allein wegen ihrer politischen Ideen angegriffen. (In Ponferrada in der Region Castilla y Leon wurde ein sozialistischer Stadtrat auf dem Weg zu seinem Auto von rechten Demonstranten angegriffen und leicht verletzt. Ein Artikel zu dem Fall ist verlinkt und hier im spanischen Original zu finden. Anm. d. Übersetzerin)

Ich schließe mit einer kleinen Anekdote. Kurz nachdem Santiago Abascal, Präsident der Vox-Partei, bei einem Auftritt in Argentinien sagte, er würde eines Tages gerne Pedro Sánchez hängen sehen, trugen Demonstranten eine riesige Pappmaché-Figur mit dem Antlitz des spanischen Regierungschefs vor die Madrider Parteizentrale der Sozialisten. Sie prügelten mit Holzstöcken auf die Figur ein, als handele sich um eine piñata (eine der mit Süßigkeiten gefüllten Figuren, die auf Kindergeburtstagen zum Platzen gebracht werden, Anm. d. Üb.) und verbrannten diese schließlich. Die Angelegenheit kam vor das Strafgericht, unter dem Vorsitz der Richterin Concepción Jerez, die der konservativen Richtervereinigung Asociación Profesional de la Magistratura APM nahesteht. Ein Hassdelikt schloss sie aus. Das erscheint juristisch korrekt. Aber der Zusatz, es habe sich bei den Vorkommnissen um einen „fröhlichen Akt“ gehandelt, ist genauso weit von der Wahrheit entfernt.

Es wäre interessant zu erfahren, was passieren würde, wenn besagte Juristen oder der Oppositionsführer Objekte solcher Handlungen wären. Vermutlich stünde den Tätern dann ein ordentliches Verfahren bevor.

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