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Europa

Europäische Union - ein System im Umbruch?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSamstag, 01.10.2022

Global entsteht offensichtlich eine neue Weltordnung, in der der Westen relativ an Einfluß verliert, während andere Regionen und Gesellschaftsmodelle an Gewicht gewinnen. Für Europa ist das Chance und Herausforderung zugleich. 

In unruhigen Zeiten will man nun wissen, wie es um die eigenen Partner und Verbündeten in der EU steht. Wie stabil sind die Mitgliedsstaaten und wie gut funktioniert daher das Bündnis?  Wie gut sind wir gerüstet für den Umbruch? Eine Analyse der Unternehmensberatung PANTARHEI ADVISORS versucht darauf einige Antworten zu geben. Dem zufolge wäre die Zeit der Großparteien und klaren politischen Verhältnisse in den Mitgliedsstaaten der EU wohl vorbei. Es dominieren Volatilität und Regierungsbündnisse mit drei oder mehr Parteien.

16 EU-Mitgliedstaaten werden mittlerweile von Koalitionen mit drei oder mehr Parteien regiert. In der Regel sind es ehemalige Großparteien, die sich mithilfe kleinerer Splitterparteien die fragile Mehrheit sichern. Hinzu kommen 5 Staaten, in denen die Regierung über keine Mehrheit im Parlament verfügt (Frankreich als das prominenteste Beispiel). Zudem wurden in lediglich 6 der 27 Mitgliedsstaaten die letzten beiden Legislaturperioden von amtierenden Regierungskabinetten zur Gänze vollendet.

Sie zeigen das u.a. in ihrem EU-Instabilitätsindex, der versucht die politische Stabilität anhand der Zahl der Regierungswechsel in den letzen zwei Legislaturperioden, der Zahl der Parteien in den Regierungen sowie der Differenz zw. den Zeitpunkten von vorgezogenen und regelmäßigen Wahlen. Wobei sich zeigt, dass stabile Regierungskonstellationen nicht per se positiv sind - in diesem Index erscheint Ungarn am gefestigtsten. Was auch zu denken geben sollte. Insgesamt zeigt sich in den vergangenen zwei Legislaturperioden:

Stabile Regierungskonstellationen traditioneller Mehrheiten gehören demnach vermehrt der Vergangenheit an – während Dänemark, Irland oder Polen drei Kabinette verzeichneten, waren in diversen EU-Staaten sogar 4 und in Bulgarien und Österreich gar 6 verschiedene Kabinette im Amt. Rumänien und Italien bilden mit 7 Kabinetten die unrühmliche Spitze.

Solche Fragmentierungen und die Volatilität haben natürlich politische Folgen:

  • Es verschwimmen die großen Fragen, die man gemeinsam lösen will. Auch die angestrebte geopolitische Rolle der EU im Wettlauf der Welt-Regionen wird unklar. Wo stehen wir im Ringen zw. Amerika, China, Indien oder Rußland? 
  • Auch die deutsch-französische Achse erlahmt bei der Lösung großer europäischer Themen. Ähnlich wie das „Visegrad“-Bündnis oder die „Frugalen Vier“ (Dänemark, die Niederlande, Österreich und Schweden).
  • Radikale (kleine) Parteien an den Rändern des politischen Spektrums werden zu  Mehrheitsbeschaffern für ehemalige Volksparteien. Dadurch gewinnen einerseits populistische Versprechungen Macht und Einfluß. Andererseits führt diese instabile Form der Koalitionen zu einer Art Dauerwahlkampf, der Kräfte und Ressourchen der Parteien absorbiert.

Für die Politikberater der Analyse ergeben sich daraus zwei Tendenzen für das Gefüge der Europäischen Union. So führt die wachsende Heterogenität und Volatilität der Stimmverhältnisse im Europäischen Rat

leichter, Entscheidungen zu blockieren, doch wehe dem, der eine Mehrheit zu bauen versucht.

Gewinner dieser Entwicklung könnte die Europäische Kommission werden:

Sie zieht neue Kompetenzen an sich (bzw. bekommt diese durch den Rat übertragen). So folgt die EU-Kommission der Vorlage vergemeinschafteter Impfstoff-Beschaffung, um dieses Modell auch auf weitere Sektoren und Produkte auszuweiten (z.B. Rüstungsgüter, Löschflugzeuge).

Wie das Ganze dann im Zusammenspiel mit dem Europäischen Parlament funktioniert ist völlig offen. Ebenso wie es mit dem Einfluß Rußlands auf radikale Parteien und das Verhältnis zur USA weitergeht. Auch für die EU ist die Zukunft offen. Wie nicht nur das jüngste Wahlergebnis in Italien zeigt - in den Führungsetagen der rechten Parteien wächst die Frauen-Power. Vielleicht ein gutes Zeichen?

Europäische Union - ein System im Umbruch?

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Kommentare 2
  1. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

    Interessante und lehrreiche Analyse. Es nur noch unklar, was daraus für uns folgt, d.h. was wir - wer immer 'wir' ist - anstreben sollten.
    Mir scheint das Wichtigste zu sein, weniger auf die Zahl der Beteiligten zu achten als auf die Diskussionskultur, die es ermöglicht - oder eben auch verhindert - zu tragfähigen Kompromissen zu gelangen. Wie können unterschiedliche Wert-Paradigmata der unterschiedlichen Strömungen, deren Diversität ohne Zweifel von Nutzen ist, auf einer gemeinsamen Tatsachenbasis arbeiten? Wie kann Debatte, in der jede Art von Polemik und Gemeinheit erlaubt ist (ist sie das?) mit Diskussion zusammenleben, in der rein destruktive und inter-Fraktions-Kampf-bezogene Beiträge ausgefiltert sind und zielfindende, wegfindende Beiträge überwiegen?
    Wir sehen ja seit einiger Zeit leider verstärkt das, was ich im Twitter mit #gehässigeHalbwahrheit tagge - Beiträge, die die Diskussion völlig entgleisen lassen und emotionale Energie rein auf's Gewinnen des Machtkampfes richten.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      So ist es wohl. Eigentlich müßte man diskutieren, in welche Richtung die EU gehen sollte - hin zu einem „Bundesstaat" oder eben zum Staatenbund. Und dann in welcher konkreten Struktur, in welchem Rechtsrahmen, mit wieviel Subsidiarität usw. usw. Alles sehr komplexe Fragen - schon ohne vorauseilende Werturteile.

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