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Zeit und Geschichte

Glanz und Elend des Vergleichs – am Beispiel der Ukraine

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 11.04.2022

In diesen Tagen fällt auf, dass viele Leute im Westen den Krieg aus ihrer üblichen identitäts­politischen Schiess­scharte betrachten,

so beginnt Jörg Heiser seinen großen Essay. Sie erkennen dadurch nicht, was sich durch den russischen Angriffs­krieg gegen die Ukraine verändert hat. Der Autor will aber nicht einfach zurück:

Und dabei sei hier der Begriff «Identitäts­politik» gar nicht negativ konnotiert: Zugleich politisch legitim und identitäts­stiftend ist es schliesslich, sich beispiels­weise gegen Nazis und für die Rechte von Minder­heiten einzusetzen; oder gegen die Fossil­industrie und für Klimaschutz.

Die Kriegsmetapher «Schiess­scharte» scheint dennoch angebracht: Sie indiziert, dass man sich verschanzt, dass die Sicht zwar massiv eingeschränkt ist, man aber dennoch einen Gegner anvisiert.

Viele, die die Doppelmoral kritisieren, verkennen Russland. So etwa kolonialismus­kritische Anti­imperialisten, die vor allem Kriege des Westens kritisieren.

So fasste nach Jörg Heiser die afroamerikanische Russland- beziehungs­weise Sowjetunion-Historikerin Kimberly St. Julian-Varnon, einige Eckpunkte zum Thema Imperialismus und Kolonialismus des zaristischen Russlands und der Sowjet­union zusammen­.

St. Julian-Varnon hält fest, dass die Expansions­strategie des Zaren­reichs alle Merkmale des imperialen Kolonialismus aufwies: gewalttätige Siedlungs­politik, Unter­drückung von Minderheiten­sprachen und -glauben, Deportationen, massive Ausbeutung und Abbau von Rohstoffen in den eroberten Gebieten. Russland habe sich lediglich deshalb nicht an der kolonialen Aufteilung Afrikas beteiligt, weil es bereits über ein riesiges Kolonial­reich verfügte.

In der Realität blenden zu viele die realpolitischen Dilemmata aus, in denen alle Handelnden durch die extreme Ausweitung des Krieges in der Ukraine geraten. 

Seit dem Russland-Ukraine-Krieg hat der Whataboutism wieder Hochkonjunktur. Vergleiche können der Wahrheits­findung dienen – dürfen aber nicht zu Ausflüchten werden.

Freilich, die gefängnisähnlichen Flüchtlingslager in Griechenland oder das Sterben von Tausenden im Mittelmeer ist die Schande für Europa. Wie Schutzsuchende aus islamischen Ländern an der polnisch-belarussischen Grenze als Invasoren bekämpft wurden oder noch werden, ist ein Skandal. 

Die Vorteile, die Ukrainer in den meisten umgebenden Ländern nun beispiels­weise im Vergleich zu afghanischen Geflüchteten geniessen, dürfen aber auch nicht als Argument dafür herhalten, ihnen diese zu entziehen. Im Gegenteil: Sie müssen zu Gründen werden, weshalb die europäischen Länder in Zukunft eine insgesamt humanere Geflüchteten­politik umsetzen.

...

Unrecht darf gegen Unrecht nicht ausgespielt werden, schon gar nicht zur Legitimation des eigenen Nichtstuns.

In diesem, aber auch in anderen Beiträgen der Republik, findet man viele Links.

Empfehlen möchte ich den Link zum Schizofaschisms, in dem Daniel Binswanger diesen Begriff des Historikers Timothy Snyder erläutert und aktualisiert. In diesem Beitrag findet man wiederum andere. Es ist wie bei einer Matroschka, in der eine Puppe steckt eine und in dieser eine andere und eine andere ...

Im Beitrag zum Schizofaschismus gibt es einen guten Einstieg in diejenige ukrainische Literatur, die uns hilft, das Land, die Konflikte und den Krieg besser zu verstehen.

Zurück zu Jörg Heisers Essay, der Glanz und Elend des Vergleichens gut erläutert.

Das machte er schon einmal bei der Diskussion um Kolonalismus und Shoah.

Hier gibt es einen älteren piq, der neu bzw. zusammen mit dem hier empfohlenen Essay gelesen, das Spektrum erweitert auf dem Weg zu einer planetarischen Sicht auf Geschichte(n).

Glanz und Elend des Vergleichs – am Beispiel der Ukraine

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Kommentare 2
  1. Jürgen Klute
    Jürgen Klute · vor mehr als 2 Jahre

    Ein wirklich lesenswerter Artikel. Danke für den Tipp!

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als 2 Jahre

      Bitte, gern geschehen. Ich halte Jörg Heiser für einen unterschätzten Autor.

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