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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Im Schatten des Krieges in der Ukraine steht der Aufstand im Iran, aber immer wieder taucht er in der ersten Reihe der Nachrichten auf.
Warum das auch mit uns zu tun hat, legt überzeugend dar der in Siegen als Sohn iranischer Eltern geborene Schriftsteller und habilitierter Orientalist Navid Kermani.
In seiner gedanklich klaren und emotional berührenden Rede zum Neujahrsempfang in Frankfurt am Main heißt es über das Stadtoberhaupt:
Ihre Oberbürgermeisterin ist im Iran aufgewachsen und nicht nur das, sie hat im Iran bereits politisch gekämpft. Sie war im Iran im Evin-Gefängnis. Sie war eine politische Gefangene. Frankfurts Oberbürgermeisterin ist eine ehemalige politische Gefangene, die Bürgermeisterin der viertgrößten Stadt Deutschlands.
Nicht zuletzt durch die digitalen Verbindungen sind wir alle und vor allem in diesem Fall die iranische Diaspora in Deutschland mit der Welt, also auch mit dem Iran, verbunden.
Freilich auch mit den digitalen Fälschungsmöglichkeiten.
So bekommt Navid Kermani den mutmaßlichen Abschiedsbrief des mit 39 Jahren hingerichteten Mohammad Hosseini zugesendet, der "zutiefst einsam" war. Dieser Arbeiter, der ohne Eltern aufwuchs, schreibt darin:
Nach Tagen und Nächten des Widerstands unter schwerer Folter zwangen sie mich, die Lüge zu gestehen, die sie wollten und das Verbrechen zu bekennen, das ich nicht begangen hatte. In der Dämmerung des morgigen Tages, am Fuße des Galgens, werde ich ein letztes Mal gen Himmel blicken, den letzten Stern sehen und mit meiner ganzen Kraft ,Zan, Zendegi, Azadi‘ rufen – ;Frau, Leben, Freiheit‘.
Und da Navid Kermani nicht nur unter uns lebt, sondern ein großer Stilist der deutschen Sprache ist, rückt er die Welt seiner Vorfahren, mit der er immer noch verbunden ist, uns nah, schmerzhaft nah.
Er zeigt aber auch die Verstrickungen Deutschlands mit der iranischen Diktatur:
Ich fahre weiter fort, mit der Nachricht des gestrigen Abends: Eine Rede des Revolutionsführers Chomeini, der keinerlei Gnade kennt. Der sagt, keiner soll zurückweichen.
Und dann, heute, gerade eben auf der Fahrt nach Frankfurt lese ich, dass die deutschen Exporte in den Iran in diesem Jahr gestiegen sind. In diesem Jahr.
Wir sind mit der Welt verbunden, aber verschieden stark. Die Afghanen, so Navid Kermani, werden wieder einmal vergessen.
Dennoch – im Gegensatz zu Goethe, der sich von der Poesie eines persischen Dichters Hafis inspirieren ließ – sind unsere Möglichkeiten größer als zu Zeiten des aus Frankfurt am Main stammenden Klassikers.
Noch muss offenbleiben, wie sich die iranische Krise, die mit den Vielfachkrisen unserer Epoche verbunden ist, lösen wird.
Ich sagte, man kann Proteste mit Gewalt ersticken. Wir haben das in China erlebt, Tian’anmen, aber China hatte den Menschen immerhin etwas zu bieten, eine wirtschaftliche Entwicklung. Dieses Regime hat nichts mehr zu bieten.
Das Land ist ruiniert, ökonomisch, ökologisch, es gibt nicht einmal Gedanken daran, wie der Iran das nachfossile Zeitalter bestehen wird.
Am Ende seiner bedenkenswerten Rede kommt er noch mal auf Hafis zu sprechen, der Goethe anregte für sein unerschöpfliches Spätwerk.
In Schiras, der Heimatstadt von Hafis, regierte der religiös-fanatische Mubariz al-Din, der die kleinste Übertretung der Gebote eigenhändig mit Peitschenhieben und Enthauptung bestrafte. Das war im 14. Jahrhundert, während der Blüte der persischen Poesie. Der Name des Herrschers ist heute vollkommen vergessen, niemand kennt ihn. Die Namen von all den Pfaffen, den Mullahs, über die Hafis lachte, die ihm ein Begräbnis auf dem Friedhof von Schiras verwehrten, sind vergessen.
Es leuchtet der Name Hafis, es leuchtet die Liebe, die er gepredigt hat. Und auch in Zukunft wird man nicht an die Namen der Henker erinnern. Man wird sich an Menschen wie Mohammad Hosseini erinnern, die für die Liebe einstanden: „Zan, Zendegi, Azadi“. Vielen Dank.
Die frei gehaltene Rede wurde transkribiert von Katharina Kleint. Die schriftliche Fassung enthält geringfügige Abweichungen vom mündlichen Wortlaut, die von Navid Kermani autorisiert wurden. Hier kann man die Rede hören.
Quelle: Navid Kermani Bild: © Rolf Oeser www.fr.de
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