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Volk und Wirtschaft

Energiewende – Deutschland ist nicht Prometheus

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSamstag, 27.05.2023

Bei den "Salonkolumnisten" setzt Bernd Rheinberg unseren Wirtschaftsminister und sein Handeln in einen interessanten historischen Rahmen. Und bleibt dabei fair gegenüber Habeck. Wie Rheinberg richtig sieht, haben wir alle den Komfort des zivilisatorischen Fortschritts genossen, der mit dem Feuer des Prometheus angetrieben wurde.

... nicht nur Kapitalisten, sondern auch Sozialisten. Wer zum Beispiel Ernst Bloch mit seinem „Prinzip Hoffnung“ liest, wird in der propagierten Entfesselung der Maschinenwelt und der Naturwissenschaft eine Linke erkennen, die mit ihrer Euphorie die Kapitalisten in jeder Hinsicht noch übertreffen will.

Gewissermaßen aber hat „Prometheus … zu triumphal gesiegt.“ Denn durch die massive Förderung und Verbrennung der fossilen Rohstoffe gehen die natürlichen Springquellen unseres Wohlstandes unwiederbringlich verloren, und die Atmosphäre erwärmt sich bedrohlich, vielleicht sogar gefährlich für das Überleben der Menschheit.

Obwohl dieses Problem global ist, spielt es nirgends eine größere politische Rolle als in Deutschland. Rufen wir hier nicht die üblichen, wenn auch nicht unbedingt falschen Erklärungsmuster von postromantischem Idealismus und „German Angst“ auf – aber die Geschichte ökologischen Denkens ist vor allem eine deutsche Geschichte. Und das hat auch mit der Partei Die Grünen zu tun. Und ihrem Erfolg.

Einer globalen Befragung (im April 2022 durch das französische Marktforschungsunternehmen IPSOS) zufolge, ist die Angst vor einer durch den Klimawandel ausgelösten Apokalypse weltweit höchst unterschiedlich verteilt. Ganz vorne lag die Inflation. Der Klimawandel, in Deutschland seit Jahren das dominierende Thema in den Medien und der Politik, kam global gerade einmal auf Platz zehn.

Aber es waren nicht nur die Grünen. Der amerikanische Historiker Stephen Gross zählt in Deutschland nicht weniger als fünf immer umstrittene Energiewenden, die er Sonderwege einer nervösen Nation nennt.

  • Die erste Energiewende (zwischen 1958 und 1970) begann unter Ludwig Erhard und war der Übergang von der Kohle zum Erdöl. 
  • Die zweite war eine Halbwende hin zur Atomenergie. Es begann unter Adenauer, aber der größte Ausbau von Atomkraftwerken passierte unter Willy Brandt.

Die Sozialdemokraten waren sehr für Atomenergie. Die Atomkraft barg für sie das Versprechen billiger Energie. Denn billige Energie würde Wirtschaftswachstum ermöglichen, und auf der Grundlage des Wachstums konnten sie dann ihre sozialen Programme verwirklichen. Atomkraft war mit enormem Geschichtsoptimismus verbunden … Atomenergie sollte (etwa nach Meinung von Ernst Bloch) Meinung nach Wüsten in üppige Gärten verwandeln. Außerdem sollte Atomenergie für die Medizin verwendet werden, für den öffentlichen Nahverkehr. Was die SPD und die CDU dann aber noch mehr interessierte, war die Aussicht auf den Export.

  • Die dritte Energiewende war der Versuch der Grünen und der SPD, das Einsparen von Energie zu einer Energiequelle zu machen. In der Zeit nach 1973 begann die Anti-Atomkraftbewegung stärker zu werden und man setzte u. a. auf die Reduzierung von Verbrauch und Verschwendung.
  • Die vierte Energiewende war die Wende hin zum Erdgas, vor allem aus der Sowjetunion.
  • Die Wende zu erneuerbaren Energien und zu weiteren Einsparungen ist nun die fünfte ihrer Art. Mit langen Wurzeln bis in die späten 80er-Jahre.

Kommen wir zurück zu Robert Habeck. Bernd Rheinberg meint zu dessen aktuellen Zwangslage zunächst:

Es ist natürlich keine so gute Idee des Wirtschaftsministeriums, sich beim Heizungsgesetz auf die Wärmepumpe zu versteifen und die Umstellung an sehr enge Fristen zu binden. Die Technik ist zwar ausgereift, gute Modelle sind auch leise, bei Neubauten ist sie leicht zu installieren. Aber im Bestand sieht die Sache anders aus, da geht es gewaltig ins Geld, ….. Selbst das Fraunhofer Institut geht davon aus, dass längst nicht so viele Gebäude wie gewünscht derart beheizt werden können. Nur sind die Alternativen wegen der langen Untätigkeit der Merkel-Regierung und der korrumpierenden Auslieferung an Putins fossile Energieträger auch kaum vorhanden – das Nichtstun zu verlängern wäre sicher die schlechteste aller Alternativen.

Aber in der Politik zählt letztendlich allein die praktische Umsetzung. Politik muss funktionierende Lösungen finden. An dieser konkreten Moral, so die NZZ, scheitert der Wirtschaftsminister und Literat Habeck gerade:

Ohne den sehr deutschen Spleen des Atomausstiegs würde Deutschland heute deutlich weniger CO2 produzieren. Indem die Grünen den Atomausstieg (unter Mithilfe der Merkel-CDU) unbeirrt durchgesetzt haben, gewichteten sie das Ideal höher als das praktische Ergebnis. Genau das ist in der Politik amoralisch."

Die Salonkolumnisten konstatieren da auch einen Grund für das Überperformen des Wirtschaftsministers: 

Robert Habeck wollte nach der Großen Koalition eine neue Seriosität, einen neuen Republikanismus, eine neue Zukunftsorientierung und Dringlichkeit in die Politik bekommen – etwas, was sich von den Mehltaujahren unter Merkel deutlich abhebt. Er war es, der ein Dreivierteljahr vor der russischen Invasion in die Ukraine gereist war, um Solidarität mit dem damals schon bedrängten Land zu zeigen. 

Er war sich nicht zu schade, vor den Gashändlern am Golf einen Ko Tau zu machen. Und wirkte dabei ein wenig wie "ein Musterschüler unter Beweislast vor sich selbst und den Wählern". Er handelt, so die Einschätzung, mit einer Unbedingtheit, einem Überanspruch an sich selbst, die keiner Sache und keinem Amt gut bekommt. Und schnell zur Überlastung führt. Genährt wird dieser Überanspruch 

durch die in der Öffentlichkeit ständig wiederholte Autosuggestion, Deutschland könnte das Klima, die Welt, die Menschheit retten. Aber keine Regierung, keine Partei, kein Ministerium kann die Welt retten. Jedes Land muss entsprechend seinem Anteil die notwendigen Anstrengungen unternehmen, mit denen man Klimawandel, Ressourcenerschöpfung und den katastrophalen Verlust biologischer Vielfalt Einhalt gebieten kann. Mehr geht nicht. Eine globale Aufgabe ist nur global zu lösen.

Und man muss sich realpolitisch innerhalb der globalen Entwicklungen bewegen und auch sein nationales Überleben sichern. Doch die deutsche Debatte wird immer wieder von den Rändern, von "Aufhaltern und Apokalyptikern" bestimmt. Das magische Denken überwiegt. Man billigt der kapitalistischen Ökonomie keine Evolution zu, keine innovativen Entwicklungen hin zu einer ökologischen Marktwirtschaft. 

Kein Fortschritt ohne Risiko – Prometheus wusste das wohl. Man kann nicht alles blockieren, was einem Angst macht, aber bei den eigenen favorisierten Lösungen alle Probleme ausblenden.

Näheres erfahren wir vielleicht, wenn Peter Sloterdijk mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) über die Reue des Prometheus diskutiert: auf der Phil.Cologne am 9. Juni, um 18 Uhr im WDR-Funkhaus in Köln.

Energiewende – Deutschland ist nicht Prometheus

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Kommentare 5
  1. Roland Stumpf
    Roland Stumpf · vor mehr als ein Jahr

    Da schimmert die Fossillobby deutlich durch. Der Text ist am Rand von seriös und schon drüber. Da hilft auch keine antike Verbrämung.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Oh, da muß ich was falsch gemacht haben. Zähle mich eher zur Atomlobby …. 🤔

  2. Marcus von Jordan
    Marcus von Jordan · vor mehr als ein Jahr

    ich würde RH gerne fragen, wie er das erlebt, wie ihm, vor allem die konservative Öffentlichkeit, die ganze Zeit irgendwelche Stimmungslagen, psychologischen Zwänge, Moraldilemma und Selbstüberhöhungen andichtet. Andererseits rechne ich es ihm hoch an, dass er das alles unkommentiert lässt und einfach weiterarbeitet. Ich wette jetzt schon: viele Regelungen, die er jetzt im Ringen mit der FDP realisiert, werden sich als Weichenstellung und Dauerbrenner beweisen. Spannend finde ich auch, wie diese Angriffe nie ohne Respekt für ihn auskommen.
    Für mich bleibt er erstmal noch eine Lichtgestalt in der Politik...bis ich es mir anders überlege.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Lichtgestalt würde ich ihn nicht nennen. Aber er ist schon einer der Klügeren. Leider mit einseitigen Beratern …… Und ja, die Zwänge sind eher real.

    2. Michael Homborg
      Michael Homborg · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Wer schon Prometheus bemühen muss, der hat den Rahmen strategischer Entscheidungsfindung (und offensichtlich notwendiger Dringlichkeit) selbst gewählt. Im Dialog mit einem Philosophen kann Habeck eigentlich nur gewinnen, deswegen hat er diesem Format auch zugestimmt. Vlt auch weil er auf der einen Seite damit die Deutschen in der Breite für seine "Fast-pace"-Politik gewinnen kann, und andererseits den ewig Nörgelnden neues "Food-for-Thought" kredenzen will. Mich würde in diesem Kontext auch interessieren, wie nach der Winterdürre nun auch in Spanien und Frankreich engagierter (als vlt noch 2021) diskutiert wird und wie die innereuropäische Debatte aussieht.

      Rock on, Hommel

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