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Kurator'in für: Fundstücke Zeit und Geschichte
Seit der ersten Stunde als Kurator bei Forum dabei: Dirk Liesemer arbeitet als Journalist für Magazine wie mare und G/Geschichte. Er hat Politik, Philosophie und Öffentliches Recht studiert, die Henri-Nannen-Journalistenschule besucht, immer mal wieder in Redaktionen gearbeitet und ehrenamtlich eine Reihe von Recherchereisen mitorganisiert und begleitet. Bisher fünf Bücher, darunter "Café Größenwahn" (2023), ein Ausflug zu den großen Kaffeehausliteraten des Fin de Siècle. Foto: Andreas Unger
Viel wird in diesen Wochen über Wörter gestritten: Welche sollte man nicht mehr verwenden, weil sie historisch belastet sind? Aber auch: Wo irren die Kritiker? Und was bringt es überhaupt, wenn man Begriffe abschafft? Wird unsere Gesellschaft dann vielleicht besser, weil sie ihre rassistischen Traditionen vergisst?
Die FAZ nimmt sich solcher Fragen derzeit besonders intensiv an und hat dazu eine Reihe von Texten veröffentlicht, die deutlich über die ansonsten weitverbreitete Gefühligkeit hinausgehen. Drei – allesamt kostenpflichtige – Artikel will ich hier vorstellen.
Erster Text: Der Sprachwissenschaftler Helmut Glück befasst sich mit der möglichen Umbenennung des Berliner U-Bahnhofs Mohrenstraße (sein Beitrag ist unten verlinkt, für ein paar Tage auch hier auf Blendle). Kurz gesagt stellt Glück infrage, dass es sich um einen verächtlichen Begriff handelt:
"Mohr" ist schon im Althochdeutschen belegt als Entlehnung aus dem Lateinischen, wo "maurus" einen Bewohner Nordwestafrikas bezeichnet, einen Mauren.
Mit dem altgriechischen "moros", das "dumm" bedeute, habe "Mohr" sprachgeschichtlich nichts zu tun. Sein Beitrag mündet in der provokanten Frage: "Wollen sie (die Kritiker, DL) den Mohren aus der Sprache und der Bilderwelt verbannen, nur weil er schwarz ist?"
Zweiter Text: Am vergangenen Wochenende hat Andreas Frey in der FAS den ausführlichen und sehr lesenswerten Artikel "Raus mit der Sprache" veröffentlicht (hier noch für kurze Zeit auf Blendle). Manche Begriffe seien aufgestiegen (Marschall und Wissenschaftler), andere zu Schimpfwörtern abgestiegen (Wichser). Zwar gebe es einen gewöhnlichen Sprachwandel, aber der sei von niemanden intendiert und vollziehe sich langsam – was bedeutet: Der gewöhnliche Sprachwandel hat mit dem, was derzeit passiert, wenig zu tun. "Vielmehr verfolgen Sprecher mit der Verwendung der geänderten Wörter eine Absicht beim Kommunizieren."
Prägt denn nun Sprache unser Denken und Handeln? "Dass sie dies tue", schreibt Frey, "ist eine Hypothese, der in dieser Allgemeinheit kaum zu widersprechen ist, sie ist im Popper’schen Sinne nicht falsifizierbar." Stattdessen seien die Wirkungen der Sprache – und da verweist der Autor auf den Linguistik-Professor Rudi Keller – noch kaum erforscht, aber die Debatte dafür bereits in einem hohem Maße ideologisch aufgeladen.
Ein letztes Zitat aus seinem Beitrag:
Zudem sind neue Bezeichnungen, die bewusst und mit bestimmter Intention eingeführt werden, häufig nicht produktiv in dem Sinne, dass Menschen durch sie zu einer besseren Haltung finden.
Dritter Text: Ingolf U. Dalferth, zuletzt Professor für Philosophy of Religion an der Claremont Graduate University in den USA, befasst sich mit Sprachregulierungen an den Hochschulen und der Krise der Geisteswissenschaften (hier auf Blendle). Letztere ist zwar schon recht oft ausgerufen worden, aber sie erreicht derzeit wohl neue Höhepunkte. So sei die Philosophie an seiner US-Universität im vergangenen Jahr zum überflüssigen Fach erklärt und alle Professoren entlassen worden. Dalferth beobachtet eine identitätspolitische Ideologisierung wissenschaftlicher Debatten:
Texte werden daraufhin betrachtet, welche Unterdrückungsformen sie manifestieren. Fragestellungen und Theorieansätze werden danach beurteilt, welchen Beitrag zur gesellschaftlichen Gleichstellung marginalisierter Minderheiten sie leisten. Sprache wird zum Spielfeld freier Selbstgestaltung. Man führt bürokratische Kriege um Genderstern und -unterstrich, verunglimpft den Humanismus der Geisteswissenschaften als sexistisch oder rassistisch und erklärt die Beschäftigung mit ihren klassischen Themen für gewalttradierend, patriarchalisch und kolonialistisch.
Seine These: "Es geht nicht um Sachfragen, sondern um die Durchsetzung von Wertorientierungen mit dem Ziel, Machtverhältnisse zu ändern." Auch das dürfte keine gänzlich neue Entwicklung sein, gleichwohl hinterlässt sein Text den Eindruck, dass sich Hochschulen zu Erziehungsanstalten wandeln.
Quelle: Helmut Glück Bild: Kai Nedden Artikel kostenpflichtig www.faz.net
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zu einem einzelnen Aspekt: Mohr mag vielleicht nur von einem "sachlichen" lateinischen Begriff für schwarz kommen (auch wen man sich dann fragen kann wieso schwarz wieso nicht braun und wieso Weiße weiß genannt werden und nicht beige/rosa oder so). Aber recht früh schon wurde er eben auch vom Wort für dumm abgeleitet UND generell abwertend verwendet! und heute wird Mohr auf jeden Fall von den Betroffenen analog zu N* aufgefasst. Wo liegt also das Problem einen beleidigenden Begriff nicht mehr für "Huldigung"-sTitel wie straßennamen etc. zu verwenden? (Mohr an sich wird ja nicht "verboten").
und im Grunde widerspricht sich Glück selbst: Worte ändern ihre bedeutung. keine Frau will sich heute noch als Weib betiteln lassen - ohne das Recht, beleidigt zu sein. Auch wenn Weib ursprünglich kein verächtlicher Begriff war. ..
und das Sprache unser Denken beeinflusst - DAS will Keller wirklich bestreiten? Und wirft es gleich mal eben zusammen mit der (zt. berechtigten) frage ob geänderte Worte auch erzieherische Wirkung haben? wobei letzteres jede Mutter jede Kindergärtnerin und übrigens auch jeder Soziologe und Jurist unbestreitbar findet.
hier bin ich wieder mal zerissen: was bedeutet Pfeil rauf/runter hier bei piqd? Zustimmung zum text? Anerkennung der Wichtigkeit? Lob dafür dass er gepiqd wurde?
Gute Zusammenfassung und Zusammenstellung. Ich war schon kurz vorm Verzweifeln, weil ich dachte, das liest wieder keiner (FAZ ist ja "reaktionär"🙄). Fachverstand kennt aber keine politische Ausrichtung, so ist jedenfalls mein Standpunkt.
Und man muss lesen. Und lernen. Und verstehen. Nicht nur hektisch überemotionale Twitter-Nachrichten in die Welt jagen.
Wie Achim Engelberg zitiert: urteilsfähiges Selbstdenken - davon brauchen wir mehr, nicht weniger!
Danke für die Zusammenstellung.
Der Schlussabsatz des dritten Beitrags ist stark:
"Nicht nur Viren, sondern auch Ideologien können hochansteckend sein. Die Geisteswissenschaften befinden sich vielerorts im freien Fall, weil sie den Sinn für das verloren haben, was sie auszeichnet: die Bildung von Personen zum urteilsfähigen Selbstdenken. Anstatt diese Fackel hochzuhalten, agieren die „humanities“ als Vorkämpfer von Diversitätsgerechtigkeit. Doch anderen vorzugeben, was sie zu vertreten haben, ist elitäre Fremdbestimmung, und die Gewährung von Sonderrechten für Diversitätsgruppen ist kein Weg zum Abbau von Diskriminierung. Sie steigert die Diskriminierungsneigung zwischen konkurrierenden Benachteiligtengruppen. Kein Wunder, dass vielerorts Stellen gestrichen und geisteswissenschaftliche Programme geschlossen werden. Je stärker sie vor allem gesellschaftspolitische Aufgaben verfolgen, desto weniger Gründe gibt es, sie als Wissenschaften zu finanzieren. Wir leben in Deutschland noch in goldenen Zeiten. Aber wir wären gut beraten, der ideologischen Selbstzerstörung der Geisteswissenschaften nicht erst dann entgegenzutreten, wenn es zu spät ist."