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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Seit Längerem kursiert im Internet ein Witz, mal als Cartoon und mal als Meme. Man sieht eine Herde Schafe, im Hintergrund den Hirten und den Hütehund. Da blökt ein schwarzes Schaf ganz aufgeregt: »Ich sag’s euch: Der Hund und der Mann arbeiten zusammen!« Doch gibt es wenig Reaktion in der Herde. Nur ein Schaf hält gelangweilt dagegen: »Immer du und deine Verschwörungstheorien!«
Natürlich ist, wer darüber lacht, kein Verschwörungsfantast, aber es bringt die beiden Autoren zu ihrer kleinen Systematik solcher Vorstellungen, die man Verschwörungstheorien nennt, obwohl sie keine Theorie sind:
Im Grunde geht es dabei immer um Elitenkritik. ... Doch wird das Kontra, das man den Mächten und Mächtigen gibt, in Verschwörungstheorien radikal simplifiziert und personalisiert. Zuweilen schwingen antisemitische Motive mit: Bill Gates, George Soros, die Rothschilds oder »Bilderberger« steuern im Verborgenen die Geschicke der Welt.
Alle diese Vorstellungen kennen nur Gut und Böse, Schwarz und Weiß und keine Schattierungen.
Das Ergebnis steht fest, weshalb Diskussionen oft sinnlos sind. Die "Erleuchteten"
wehren die Annahme ab, der Missstand sei veränderbar, erst recht innerhalb des gegebenen politischen Systems.
Ja, aber wozu dienen solche Fantasien, wenn sie oft veränderungsresistent sind?
Verschwörungstheorien helfen dem Ich, sich gegen akute oder schleichende Ohnmachtserfahrungen neu zu beheimaten.
Das wiederum kann umschlagen in Gewalt und zu solchen Fällen kam es immer wieder – und zwar lange vor dem Internet.
Das abstrakte Wüten gegen »das System« konkretisiert sich dann im Angriff auf Schwächere – etwa Geflüchtete. Die Autoritarismusstudien der Kritischen Theorie analysieren dieses »Sich-schadlos-Halten« als Sündenbock-Phänomen. Solcher Verschwörungsglaube ist eine konformistische Rebellion.
Die starren Strukturen all dieser Glaubenslehren machen sie anschlussfähig zu Bekehrungen zum Salafismus oder zum christlichem Fundamentalismus. Oder auch zum Faschismus oder Stalinismus.
Bitter, aber notwendig ist die arge Erkenntnis, dass auch richtige Revolutionen Verschwörungstheorien hervorbringen und diese in diesen wirken, so geschah es auch in der Großen Revolution der Franzosen, die nicht nur im Namen der Aufklärung und der Vernunft erfolgte:
So stand 1793 im Prozess gegen Königin Marie Antoinette der abwegige Vorwurf des Kindesmissbrauchs – QAnon lässt grüßen – im Zentrum der zeitgenössischen Aufmerksamkeit, weit mehr als der »Hochverrat« oder ihre Rolle im feudalen Unterdrückungssystem.
Nicht allein neue Medien machen Verschwörungsfantasien attraktiv für Massen, sondern
eine längerfristige, schleichende Legitimationskrise der bestehenden Ordnung ist vonnöten. Damals unterminierten die Skandale – etwa die berühmte »Halsbandaffäre« um ein teures Schmuckstück für Marie Antoinette – und die sprichwörtliche Dekadenz des Adels und des Hofes das Dogma von der Gottgegebenheit des Feudalismus. Heute macht es die offensichtliche Lobby- und Expertokratie zunehmend schwer, die schöne Geschichte von der repräsentativen Demokratie zu erzählen, deren Prozesse sicherstellen, dass alle berücksichtigt werden.
Aber häufig spielen neue Medien, deren Wirkung man noch nicht richtig versteht, eine wichtige Rolle. Was heute das Internet ist, war 1789 die fortgeschrittene Alphabetisierung, so
dass auch in den Dörfern Gazetten und Flugschriften gelesen wurden – oft freilich nicht sehr gut, wodurch sich Geschichten verselbstständigten.
Zwingend notwendig ist auch ein in das Leben aller oder zumindest von Massen einschneidendes Ereignis, eine Finanzkrise oder eben gegenwärtig eine Pandemie, welches die schwelende Legitimationskrise beschleunigt und krude Erzählungen entstehen lässt.
Wahrscheinlich kann man Bekehrte und Erleuchtete nicht einfach zum kritischen Denken und Handeln bekehren, aber gerade die historische Verfremdung am Beispiel der Französischen Revolution zeigt:
Ganze soziale Felder schon bei Spuren »unreinen« Denkens abzuschreiben, ist aber nicht nur unpolitisch, sondern zeugt auch von geringem Selbstbewusstsein. Denn eins hat progressive Kritik der konformistischen Rebellion der Verschwörungstheorie voraus: einen Horizont der Auflösung.
Zum Beispiel die jetzt geforderte Vermögensabgabe zur Krisenfinanzierung, die zwar noch nicht transformatorisch ist, aber den Rahmen bilden könnte für ein dynamisches Feld von Solidarität, in dem sich aus der Bahn Geworfene neue Wege suchen könnten.
Quelle: Ingar Solty und Velten Schäfer Bild: Alamy Stock Photo www.neues-deutschland.de
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Vergleich mit frz Revolution - cool.
Spannend. Gerade zum ersten Teil des piqs passt die neue Folge von Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale ganz gut https://www.zdf.de/com...