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Europa

Auf Die Grünen wartet ein Eiertanz im EP nach der Europawahl

Jürgen Klute
Theologe, Publizist und Politiker
Zum Kurator'innen-Profil
Jürgen KluteMittwoch, 22.05.2024

Nach den derzeitigen Umfragen sieht es danach aus, dass die rechten Parteien bei den Europawahlen im Juni 2024 mit einem beachtlichen Stimmenzuwachs rechnen können. Von einer Mehrheit im Europäischen Parlament (EP) bleiben sie zwar weit entfernt. Aber dennoch droht eine Zunahme ihres Einflusses im EP und damit eine Schwächung der Menschen- und Bürgerrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates, einer wirksamen Klimapolitik und der Integrität der Europäischen Union insgesamt.

Ob es dazu tatsächlich kommt hängt sonder Fähigkeit und Bereitschaft der anderen Parteien ab, zusammenzuarbeiten und die Recht im EP zu isolieren. Die EVP (christdemokratische und konservative Parteien) werden nach den bisherigen Umfragen erneut die stärkste Fraktion im EP bilden. Um Parlamentsmehrheiten ohne eine der beiden rechtsextremen EP-Fraktionen zu erzielen, ist eine Kooperation mit der sozialdemokratischen, der liberalen und der grünen EP-Fraktion (Die Grünen/EFA) erforderlich (und mitunter wohl auch eine mit der linken EP-Fraktion The Left). Ohne die grüne EP-Fraktion gibt es nur Mehrheiten im Rahmen einer Kooperation mit der rechtsextremen ECR-Reaktion. Der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU) liebäugelt schon länger mit einer solchen Kooperation und neuerdings zeigt sich auch die EVP-Spitzenkandidatin und aktuelle EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen offen für eine Kooperation mit den rechten Fraktionen im EP.

Die Grünen können eine solche Kooperation verhindern. Das würde aber zur Folge haben, dass die Grünen im EP klimapolitische Kompromisse mit Parteien eingehen müssten (also EVP, S&D und den Liberalen von Renew), die deutlich weniger Klimaschutz wollen als die Grünen. Das stellt die Grünen vor ein Dilemma.

In diesem Interview spricht spricht taz-Redakteurin Sabine am Orde mit der europäischen Spitzenkandidatin der Grünen, der aus Gelsenkirchen kommenden MdEP Terry Reintke, über dieses Dilemma und wie sie bzw. ihre grüne EP-Fraktion damit umgehen will.

Auf Die Grünen wartet ein Eiertanz im EP nach der Europawahl

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Kommentare 14
  1. Silke Jäger
    Silke Jäger · vor 6 Monaten

    Soweit ich es verstanden habe, könnte die große Koalition nach der Wahl passé sein. dann müssten sich linken/grünen/liberalen Parteien entscheiden, ob sie in die Opposition gehen. Habe ich das richtig verstanden?

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 6 Monaten

      Na ja, im klassischen Sinne gibt es ja keine Aufteilung des EP in Regierungspartei und Opposition, weil es in der EU keine Regierung gibt (das Modell von Regierungen ist ja irgendwie noch stark angelehnt das Modell feudalistischer Staatsmodelle). Die EU ist ja eine modernere Demokratievariante, eine Institutionen-Demokratie. Letztlich muss für jeden einzelnen Änderungsantrag aus dem EP eine Mehrheit im EP gefunden werden. In der Vergangenheit gab es stets eine Mehrheit im Parlament, die sich aus konservativen und Parteien links der Mitte gebildet hat, aber mit sehr variablen Mehrheiten. Es gibt ja glücklicherweise auch keinen Fraktionszwang im EP. Es gab also immer Mehrheiten, die – wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten – proeuropäisch waren. Nach der Wahl dürfte der rechte Parteienblock, der zumindest eine deutliche Rückentwicklung der EU-Integration will (EU der Vaterländer – was ist eigentlich mit Müttern, wollen die das auch?), so stark sein, dass die EVP mit S&D und Liberalen sowie mit den rechten Kräfte im EP eine Mehrheit erzielen könnten. In der Vergangnehit haben rechte Parteien im EP keine beachtenswerte Rolle gespielt. Das wäre also neu. Der eher rechte Teil der EVP – allen voran Manfred Weber und seine CSU – scheint daran Interesse zu haben. Die Grundlinie des EP würde sich damit nach rechts verschieben. Bei den üblichen stark variierenden Mehrheiten im EP wäre damit aber immer noch die Möglichkeit gegeben, auch andere Mehrheiten hinzubekommen. Denn es gibt keine festen Koalitionsverträge wie im Bundestag. Neu wäre, dass die EVP ein erhebliches Druckpotential hätte in den Kompromissverhandlungen über die Gesetzgebungsvorhaben.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Monaten

      @Jürgen Klute In welchem Sinne ist diese neue Variante, die sich historisch noch bewähren muß, moderner? Was bedeutet in diesem Sinn "modern"? Besser?

    3. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 6 Monaten

      @Thomas Wahl Die politischen Strukturen der Mitgliedsstaaten bilden die Grundstruktur feudaler Herrschaftssysteme ab. Nur das an der Spitze kein Feudalherr mehr steht, sondern eine Regierung. Und das die Regierung auf Zeit gewählt ist. Zudem wir die Regierung kontrolliert durch ein Parlament, dass sich in eine Regierungsmehrheit und in eine oppositionelle Minderheit splittet. Das Parlament stimmt ferner über die Gesetzesvorschläge der Regierung ab. Wobei die Mehrheitsverhältnisse in der Regel feststehen.

      Demgegenüber gibt es auf EU-Ebene eine Institutionen-Demokratie, die nicht mehr die Grundstruktur feudaler Herrschaftssysteme abbildet. Hier kooperieren die Kommission, die über die Einhaltung der EU-Verträge wacht und auf dieser Grundlage Gesetzesvorlagen erarbeitet, sowie das Europäische Parlament und der Rat der EU, die als Ko-Entscheider über die von der Kommission vorgelegten Gesetzesvorschläge abstimmen. Aber bevor die beiden Ko-Entscheidungsgremien abstimmen, verändern sie die Gesetzgebung in der Regel. Das EP vertritt dabei die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger, der Rat der EU die Perspektive der Regierungen der Mitgliedsländer. Das EP muss insgesamt eine Einigung über einen Gesetzestext erarbeiten. Das heißt, dass Parlament arbeitet tatsächlich an der Gesetzgebung und ist nicht allein Abstimmungsmaschine einer Regierung.

      Der Rat der EU arbeitet sich dann aus seiner Sicht an den Gesetzestexten ab. Beide Institutionen müssen sich dann unter Beteiligung der Kommission auf einen gemeinsamen Kompromiss einigen. Die Kommission wacht während des gesamten Gesetzgebungsprozesses darüber, dass die ausgehandelten Kompromisse die EU-Verträge nicht verletzen und das es keine Konkurrenzen mit bereits bestehenden Gesetzgebungen der EU gibt.

      Dieser Prozess ist auf Konsens angelegt, was natürlich seinen Grund in den Gründungsursachen der EU bzw. ihrer Vorläuferorganisationen hat.

      Diese Struktur ist dann auch der Grund dafür, dass das Parlament "nur" ein indirektes legislatives Initiativrecht hat. Indirektes legislatives Initiativrecht bedeutet, dass das EP Gesetzesvorschläge erarbeiten kann. Die werden dann der Kommission vorgelegt. Die überprüft die Vorlage auf Kompatibilität mit den EU-Verträgen und arbeitet dann auf der Vorlage des EP-Inititativtextes einen endgültigen Gesetzesvorschlag aus, der dann das oben skizzierte Verfahren durchläuft. Die Kommission ist verpflichtet, auf die legislativen Initiativberichte des EP zu reagieren. Im Vergleich zum Bundestag oder zu den deutschen Landtagen ist dieses Verfahren effizienter, da Gesetzesinitiativen der Opposition in deutschen Parlamenten in aller Regel im Archiv verschwinden. Das ist eben anders bei einer Institutionen-Demokratie.

      Mit der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) haben Bürgerinnen und Bürger der EU grundsätzlich auch ein indirektes legislatives Initiativrecht erhalten. Die Erfolgshürden sind zwar sehr hoch und damit auch fragwürdig. Strukturell gleicht die EBI aber dem indirekten legislativen Initiativrecht des EP. Eine EBI kann dabei durchaus mit dem EP kooperieren. Dieses Instrument ließe sich noch um einiges ausbauen.

      Darüber hinaus wird bei der Europawahl nicht nur auf Mehrheiten, sondern auch auf Repräsentation aller Mitgliedsstaaten geachtet, zulasten des Prinzips one men, one vote, aber das halte ich für nötig wie auch für hinnehmbar.

      Vor diesem Hintergrund halte ich übrigens das Spitzenkandidatenprinzip für kontraproduktiv.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Monaten · bearbeitet vor 6 Monaten

      @Jürgen Klute Puuh, danke für die Erklärung. Den Glauben, dass dieses abstrakte Entscheidungsmonstrum positiv funktionieren kann, halte ich für ziemlich idealisiertes Wunschdenken. Zu weit weg von den Bürgern, zu langsam, Subsidiarität nicht zwingend eingebaut. Ich präferiere eine Union der Mitgliedsstaaten - mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik und einigen wenigen gemeinsamen Regeln. Das wird schon schwer genug. Und wenn ich sehe, wie wahrscheinlich gewählt wird, bin ich damit nicht alleine. Das wird noch spannend.

    5. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 6 Monaten

      @Thomas Wahl Ich war fünf Jahre Teil dieser Entscheidungs- und Konsensmaschine. Bisher war sie sehr erfolgreich und zählt zu den größten kulturellen Fortschritten der Menschheit, denn immerhin hat die EU es geschafft, einen politisch-institutionellen Rahmen zu schaffen, in dem die Länder, die jahrhundertelang ihre Interessenkonflikte militärisch gelöst haben erstmals für ca. 80 Jahre untereinander ihre Interessenkonflikte politische auflösen konnten. Das kann man ignorieren. Man muss dann nur wissen, welchem Horror man dann Tür und Tor erneut öffnet. Vor allem die kleinen Nachbarländer, die im letzten Jahrhundert zwei Mal von Deutschland überfallen und brutal unterdrückt wurden, wissen diesen kulturellen Fortschritt zu schätzen.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Monaten · bearbeitet vor 6 Monaten

      @Jürgen Klute Na ja, vor achtzig Jahren gab es diese EU noch gar nicht. Nur wenige bestreiten auch die großen Vorteile, die diese Union gebracht hat. Daraus zu schließen, jede Kritik an der gegenwärtigen Struktur und jede andere Struktur würde einen Horror heraufbeschwören und das inzwischen pazifizierte Deutschland würde dann seine Nachbarn wieder überfallen, das halte ich für eine Zweckkonstruktion um die Verhältnisse zu konservieren.. Das glauben doch eigentlich immer weniger Bürger. Das heißt auch der Erfolg ist offensichtlich im Urteil der Bürger nicht wirklich angekommen. Die negativeren Folgen der europäischen Politik schon.

    7. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 6 Monaten

      @Thomas Wahl Schon klar, vor 80 Jahren gab es die EU noch nicht. Es fing mit dem Kohle- und Stahlvertrag an. Aus den Gremien sind dann allerdings die heutigen Institutionen der EU, die zunächst nur eine Wirtschaftsunion (EWG) war und dann die politische Integration nachvollzogen hat (weil das zwingend war).

      Die EU ist aufgrund kritischer Auseinandersetzung mit dem blutig gescheiterten europäischen Nationalismus (u.a. das Manifest von Ventotene und die späteren praktischeren Überlegungen von Robert Schuman) entstanden. Niemand wehrt sich gegen eine konstruktive Kritik an der EU. Ohne konstruktive Kritik hätten sich die Vorläuferorganisationen nicht zur heutigen EU weiterentwickelt. Schwierig wird es, wenn die politisches Integration zurückgedreht werden soll. Das dürft zu einem Zerfall der EU und zur Rückkehr militärischer Konfliktlösungsmodelle führen.

      Ob die EU bei einer Mehrheit der EU-Bürger mit der EU nicht mehr einverstanden ist, bezweifle ich. Die Eurostat-Umfragen zeigen etwas anderes. Nur die zufriedenen EU-Bürger:innen sind nicht so lautstark wie die Nörgler. Aber diese lautstarken Nörgler haben eben auch keine überzeugenden Alternativen. Alles was sie vorschlagen, hat sich in der Vergangenheit als schlecht erwiesen und hat sich genau deshalb überlebt. Eine deutliche Mehrheit der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger weiß das durchaus zu schätzen. Vor allem in den kleinen Staaten, die auf globaler Ebene nicht die geringste Chance hätten, z.B. transnationale Konzerne zu regulieren oder die globalen Finanzmärkte oder etwas relevantes gegen die Klimakrise auszurichten. Und Länder wie Belgien, Niederlande und Luxembourg wissen auch, dass sie ökonomisch chancenlos wären ohne die EU. Fläche, Einwohnerzhal und Märkte dieser Länder, die die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten ausmachen, wissen, dass sie nur überlebensfähig sind in der EU.

    8. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Monaten · bearbeitet vor 6 Monaten

      @Jürgen Klute Die heutige EU-Struktur ist doch nicht als Folge konstruktiver Kritik entstanden. Der Lissabon-Vertrag war Folge des Scheiterns des Vertrages über eine Verfassung für Europa (2004 glaube ich). In einigen wichtigen Ländern (Frankreich, NL) scheiterten Referenten zu diesem Vertrag. In D hat man erst gar kein Referendum, gar keine Diskussion dieses Vertrages mit dem Volk vorgesehen. Insofern ist die heutige Gestalt eher das politisch machbare aber unbefriedigende Minimum, dass die Befürworter einer sehr engen zentralen Variante der Union erreichen konnten. Alternativen sind auch nie ausprobiert worden, können sich also auch nicht als schlecht erwiesen haben. Die Kritiker als "lautstarke Nörgler" hinzustellen ist daher - gelinde gesagt - schlechter politischer Stil.

      Kleinere Länder wie die Schweiz leben übrigens ganz gut als Nichtmitglied. Das Problem der kleinen Länder ist nicht so sehr der fehlende wirtschaftliche Erfolg sondern der fehlende militärische Schirm. Und auch EU-Länder außerhalb der Euro-Gemeinschaft geht es ganz gut. Für einen europäischen Wirtschaftsraum benötigt man keine so zentralen Institutionen.

      Die Frage ist doch auch nicht, ob die Mehrheit der Bürger mit der EU grundsätzlich einverstanden ist. Das sind sie wohl, ich auch. Den Unterschied zw. der Frage, ob wir prinzipiell eine EU wollen und brauchen und der Frage, ob die gewordene Struktur angemessen und so gewollt ist, den sollte man in der Diskussion schon sehen.

      Denke, so wie es jetzt läuft werden sich die Hoffnungen nach der Lösung grundlegender Probleme (Migration, Wirtschaftswachstum und Wohlstand, globaler Machtfaktor mit starker Verteidigung) nicht erfüllen. (Man ist ja nicht mal in der Lage die Sommerzeit abzuschaffen) Und je weniger sie dies tun, je länger die Abstimmungsprozesse werden, um so mehr wird die Zustimmung für ein Weiterso sinken.

    9. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 6 Monaten

      @Thomas Wahl Beim Thema Migration spielt Deutschland seit langem eine sehr destruktive Rolle. Da muss man zu aller erst nach Berlin schauen. Dass das wirtschaftliche Wachstum gering ist, liegt im wesentlichen am deutschen Sparwahn. Aber das wird man in Deutschland nie begreifen.

      Ansonsten bin ich gespannt auf deine Vorstellungen, wie die kleinen EU-Mitgliedsländer jeweils für sich soziale Mindeststandards durchsetzen wollen gegenüber multinationalen Konzernen, wie sie Google, Microsoft, Facebook, Uber, und all die anderen großen Plattformunternehmen regulieren wollen? Glaubst du ernsthaft, dass sich ein kleines EU-Land Handeslabkommen mit anderen Ländern leisten könnte? Facebook wird auf Anschreiben der Luxemburger Regierung vermutlich nicht einmal reagieren. Wie sollen die kleinen Länder Klimaschutzstandards durchsetzen? Wie sollen globale Finanzmärkte eingehegt werden? Bei der Regulierung der großen Plattformunternehmen ist die EU global standardsetzend. Mit dem Lieferkettengesetz hat die EU auf globaler Ebene soziale Mindeststandards gesetzt.

      Wenn es um die Auseinandersetzung mit China geht, dann kann selbst eine starke Ökonomie wie Deutschland ohne die EU nichts bewirken.

      Der Lissabon-Vertrag wurde im übrigen in den zuständigen EU-Gremien ausgiebig diskutiert. Die EU hat darüber hinaus zig Anhörungsverfahren mit Interessengruppen und Zivielgesellschaft dazu durchgeführt – wie auch bei normalen Gesetzgebungsverfahren üblich. Heute läuft das über Webseiten. Vorm Internet erfolgte das über Grünbücher und Weißbücher, die jede und jeder anfordern und kommentieren konnte. Es gibt wohl keine politische Institution, die transparenter arbeitet als die EU.

      Ja, und ich bleibe dabei: Es wird wohlstandsverwahrlost rumgenörgelt. Und dabei wird vergessen, wie es in Europa aussähe ohne die EU. Dafür habe ich nicht das geringste Verständnis.

    10. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 6 Monaten

      @Jürgen Klute Wenn also D an allem Schuld sein sollte, müßte es EU vielleicht ohne uns probieren? Es ist keine gute Antwort auf die Frage der Funktionsfähigkeit der Union die Ursache für Probleme einem der Mitgliedsländer in die Schuhe zu schieben. Fakt ist, die Union hat keine gute gemeinsame Migrations- und Wirtschaftspolitik geschaffen. Wenn man es in D nie begreifen wird, der Schuldige zu sein, wird die von dir als so toll funktionierende aktuelle EU auch nie gut funktionieren? Keine guten Aussichten.

      Ähnlich der Wahn mit der Regulierung der großen Plattformunternehmen, die man selbst nicht hervorbringt. Als Schlußlicht bei der Gründung solcher innovativen Globalunternehmen aber überheblicher Vorreiter beim Regulieren derselben wird die EU weiter an Einfluß verlieren. Seinen Einwohnern tut man da keinen guten Dienst. Es wäre gut, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass solche Unternehmen vermehrt in Europa entstehen und dann die „guten" Regeln in die Welt tragen. So riecht das etwas nach Besserwisserei. Und wer sich selbst als moralischer Riesen sieht, aber wirtschaftlich zurückfällt, der wird nicht lange Einfluß haben. Wer sich selbst höchste Transparenz zuschreibt und nicht merkt, dass diese Transparenz bei den Völkern nicht ankommt, der fährt blind. Man sehe nur die völlig unsinnigen Wahlplakate.

      Die vielen FTA sind natürlich wichtig. Keine Frage. Aber wenn ich sehe, wie lange die Verhandlung zu TTIP läuft, dass noch immer nicht ratifiziert ist, dann sieht man auch da die Bremsspuren bei der Effizienz der Union. Übrigens hat die EU viele solcher Handelsabkommen mit kleinen Ländern abgeschlossen. Was zeigt, auch Kleine können mit Großen Abkommen schließen.

      Das die EU überall soziale Mindeststandards setzen will, das ehrt sie. Sie lobt sich dafür ja auch ständig selbst. Aber ein Gesetz, wie das mit den Lieferketten, zeigt zwar die gute Absicht, setzt aber noch lange nicht global reale Mindeststandards. Das zu glauben ist ein geistiger Kurzschluß. Wie wir sehen wachsen heute schon Schwellenländer wie China erfolgreich in die Welt hinein. Und das mit ihren Standards, freudig begrüßt von Eliten des globalen Südens.

      So einen Satz: "Ja, und ich bleibe dabei: Es wird wohlstandsverwahrlost rumgenörgelt. Und dabei wird vergessen, wie es in Europa aussähe ohne die EU. Dafür habe ich nicht das geringste Verständnis." finde ich entlarvend. Wir diskutieren erstens hier nicht, wie Europa ohne die EU aussehen würde. Das ist eine Unterstellung. Und zweitens, eine sich selbst beweihräuchernde europäische Elite, die sich nicht vorstellen kann, das es dringend Veränderungen in den institutionellen Strukturen bedarf um Erfolge, in den die Völker bedrängenden Probleme zu lösen, die hat den Knall nicht gehört. Sicher, Opposition nervt. Der Versuch allerdings, politischen Streit abzublocken, als wohlstandsverwahrlosend, nervend hinzustellen, die Strukturen gegen Kritik zu konservieren, das Abstreiten von Reformbedarf, führt zu Erstarrung. Es signalisiert, diese Eliten sind wohl selbst in ihrer Blase wohlstandsverwahrlost, gehören abgewählt. In den Mitgliedsländern und in der EU. Hab so eine Absetzung von unwilligen Eliten 1989 hautnah mitgemacht. Das ist das schöne in der Demokratie, man braucht keine "Revolution". Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Gorbatschow hat einiges falsch gemacht. Da hat er allerdings recht. Leider bringt eine Abwahl aus Frust, selbst wenn sie notwendig ist, nicht immer eine bessere Lösung. Und das in konfliktreichen Zeite

    11. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 6 Monaten

      @Jürgen Klute Danke für deine ausführliche Antwort. Ich merke jetzt, dass meine Frage zeigt, dass ich nach wie vor Schwierigkeiten habe, das Konstrukt EU zu verstehen.
      Noch eine Nachfrage: Hätte nicht auch die ID ein erhebliches Druckpotenzial? Wenn sich vdL auch von ihnen wählen lassen will, muss sie dann nicht zB bei der Migrationspolitik als Teil des Deals genehme Schwerpunkte setzen? Und wäre es dann nicht klüger für die Parteien links der Mitte, hier eine deutlichere Grenze zu ziehen? Auch auf die Gefahr hin, ihre Ziele zu verfehlen. Aber so könnten die Grünen zumindest den Eiertanz vermeiden und ihr Profil für die nächste Wahl schärfen, oder nicht? (Du siehst, ich habe noch mehr naive Fragen ...)

    12. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 6 Monaten

      @Silke Jäger Ja, theoretisch könnte vdL auch mit der ID kooperieren. Aber die gilt ja nun als die rechtsextremste Fraktion im EP. Da traut sie sich wahrscheinlich doch nicht und auch Manfred Weber nicht. Die ECR war ja ursprünglichh die Tory-Abspaltung von der EVP. Solange die Tory (also bis zum Vollzug des Brexits) dabei waren, waren zwar zurückhaltender im Blick auf die politische Integration der EU, aber keine rechtsextreme Fraktion. Dieser Touch hängt der ECR wohl immer noch etwas an und sie gilt daher als gemäßigter als die ID. Ob das wirklich so ist, darüber lässt sich streiten.

      Ja, die Grünen könnten natürlich im Blick auf die Migration mehr erreichen. Aber bei einem Kompromiss musst du ja irgendwo Zugeständnisse machen. Wenn du bei der Migrationspolitik (da waren ja auch die Grünen in Berlin "eingeknickt") viel durchsetzen willst, dann kostet dich das in den Kompromissverhandlungen um so mehr Zugeständnisse bei der Klimapolitik. Ob vdL damit glücklich wäre, kann ich schlecht einschätzen, Manfred Weber wäre aber sicher ganz einverstanden damit. Aber dann haben die Grünen – wahrscheinlich nicht nur in der Bundesrepublik – Probleme mit der Klimabewegung, die zahlenmäßig größer ist als die Aktivist:innen, die sich für Menschenrechte und eine humane Migratioinspolitik einsetzen. Machen die Grünen noch weitere Zugeständnisse bei der Klimapolitik, dann wird in Deutschland jedenfalls DIE LINKE versuchen, den Grünen hier Stimmen streitig zu machen. Siehe Carola Rakete, die ja von ihrem Selbstverständnis eine Klimaschutzpolitikerin und -aktivistin ist. Für die Grünen ist das m.E. wirklich keine einfache Entscheidungssituation. Abstrakt könnte man die Position einnehmen, dass ein besser Klimaschutz die Migration langfristig reduzieren wird. Aber das würde dann bedeuten, den heutigen Migrant:innen auf dem Mittelmeer und an den EU-Außengrenzen den erforderlichen Schutz zu verwehren. Dennoch werden solche Erwägungen in die Überlegungen einbezogen werden.

    13. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor 6 Monaten

      @Jürgen Klute Schon bitter, dass sich die Situation der Grünen an so einem Dilemma zeigt. Das Verhandeln von aktuellen gegen zukünftige Menschenrechte und Klimaschutz kann ja eigentlich nicht gutgehen.

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