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Zeit und Geschichte

Unpiq: Die neuen Kulturkämpfe verdecken die alte soziale Frage

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergFreitag, 26.02.2021
"Tribes of Europa" heißt eine neue Serie und in der Tat könnte man viele Kulturkämpfe mit diesem Titel benennen. Nicht mehr ein Allgemeines-Verbindendes wird gesucht, sondern eine Stammesgemeinschaft, die sich auf Behauptungen, Mutmaßungen und Halbwahrheiten stützt. Dabei droht eine weitere Spaltung der Gesellschaft. Die Ost-West-Teilung wird vertieft, wenn Leute wie die Schriftstellerin und Professorin Ines Geipel zahlreich und meist unwidersprochen zu Wort kommen. Im Unpiq behauptet sie, dass die "Ostdeutschen" ihre Opferrolle "lieben" und aufgrund der verpassten Aufarbeitung der Geschichte Antidemokraten zum Sieg verhelfen.

Bei den Verbrechen der Nazi-Gewaltherrschaft versteigt sie sich zur steilen These:

In der DDR wurde über mehrere politische Etagen hinweg eisern geschwiegen, unterstützt durch eine antifaschistische Staatsrhetorik, die das Dritte Reich auf die Kommunistenverfolgung reduzierte.

Das ist eine glatte Lüge. Hier wird die enorme Vielfalt von Publikationen dargestellt, die in der DDR erschienen sind.

Wer den ersten Spielfilm über die Shoah sehen will, muss STERNE (hier auf YouTube) von Konrad Wolf nach einem Drehbuch von Angel Wagenstein schauen. Ein Film, der 1959 in Cannes den Preis der Jury bekam und am Anfang unseres Jahrhunderts als Klassiker anerkannt ist. Hier der Wikipedia-Eintrag. Wer es noch genauer wissen will, findet in Konrad Wolf – Chronist im Jahrhundert der Extreme von Antje Vollmer und Hans-Eckard Wenzel Profundes gerade für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Ost und West.

Im Mittelpunkt von STERNE steht ein Transport von griechischen Juden nach Auschwitz.

Zahlreiche Autoren wie der dezidierte Antikommunist, Holocaustüberlebender und Nobelpreisträger für Literatur Imre Kertész erschienen zuerst in der DDR.

Für die "Expertin" Geipel hatte dennoch:

der deutsche Völkermord an den Juden im Osten im Grunde vierzig Jahre im Eisschrank gelegen.

Wer so die Vergangenheit fälscht, will die Gegenwart manipulieren. Aufgrund der mangelhaften, ja nicht erfolgten Auseinandersetzung im Osten, stilisiert sich dieser als Opfer, so Frau Geipel.

Deshalb heißt es über "die Jungen" im Osten:

Schon verblüffend, welche Entlastungserzählungen vor allem auch die Jungen im Osten immer wieder hinkriegen, von den Abgehängten, den Bürgern 2. Klasse, den Kolonisierten, den feindlich Übernommenen.

Allerdings können viele Jungen, die nach der DDR geboren sind und so etwas sagen, sich auf Forschungen von Naika Foroutan und ihren Mitarbeitern vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung berufen. Die taz hat dazu ein Dossier vorgelegt, das hier zu lesen ist.

Weiß das Frau Geipel nicht oder will sie es nicht wissen?

Diese Unwahrheiten wären nicht weiter schlimm, wenn sie nur von einer verirrten Person kämen, aber Ines Geipel publiziert in renommierten Verlagen, bekommt Lobeshymnen, wird in Talkshows als Kennerin des Ostens eingeladen und hat eine Professur inne.

Deshalb ist ihr wie vergleichbaren Personen zu widersprechen.

Auch Kulturkämpfe von Links funktionieren – zumindest nach dem Philosophen Robert Pfaller (hier ein hervorragendes Interview) – ähnlich.

Unpiq: Die neuen Kulturkämpfe verdecken die alte soziale Frage

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