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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Der 1961 in Moskau geborene Michail Schischkin ist einer der auf- und anregenden Beobachter in Europa und ein großer Erzähler, der versucht, das klassische russische Romanerbe zu erneuern.
Seit 1995 lebt Michail Schischkin in der Schweiz und hat deren Staatsbürgerschaft und ist zugleich der einzige Autor, der die drei wichtigsten russischen Literaturpreise erhielt: 2000 bekam er den Russischen Booker-Preis, 2005 den Nationalen Bestseller-Preis sowie 2006 und 2011 den Bolschaja-Kniga-Preis (dt. Großer Buchpreis).
Mittlerweile werden Bücher von ihm aus Bibliotheken in seinem Geburtsland verbannt.
Er bleibt aber einer der wenigen, die Ost und West aus eigenen Anschauungen und Erfahrungen kennen und kann deshalb gut das Besondere und das Allgemeine unterscheiden.
Deshalb ist es spannend, wie einer, der die Diktatur und den großen Krieg kommen sah, seine Positionen wandelte.
Meine Vorschläge, ihn kennenzulernen, staffelte ich zeitlich. Es beginnt mit einer denkwürdigen Auseinandersetzung mit Dostojewski, seiner Rede zum 200. Geburtstag des großen Zerrissenen, der als Revolutionär zum Tode verurteilt war, zur Zwangsarbeit begnadigt wurde und als Reaktionär starb.
Zu Beginn ein kurzes Quiz. Woher stammt das folgende Zitat?
«Russland braucht keine Predigt (davon hat es genug gehört), keine Gebete (auch davon gab es genug), sondern das Erwachen eines Gefühls der Menschenwürde, die viele Jahrhunderte durch den Dreck gezogen wurde, des Rechts und des Gesetzes, nicht wie die Kirche es vorschreibt, sondern gemäß dem gesunden Menschenverstand und der Gerechtigkeit, und eine strenge Ausführung dieser Gesetze. Stattdessen bietet Russland den schrecklichen Anblick eines Landes, wo es nicht nur keinerlei Persönlichkeitsrechte gibt, keinerlei Garantien für Ehre und Eigentum, sondern nicht einmal eine polizeiliche Ordnung; es gibt nur einen riesigen Zusammenschluss von Dieben und Räubern.»
Angesichts des großen Kriegs im Osten erkannte Michail Schischkin die frappierende Aktualität Thomas Manns, der aus dem Exil mit dem Wort gegen die Nazis kämpfte. Er vergleicht mit Thomas Manns Reden und Briefen, Essays und Ansprachen den deutschen Faschismus mit der russischen Diktatur heute. Seine russische Deutschstunde auf den Schultern des in der Schweiz verstorbenen Nobelpreisträgers beginnt so:
«Das russische Volk ist stark im Hinnehmen, und da es die Freiheit nicht liebt, sondern sie als Verwahrlosung empfindet, weshalb sie ihm denn auch wirklich gewissermaßen zur Verwahrlosung gereicht, so wird es trotz schweren Desillusionierungen sich unter der neuen, roh-disziplinären Verfassung immer noch besser und richtiger in Form fühlen, immer noch ‹glücklicher› sein als unter der Republik. Die unbeschränkten Belügungs-, Betäubungs- und Verdummungsmittel des Regimes kommen hinzu. Das intellektuelle und moralische Niveau ist längst so tief gesunken, dass der zu der eigentlichen Empörung notwendige Schwung einfach nicht aufzubringen ist.»
In diesem Zitat aus dem Brief von Thomas Mann an René Schickele (2. April 1934) habe ich nur ein Wort ersetzt: «deutsch» durch «russisch». Die historischen Parallelen zwischen Nazi-Deutschland und Putin-Russland sind frappierend. Die jüngste russische Geschichte hat den deutschen Klassiker zu unserem Zeitgenossen gemacht.
Mit dem bekannten, im vergangenen Jahr verstorbenen Journalisten und Intendanten Fritz Pleitgen schrieb Michail Schischkin 2019 das Buch "Frieden oder Krieg. Russland und der Westen – eine Annäherung". Angesichts der extremen Ausweitung der Kriegszone überarbeitete und aktualisierte er seinen Part, der nun auf Englisch erschien.
In einem bitteren Interview mit Andrew Anthony vom Guardian sagt Michail Schischkin zur Mitschuld des Westens:
Ich fürchte, der Westen hat geholfen, dem russischen Volk dieses kriminelle Regime zu bringen. In den neunziger Jahren waren die Menschen bereit für die Demokratie, aber sie hatten keine Ahnung, wie sie funktioniert. Was haben die westlichen Demokratien der neuen russischen Demokratie gezeigt? Ich habe als Dolmetscher in der Schweiz gearbeitet, habe gesehen, wie diese riesige Waschmaschine funktioniert. Die Leute mit dem gestohlenen Geld, dem schmutzigen Geld, kamen aus Russland und eröffneten Konten in Zürich. Und Anwälte, Leute von den Banken, alle waren so glücklich, dieses schmutzige Geld zu bekommen. Sie waren sich absolut bewusst, dass es schmutziges Geld war. Dasselbe passierte in London, sogar noch schlimmer, glaube ich. Es ist natürlich die Hauptverantwortung der Russen, aber ohne die Unterstützung der westlichen Demokratien wäre es unmöglich gewesen, diese neue Diktatur in Russland zu errichten."
Last but not least: Ein Brief des bekannten russischen Autors an einen unbekannten Ukrainer.
Quelle: Michail Schischkin www.journal21.ch
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Kritisch mahnende Stimmen wie die von Michail Schischkin verknüpfen aktuelle Entwicklungen mit der Literaturgeschichte ihres Heimatlandes und filtern Parallelen zu historischen Missständen sowie zum deutschen Faschismus heraus. Das sind vielleicht verzweifelte Versuche zur Rettung russischer Kultur, die von kompletter Zerstörung bedroht ist. Wie sich das auf die Arbeit von Kulturschaffenden auswirken kann, zeigt Valentina Nicolaes berührender Piq „Ich, Yura, kann jetzt nicht mit russischer Literatur arbeiten“ https://www.piqd.de/eu...
Die Jahre der Perestroika erlebte ich unmittelbar in Moskau. Die sichtbarste, ebenfalls von Gorbatschow initiierte Glasnost (was vor allem Offenheit bedeutet) war auch der Beginn einer ehrlichen Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen. Sie wurde aber in Russland nie zu einem Ergebnis in den Köpfen der Massen geführt und schlug unter Putin in die Restauration der alten Zustände um.
Jelzin erlebte ich einmal 1989, als er vor einem vollen Saal sprach. Seine Reformideen bezogen sich vornehmlich auf die Eindämmung der Parteibürokratie, ohne dass deutlich wurde, wodurch er sie ersetzen wolle. Was sich mir besonders einprägte, war die Schilderung seiner Wahlkampftaktik bei den ersten demokratischen Wahlen, die er als Parteisekretär der sibirischen Region Swerdlowsk (heute Jekaterinburg) organisierte. Seine Cleverness und die seiner Berater sicherten ihm das Mandat im Wahlkreis Moskau. Er war machtbesessen, aber auch mutig, als er sich an die Spitze gegen die Putschisten im August 1991 setzte (am Tag des Putsches war ich auf Durchreise in Moskau und sah, wie an zentralen Plätzen die Panzer auffuhren und mit Trolleybussen und anderem Gerät Barrikaden errichtetet wurden).
Seine Machtambitionen liefen darauf hinaus, in Opposition zu Gorbatschow die Sowjetunion nach dem Motto „Divide et impera“ zu zerstören. So war es leichter möglich, die Völker ihres Staatsvermögens zu berauben, das sie unter Entbehrungen erarbeitet haben. Hans Wibras unten geäußertes Urteil, der Westen hätte Jelzin in einer Weise über den Tisch gezogen, in der die Interessen der russischen Bevölkerung keine Rolle gespielt hätten, kann ich nicht nachvollziehen. Richtig ist allerdings, dass es dem Westen primär um eigene wirtschaftliche Vorteile ging.
Nach der Krim-Annexion und dem Beginn des Donbass-Krieges habe ich mich gefragt, ob die NATO eine Mitschuld trifft, dass keine nachhaltige Sicherheitsarchitektur gemeinsam mit Russland geschaffen wurde. Doch sahen wir bereits unter Jelzin einen brutalen Tschetschenien-Krieg und separatistische Kriege in Georgien und Aserbaidschan. Russland hatte die ökonomische und militärische Macht, um die Kaukasuskriege mit weniger Blutvergießen zu beenden, Flucht und Vertreibung einzudämmen und die Souveränität und territoriale Integrität der Neuen Unabhängigen Staaten sicherzustellen. Die Interessenlage Russlands war das genaue Gegenteil, die Friedensgefahr aber erkennbar und die Kriege weit abseits von hier.
... Was nun die Verdienste für die friedliche deutsche Wiedervereinigung betrifft, so gebühren sie nicht Russland, sondern der Sowjetunion und namentlich Gorbatschow. Auch hat nicht Russland, sondern die Sowjetunion mit den Alliierten unsere Eltern und Großeltern von der Hitlerdiktatur befreit. Das wird oft - von manchen unbewusst, von anderen tendenziös – vergessen und verdreht. Die Ukraine und Belarus haben dafür im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl weit größere Opfer erbracht als Russland.
Der moskauzentrierte Blick macht einige Deutsche dabei auf dem rechten Auge blind. Denn Putin annihiliert mit seinen Propagandisten die immensen Leiden der Ukrainer im Weltkrieg für seine schmutzigen imperialen Zwecke. Der Große Vaterländische Krieg wird so gegen den demokratischen Westen instrumentalisiert. Und selbst bei uns in Deutschland wird das Gedenken an die Weltkriegsopfer behindert, wie hier gezeigt wird: https://www.piqd.de/ze...
Zitat
Mit dem bekannten, im vergangenen Jahr verstorbenen Journalisten und Intendanten Fritz Pleitgen schrieb Michail Schischkin 2019 das Buch "Frieden oder Krieg. Russland und der Westen – eine Annäherung".
Das Buch hat mir gut gefallen und Pleitgen war einer, der uns, d.h. den Westen, auch ermahnt hat, die Nation Russland im positivem Sinne, d.h. auch ernsthaft in unsere
europäische Gesellschaft ein zu laden. Bis zuletzt hat er dies Versäumnisse gesagt und genannt. Und ohne Zweifel hätte man die sich aufzeigenden Probleme ernst nehmen müssen, und die Frage der NATO-Osterweiterung versuchen müssen im Einverständnis mit Russland und dessen Sicherheitsinteressen, zum GeneralThema machen müssen. Wir verdanken Russland viel, denn es war das Russland mit seiner Regierung Gorbatschow, das uns diese reibungslose, zügige und lettzendlich bedingungslose Wiederverinigung gegeben hat. Was haben wir gemacht, einen weitgegehend hilflosen, meist alkolisierten Jelsin über den Tisch gezogen. In einer Weise, in dem die Interessen der Bevölkerung dieses Landes keine - wirklich keine Rolle gespielt haben. Die korrupten Neu-Milliardäre waren unsere großen Freunde, beispielhaft hier Michail Borissowitsch Chodorkowski, hat wie die anderen Milliarden unter den Nagel gerissen - als "jemand" diesem gigantischen Verbrechertum Einhalt gegeben hat, haben wir nicht besseres gewußt als ihn zum unseren Intimfreund zu machen und den "jemand" zum politischen Teufel. Und jetzt sind wir in der Situation die wir damals weder Kohl noch Brandt oder Mitterand, etc., jemals haben wollten.
Wir steigern uns Behauptungen, die den Übergang zur Denunzation längst gegangen sind. Auch hier wird Russland mit Nazideutschland verglichen und irgendwie auch gleichgesetzt, so kommt es in den Medien und unseren Statements rüber, was für eine Tragödie. Wir verspielen aktuell, unsere seinerzeit, also nach dem 2. Weltkrieg und dem Einstz von Atombomben - auferlegte Menschheitsaufgabe = eine bessere Welt mit starken inernationalen Institutionen und mit Sicherheit, für jedes Land zu schaffen.