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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Der Historiker Jörg Baberowski malt hier ein erschreckend zynisches Szenario, das ich eigentlich nicht wahrhaben möchte. Das aber durchaus realistisch sein könnte. Die Sanktionen gegen Putins Russland wirken nicht wie erhofft, die russische Armee erobert langsam und brutal ukrainischen Boden, Deutschland und andere europäische Staaten leiden unter einem russischen Gasstopp, es gibt Unruhen in den Bevölkerungen, Länder werden politisch instabil, es kommt zu einer Spaltung der EU. Wenn dann noch die USA ihre militärische Unterstützung der Ukraine zurückfahren sollten, in Deutschland und Frankreich die Zweifler überhandnehmen, hätte Putin langfristig gewonnen. Er braucht nur Geduld und etwas Glück. Dazu Baberowski:
Putin weiß genau, dass die Zeit für ihn spielt, ganz gleich, welche Sanktionen der Westen gegen Russland verhängt. Solange China, Indien und andere Länder Öl abnehmen, wird Putin die Sanktionen durch Exporte kompensieren können. Zurzeit ist der Rubel stabil, die russische Wirtschaft ist noch nicht kollabiert. …. Die westliche Front gegen Putin bröckelt doch schon längst. Manche Unternehmen haben sich zwar aus Russland zurückgezogen. Andere aber machen weiterhin sehr gute Geschäfte mit den Russen. Nun steigen die Preise im Westen, die Inflationsrate ist auf einem Höchststand. Sobald der Winter anbricht, werden auch wir zu spüren bekommen, was es heißt, sanktioniert zu werden.
Innenpolitisch hat Putin keine ernsthafte Opposition zu fürchten. Die Mehrheit der Russen scheinen hinter ihm zu stehen. Zumindest so lange er keine Generalmobilmachung anordnet, ist wohl auch keine Kriegsmüdigkeit zu erwarten. Er könnte so den Krieg noch lange fortsetzen, auch wenn das Volk Opfer bringen muss. Denn – so Baberowski – für die meisten Russen ist diese Aggression
überhaupt kein Krieg zwischen zwei souveränen Staaten, sondern ein Bürgerkrieg, der dem Ziel dient, eine abtrünnige Provinz ins Imperium zurückzuzwingen. Putin will die Ukrainer für ihren "Verrat" bestrafen, so sieht es die russische Öffentlichkeit. So funktioniert auch die Propaganda: Immer wieder wird an die großen Schlachten des Zweiten Weltkriegs erinnert, in dem alle Völker der Sowjetunion gemeinsam gegen die deutschen Faschisten gekämpft haben. Dass sich die einstigen "ukrainischen Brüder" von diesem Erbe abwenden, wird in Russland als "Verrat" gesehen. Das ist auch der Grund für die Unerbittlichkeit des Krieges.
Die meisten Russen haben ein Weltbild, das sich nicht an unsere Prämissen und Wertvorstellungen hält. Und dadurch wird der Westen, werden die Ukrainer mit ihren moralischen Haltungen dort nicht durchdringen. Auch wenn sie im Recht sind, auch wenn Putin eindeutig Völkerrecht bricht.
Im Recht zu sein, heißt nicht, auch zu können, was man will. Es ist zweifellos moralisch geboten, sich einem Angriffskrieg zu widersetzen. Aber wer sich ihm erfolgreich widersetzen will, darf doch auch die Grenzen des Möglichen nicht aus den Augen verlieren.
Und es fragt sich, ob die Politiker (und Bürger) des Westens sich selbst wichtige kritischen Fragen ernsthaft gestellt haben? Etwa,
Und das ist die nachvollziehbare Hauptkritik Baberowskis:
Es gibt keine deutsche und auch keine europäische Russland-Strategie. Das Verlangen, Russland müsse den Krieg verlieren, ist ein Verlangen, aber keine Strategie. Denn was soll dem Sieg eigentlich folgen? Und ist man sich darüber im Klaren, dass eine strategielose Konfrontation Putin in die Karten spielt und ihm hilft, die Bevölkerung hinter sich zu scharen? Die westlichen Sanktionen sollten den Rubel destabilisieren, Russland in die Zahlungsunfähigkeit treiben und seine Wirtschaft kollabieren lassen. Stattdessen machen die Europäer die Erfahrung, dass ihre Sanktionen auch ihnen selbst schaden. Ich fürchte, dass die Herren im Kreml eine Strategie haben, wie sie mit den Ländern des Westens auf Dauer verfahren. Wir haben sie nicht.
Auch wenn es viele Europäer nicht hören wollen, wir neigen immer noch zur Selbstüberschätzung, meinen wirtschaftlich sowie moralisch der Nabel der Welt zu sein. Das ist aber schon länger vorbei.
China, Indien, Brasilien, Iran und zahlreiche andere Schwellenländer haben sich auf die Seite Putins gestellt, weil sie den Krieg gegen die Ukraine auch als eine Auseinandersetzung mit den USA, Frankreich und Großbritannien verstehen, als einen Krieg gegen ehemals mächtige Kolonialstaaten. In diesen Ländern wirken die moralischen Versicherungen der westlichen Staaten zynisch, weil man sie dort im Licht kolonialistischer Erfahrungen sieht.
Und so könnte sich Putin durchsetzen – er kann warten. Auch ist ihm eine zerstörte Ukraine lieber als ein nach Westen orientiertes Brudervolk. Er kennt offensichtlich keine Skrupel. Er hat auch kein Interesse an Verhandlungen. Er kann z. B. ausharren, bis die aufziehenden Wirtschaftskrisen seiner fünften Kolonne in Europa helfen. Marine Le Pen und Matteo Salvini stehen schon in den Startlöchern. Ist uns Demokraten das alles ausreichend bewusst?
Quelle: Marc von Lüpke , Florian Harms www.t-online.de
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Ein starkes, wenn auch erschreckendes Interview.
Es bewegt sich in einem der Hauptströme der westlichen Sicht auf den großen Krieg im Osten.
Am Anfang dominierte die Meinung, die Ukraine falle bald.
Dann gab es sogar Siegesgewißheit mit westlichen Waffen.
Mittlerweile wird deutlich, dass das nicht und auf keinen Fall schnell geschehen wird.
Nun gibt es Vorschläge wie der Krieg beendet werden könnte, da er auch den Westen schwächt: https://www.ipg-journa...?
Oh je, Zynismus und Kapitulation als Realpolitik. Das ist dann doch eine schwache Antwort.