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Zeit und Geschichte

Unpiq: Putin plaudert und lügt mit einem Rechtsextremisten

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergSamstag, 24.02.2024

Der Krieg in der Ukraine dauert schon zehn Jahre, aber vor zwei Jahren, am 24. Februar 2022, begann die extreme Ausweitung der Kriegszone.

Da das große Töten in Russland immer noch "Spezialoperation" heißt, braucht es Erklärungen.

Nun durfte Tucker Carlson, der u. a. Falschmeldungen über den Ausgang der US-Wahlen verbreitete, Putin befragen, genauer: Stichworte geben.

Ausgerechnet Höcke, den man als Rechtsextremen bezeichnen darf, fand das Gespräch großartig und fragte, welcher deutscher Staatsmann so souverän diskutieren könnte.

Erst als ich bemerkte, dass einige nicht wissen, was gelogen ist und was nicht, entschied ich mich für diesen Unpiq.

Es ist schon eine bizarre Geschichtsklitterei. Nur drei Beispiele:

Putin sieht eine polnische Schuld beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Europa.

Vor dem Zweiten Weltkrieg kollaborierte Polen mit Hitler, und obwohl es Hitlers Forderungen nicht nachgab, beteiligte es sich dennoch gemeinsam mit Hitler an der Aufteilung der Tschechoslowakei. Da die Polen den Danziger Korridor nicht an Deutschland abtraten, gingen sie zu weit und veranlassten Hitler, den Zweiten Weltkrieg durch einen Angriff auf sie zu beginnen.

...

Übrigens hat sich die UdSSR – ich habe einige Archivdokumente gelesen – sehr redlich verhalten.

Kein Wort fällt zum Molotow-Ribbentrop-Pakt, der als Hitler-Stalin-Pakt in die Geschichte einging. In einem geheimen Zusatzprotokoll war u. a. die Aufteilung Polens vereinbart. Dadurch wird der geschichtliche Zusammenhang zerrissen.

Viele behaupten, so der Gewaltherrscher im Kreml, dass Stalin 

zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen die Rechte anderer Staaten beging.

Was für eine Lüge, wer bedenkt, dass es kaum eine Familie auf dem Gebiet der Sowjetunion gibt, die nicht mit den Stalinschen Verbrechen als Täter und Opfer, oft beides zusammen, verbunden sind.

Am Schluss geht es noch einmal um die Einheit von Russen und Ukrainern. Ein ukrainischen Volk gibt es nicht.

Ich werde Ihnen sehr ungewöhnliche Beispiele nennen. Es gibt eine Kampfbegegnung auf dem Schlachtfeld, hier ein konkretes Beispiel: Ukrainische Soldaten wurden eingekesselt (dies ist ein Beispiel aus dem wirklichen Leben), unsere Soldaten riefen ihnen zu: „Es gibt keine Chance! Ergeben Sie sich! Kommt raus und ihr werdet leben!“ Plötzlich schrien die ukrainischen Soldaten von dort aus in perfektem Russisch: „Russen ergeben sich nicht!“, und sie kamen alle um. Sie identifizieren sich immer noch als Russen.

Was hier geschieht, hat in gewisser Weise etwas von einem Bürgerkrieg. Jeder im Westen denkt, dass das russische Volk durch die Feindseligkeiten für immer gespalten ist. Nein, es wird wiedervereint werden. Die Einheit ist immer noch da.

Warum demontieren die ukrainischen Behörden die ukrainisch-orthodoxe Kirche? Weil sie nicht nur das Territorium, sondern auch unsere Seelen zusammenführt. Niemand wird in der Lage sein, die Seele zu trennen.

Sollen wir hier enden oder gibt es noch etwas anderes?

Tucker Carlson: Ich danke Ihnen, Herr Präsident.

Was anderes heißt das, dass es die Ukraine nicht gebe, die Ukrainer seien eigentlich Russen.

Dazu kommt noch ein gefährlicher Vorschlag: Putin bietet, da es in der Westukraine einige Ungarn gibt, dem EU-Mitglied einen Teil des ukrainischen Staatsgebiet als "ihre" historischen Gebiete an.

Hier kann man das Interview lesen.

Und hier eine Gegenrede von dem Historiker Timothy Snyder für alle, die diesen unappetitlischen Mix aus Lügen und Halbwahrheiten nicht selbst entlarven können.

Ebenso sei auf einen Beitrag von Jakob Berding im IPG-Journal hingewiesen:

Dass selbst ein eitler Polit-Clown wie Carlson nach dem Interview auf X mitteilte, er sei von den Erzählungen Putins genervt gewesen, sollte ihm zu denken geben. Für Putin heißt es in Zukunft, sich in Acht zu nehmen. Alle, die er um sich geschart und in ihre heutigen Machtpositionen gehievt hat, haben dieselben Lehrbücher studiert und in denselben Seminaren gesessen. Sie werden Schwäche erkennen, wenn sie welche sehen.

Über das Beziehungsgeflecht zwischen dem Gewaltherrscher im Kreml und Rechtsextremisten informiert dieser Beitrag im Spiegel von Christian Stöcker. Und da ist es nicht mehr lächerlich, sondern Ernst.

Unpiq: Putin plaudert und lügt mit einem Rechtsextremisten

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Kommentare 5
  1. René Walter
    René Walter · vor 9 Monaten

    Mal abgesehen von dem offensichtlich inszenierten Interview und des willfährigen Benutzenlassens von Tucker Carlson durch den russischen Diktator Putin, und der vorauszusehenden Zustimmung zu diesem Unfug durch die Rechten, finde ich es sehr erstaunlich, wie so ein doch sehr einfach gestrickter und fauler Kontrarianismus als Provokation nach wie vor funktioniert.

    Dieser Kontrarianismus ist für mich seit einigen Jahren die Gemeinsamkeit, die Nazis wie die AFD mit Querdenkern und Verschwörungstheoretikern verbindet. Es geht darum, "selbst zu denken" und "gegen die Mehrheitsmeinung" zu sein. Meines Erachtens ist das (auch bzw. *vor allem*) ein hervorragender Mechanismus (mglw. der hervorragendste), um Aufmerksamkeit in sozialen Medien zu erlangen. Es gibt einen Konsens, auf den sich alle einigen können und wer der erste ist, der das Gegenteil behauptet, wird zum Wortführer einer Gegenhaltung, ganz egal wie unsinnig oder ahistorisch diese ist. Der rechte Kontrarianismus hat also eine in der Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien eingebaute Motivation, und die Rechten haben gelernt, diesen aufmerksamkeitsökonomischen Mechanismus zu bespielen.

    Das Höcke das gezielt ausnutzt und, nebenbei, mit seiner Provokation eine hinterfotzig verdrehte Version der "Wahrheit" transportiert (nämlich dass Putin in diesem staatlich inszenierten Interview "souverän" ist, was ja natürlich stimmt, und damit gleichzeitig das russische Narrativ des Ukraine-Kriegs aufgreift, das in diesem Krieg eine Reaktion auf einen selbst wahrgenommenen Souveränitäts-Verlust sieht), all das: geschenkt.

    Was mich erstaunt, ist, dass diese Provokation, dieser intellektuell banale und dumme Kontrarianismus der Rechten funktioniert und alle über dieses Nazi-Stöckchen springen und diesen Schwachsinn tatsächlich diskutieren, so dass jetzt hier dieser Unpiq stehen muss. Aber danke für diese Korrektur, sie ist anscheinend nötig.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 9 Monaten

      Die Alternative ist aber nicht, das selber Denken zu lassen und sich der Mehrheitsmeinung bedingungslos anzuschließen. Mehrheit ist nicht Wahrheit. Weder findet Putin mit seinen Narrativen nur bei "den Rechten" Zustimmung oder Verständnis und schon gar nicht bei allen.

      Streit ist die Substanz der Demokratie um zu einer Mehrheit zu kommen. Der einzige notwendige Konsens ist letztendlich, dass die Mehrheitsentscheidung akzeptiert und umgesetzt wird. Wenn sie nicht grob inhuman ist. Ob sie richtig und erfolgreich ist/war, dass weiß man erst hinterher. Dieses Dilemma hat mit der im Grunde sehr unterkomplexen Einteilung in Rechts und Links erst mal nichts zu tun. Keine der "Seiten" agiert dabei ohne (bewußte oder unbewußte) Verdrehungen und Manipulationen. Beide Seiten haben historisch auch schon dramatisch geirrt. Richtig problematisch sind die aggressiven Demagogen, wie heute Putin und Höcke.

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 9 Monaten

      @Thomas Wahl Parallel antwortete ich mit einem Text von Brecht, der ins Zentrum gestern und heute zielt.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 9 Monaten

      @Achim Engelberg Danke, sehr schöne Episode. Wir sollten immer an das "Menschlein" hinter den Demagogen und Machtsüchtigen denken.

    4. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 9 Monaten

      Danke, leider war es ohne für Gleichsetzungen zu sein, auch schon bei Hitler der Fall. Hier ein Text von Brecht, wo er über dessen Auftritte im Münchner Hofgarten schreibt.
      "Das Publikum, hauptsächlich aus der Mittelschicht, Ladenbesitzer und Handwerker mit ihren Frauen, hatte große Bierhumpen vor sich. Es wa-
      ren Tausende, und sie hörten gespannt zu."
      Und dann stellt Brecht dar, wie Rhetorik und Schauspielerei richtige Argumentation ersetzt:
      https://magazin.spiege...

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