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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Gute Geschichten erzählen mehr als eine Geschichte. So steht Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" aus dem Jahr 1949 für Umbrüche nicht nur in den USA, sondern in der westlichen Welt. Es war das Zeitalter, das James Burnham in einem damals berühmten Buch als Manager-Revolution kennzeichnete.
Die hier vorgestellte Geschichte ist kein Klassiker wie Millers immer noch gespieltes Schauspiel, aber es ist ein verdammt gutes Stück Journalismus. Der Selbstmord des New Yorker Taxifahrer Douglas Schifter steht für die Überforderungen der digitalen Revolution in einer zerrütteten, überreizten Gesellschaft.
Im Abschiedsbrief begründet er seine Tat so:
In den letzten 14 Jahren habe ich fortlaufend fast jede Woche 100–120 Stunden gearbeitet. Als ich 1981 in der Taxi-Industrie anfing, habe ich durchschnittlich 40–50 Stunden gearbeitet. Ich kann nicht mehr länger 120 Stunden die Woche arbeiten! Ich bin kein Sklave, und ich weigere mich, einer zu sein.
Er war nicht der erste Selbstmörder, aber sein Tod erregte Aufsehen, weil dieser Suizid nicht mehr nur als ein Einzelfall in einer Reihe gesehen wurde, sondern als Menetekel. Und das war so geplant.
Ein Nachfolger Arthur Millers würde aus dem Fall ein Stück entwickeln, das nicht nur eine unheilverkündende Warnung für die USA wäre, die Douglas Schifter in seinem 61jährigen Leben nie verließ, sondern für die westliche Welt.
Beiläufig, aber prägnant erzählt die Reportage Parallelgeschichten etwa von einem Fahrer aus Damaskus, der aufgrund von Geldsorgen mit einem gebrochenen Bein fuhr und manchmal vor Schmerz aufschrie.
Die Vorfahren von Douglas Schifter waren Emigranten aus Osteuropa, Gläubige des amerikanischen Traums:
Er wurde auf einem jüdischen Friedhof in Long Island beerdigt. Er liegt nicht weit entfernt von seinem Vater, dem Automechaniker mit den goldenen Händen, der ihm immer sagte, wenn du nur fleißig bist, mein Sohn, dann kannst du alles schaffen. Alles.
Willkommen in der Abstiegsgesellschaft, so heißt ein Buch unserer Zeit!
Quelle: Nora Gantenbrink stern.de
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